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Weltberühmt. Die Fresken und der Pergamonaltar sind eine Hauptattraktion auf der Museumsinsel.

© picture alliance / dpa

Koloniales Erbe auf der Museumsinsel: „Heute bleiben die Funde im Land“

Gehören der Pergamonaltar und das Ischtar-Tor zurückgegeben? Zwei Direktoren über Archäologie und kulturelles Erbe.

Barbara Helwing ist seit 2019 Direktorin des Vorderasiatischen Museums in Berlin. Die Archäologin war zuvor an der Universität Sydney tätig, wo sie den Edwin Cuthbert Hall Lehrstuhl für Archäologie des Mittleren Ostens innehatte. Martin Maischberger ist klassischer Archäologe und stellvertretender Direktor der Antikensammlung in Berlin.

Das Humboldt Forum ist eröffnet, es lockt mit freiem Eintritt. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem neuen Nachbarn?

HELWING: Das Gebäude ist neu, aber so fremd ist der neue Nachbar nicht. Mit den zwei großen Museen, die dort vertreten sind, dem Museum für Asiatische Kunst und dem Ethnologischen Museum, arbeiten wir eng zusammen. Wir nehmen natürlich den großen öffentlichen Druck wahr, dem die Kollegen derzeit ausgesetzt sind. Das bewegt uns, weil wir denken, dass wir uns in unseren Häusern auf Ähnliches gefasst machen sollten.

Soeben ist ein Buch erschienen, das hinterfragt, ob die Schätze aus dem Osmanischen Reich auf legalem Weg in die Berliner Museen gekommen sind. Der Titel lautet „Die Schatzjäger des Kaisers“. Es wird behauptet, deutsche Archäologen seien „auf Beutezug im Orient“ gewesen. Das heißt Pergamonaltar, die Prozessionsstraße von Babylon, das Ischtar-Tor – alles geraubt? Ist Provenienzforschung für ihre Häuser ein Thema?
MAISCHBERGER: In der Antikensammlung ist Provenienzforschung schon lange ein Thema, auch wenn es in der Kommunikation nach außen bislang nicht ganz vorne stand. Wir gehen davon aus, dass die öffentlichen Debatten um die koloniale Vergangenheit der Sammlungen, die die Kollegen von den außereuropäischen Sammlungen im Moment beschäftigen, auch die archäologischen Sammlungen erreichen werden. Wir erforschen schon seit längerem die Provenienzen unserer Objekte, weil uns das Thema selber unter den Nägeln brennt. Wir machen das mit sehr wenig Personal. Deswegen sind wir nicht so schnell, wie wir es uns wünschen. Aber die Gründlichkeit wollen wir auf keinen Fall opfern.

Gibt es Rückgabeforderungen, wie bei den Benin-Bronzen oder bei den Elgin Marbles, die ein langer Streit zwischen Athen und London begleitet?
MAISCHBERGER: Für den Pergamonaltar gibt es keine staatlichen Rückgabeforderungen. Es gab lokale Initiativen wechselnder Bürgermeister von Bergama, die das auch schon in Berlin vorgetragen haben. Aber die türkische Regierung hat den Pergamonaltar bisher nicht zurückgefordert. Uns erreichen in jüngerer Vergangenheit aber Signale, die nicht ausschließen, dass es zu Rückgabeforderungen kommen könnte. Es war uns aber davor schon ein Anliegen, die Geschichte der Grabung und der Fundteilung zu erforschen und kritisch zu hinterfragen. Wir haben dazu schon viel publiziert und im Rahmen von Ausstellungen dem Publikum erläutert; Letzteres kann natürlich noch ausführlicher gemacht werden.

Halten Sie den Fund von Pergamon für problematisch?
MAISCHBERGER: Es steht außer Frage, dass die Pergamongrabung 1878 – 1886 im Kontext asymmetrischer Machtverhältnisse durchgeführt wurde. Eine koloniale Situation bestand jedoch nicht. Wenn solche Begriffe in Bezug auf das Verhältnis zwischen Osmanischem Reich und Deutschem Reich verwendet werden, halten wir das für historisch falsch und verzerrend. Es ist übrigens schon seit langem bekannt, dass für das Erwirken von Grabungslizenzen, Genehmigungen von Fundteilungen etc. Gefälligkeiten eingesetzt wurden, dass hin und wieder etwas getrickst wurde und dass die Grabung heutigen Kriterien von Augenhöhe natürlich nicht entsprach.

Und wie ist das in der Sammlung des Vorderasiatischen Museums?
HELWING: Meine Sammlung ist ja etwas jünger, es gibt sie offiziell erst seit 1899. Objekte sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gesammelt worden. Ich bin jetzt im dritten Jahr hier Museumsdirektorin. Ich hätte mich nicht auf diese Stelle beworben und dafür meine Stiftungsprofessur in Sydney aufgegeben, wenn ich gedacht hätte, ich sitze hier auf Hehlerware und bin nur noch damit konfrontiert, illegale Transaktionen zu verteidigen. Ganz im Gegenteil. Ich bin auch deshalb hierher gekommen, weil dieses Museum den allergrößten Teil seiner Erwerbungen aus wissenschaftlichen Ausgrabungen hat.

Das bedeutet, die Dinge sind auf legalem Wege nach Berlin gekommen?
HELWING: Unsere Schwerpunkte sind die heutige Türkei, Syrien und Irak. Man hat damals Fundteilungen vorgenommen, nach den jeweils geltenden Vereinbarungen, die zunächst mit der osmanischen Regierung, später dann mit den Protektoraten getroffen worden sind. Zusätzlich gab es Geheimabkommen zwischen dem deutschen Kaiser und dem Sultan in Istanbul. Bei einzelnen Objekten, die anderweitig angekauft worden sind, ist eine Einzelfallprüfung notwendig und das machen wir auch. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass es für alles Regeln und schriftliche Abkommen gibt.

Kann man sagen, die Situation in Babylon ist einfacher als in Pergamon?

HELWING: Es gab für Babylon ganz klare Abkommen, die eine Fundteilung vorgesehen haben, zunächst mit dem osmanischen Staat und die zweite große Fundteilung 1926 hat Gertrude Bell mit Ernst Walter Andrae ausgehandelt. Damals war Irak kein souveräner Staat, das war es unter dem Osmanischen Reich natürlich auch nicht, aber man hat sich an die geltenden Regeln gehalten.

Das heißt einen Titel wie „Schatzjäger“ und „Archäologen auf Beutezug“ halten Sie für überzogen?
HELWING: Ich halte das für unredlich, die Sprache so einzusetzen. Den Archäologen, die dort beschäftigt waren, zu unterstellen, dass sie nur auf Raubzug waren, halte ich für ehr-abschneidend und deshalb für nicht akzeptabel.

Aber als Archäologen im Kaiserreich hatten sie doch auch gewisse stramm nationale Gesinnungen. Und es gab harten internationalen Wettbewerb.
HELWING: Ja, natürlich. Und das ist uns allen bewusst. Deswegen wollen wir diese Zeiten auch erforschen. In meinem Haus existiert bereits eine Doktorarbeit über die Geschichte des Museums bis 1939 und es laufen weitere Forschungsunternehmen. Aber so etwas braucht Zeit, Sorgfalt und Personal. Kräfte, die wir nicht in ausreichendem Maß haben.

Sie waren beide als Archäologen an Ausgrabungen beteiligt. Jetzt sind Sie Museumsdirektoren, ähnlich wie zum Beispiel Ihr Vorgänger Ernst Walter Andrae. Wie wird Archäologie heute betrieben?
HELWING: Ich habe in mehreren Ländern umfangreich ausgegraben. Zunächst mit deutschen Expeditionen in der Türkei im Bereich des heutigen Atatürk Stausees. All diese Funde sind in der Türkei und alle diese Orte sind heute unter Wasser. Danach war ich für das Deutsche Archäologische Institut (DAI) in Iran zuständig und auch dort an Ausgrabungen beteiligt. Auch dort sind alle Funde im Land geblieben. Nur wissenschaftliche Proben werden ausgeführt, wenn sie vor Ort nicht untersucht werden können.

MAISCHBERGER: Auch in der Türkei finden wichtige Grabungen seit Jahrzehnten unter der Ägide des DAI statt, in enger Kooperation mit dem Gastland. Ich habe im Rahmen einer solchen Kooperation in Milet gegraben. Die Zusammenarbeit mit den türkischen Kolleg:innen vor Ort verlief immer unter den Vorzeichen von Freundschaft und gegenseitigem Respekt. Die letzten großen Fundteilungen zugunsten der Antikensammlung fanden bis 1914 statt.

Fundteilung ist also nicht mehr üblich?
HELWING: Die gesetzliche Regel in allen Ländern ist heute, dass die Funde im Land bleiben, mit wenigen Ausnahmen. Syrien hat bis 2010 in Ausnahmefällen Fundteilungen durchgeführt. Im Rahmen von Infrastrukturmaßnahmen und dem Bau von Staudämmen wurden Fundorte geflutet. Die syrischen Kollegen haben um ausländische Hilfe beim Rettungsgraben gebeten, die Objekte wären sonst versunken. Aus solchen Fundteilungen etwa in Habuba Kabira am syrischen Euphrat haben wir Objekte ausgeführt. Aber das sind in der Regel nur sogenannte „Doubletten“.

Die Sammlungen existieren, neues Material kommt nicht hinzu. Was bedeutet das für die Museumsarbeit?
HELWING: Neu ist der Erkenntnisgewinn. Die Forschungen werden immer diffiziler und beschäftigen sich mit neuen Themen. In den Kulturen, die wir bearbeiten, herrschten Probleme, die uns heute noch beschäftigen. Stichwort Klimawandel. Im Alten Mesopotamien war Bodenversalzung ein großes Problem. Wie ist man damit umgegangen? Wir haben Keilschrifttafeln, die darüber Auskunft geben. Das können wir vermitteln. Auch die digitalen Mittel bringen neue Möglichkeiten. Wir können unsere Konvolute mit Objekten in Zincirli oder im Museum in Istanbul verschränken, digital lassen sie sich weltweit erlebbar machen. Insofern haben wir keineswegs die große Langeweile, nur weil wir unsere Sammlungen nicht mehr ergänzen. Wir haben neue Werkzeuge bekommen, mit denen wir tolle Dinge machen können.

Man braucht also im Museum nicht unbedingt die Originale? Das ist ja eine wichtige Frage, wenn man über Restitution spricht. Digitale Kopien würden reichen?
MAISCHBERGER: Eine weitere Möglichkeit sind längerfristige Leihgaben. Die Antikensammlung bekommt etwa im Gegenzug zu Objekten, die an Italien restituiert wurden, aus diesem Land längerfristige Leihgaben. Die geltenden Gesetze beschränken das auf zwei bis vier Jahre. Aber das bringt zumindest temporär neue Objekte in die Häuser. Das könnte man auch auf Griechenland und die Türkei ausdehnen.

HELWING: Wir haben während der Pandemie lernen können, wie wichtig es ist, dass Dinge wissenschaftlich gründlich bearbeitet werden und dass die Wissenschaft etwas zu sagen hat. Und auch die Objekte im Museum haben uns etwas zu sagen. Die Dinge haben einen Eigenwert. Man sollte die Objekte als sie selbst sehen. Wenn man sie nur auf ihre Herkunft verengt, spricht man ihnen eine Wirkmächtigkeit ab, die sie eigentlich in sich tragen.

Sagt jemand, der die Objekte hat. Man kann schon verstehen, wenn Museumsleute in Afrika sagen, wir brauchen diese Stücke, eben weil sie Teil des kulturellen Erbes sind.
HELWING: Ich möchte jetzt ganz explizit nicht über lebende Kulturen in Afrika sprechen, das ist eine andere Situation. Wir haben im Museum drei Löwen aus Zincirli stehen und einen weiteren aus Gips. Die anderen Löwen aus Zincirli stehen in Istanbul im Archäologischen Museum. Also warum nicht digital Informationen austauschen? Dann sind diese Dinge an zwei Orten zu erleben.

MAISCHBERGER: Das Phänomen des Exports von Kunstwerken aus einem Land in ein anderes ist uralt. Die Römer haben sich in Griechenland bedient und Objekte nach Rom gebracht; osmanische Archäologen haben antike Kunstwerke aus dem heutigen Libanon nach Istanbul gebracht. Und natürlich haben die europäischen Großmächte in der Zeit des Kolonialismus so manche Funde in ihre jeweiligen Hauptstädte verbracht. Die Motivationen sind sicherlich nicht immer altruistischer Natur gewesen. All dies rückgängig zu machen, wäre jedoch absurd. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass Griechenland, die Türkei oder der Irak von den mitteleuropäischen Ländern komplett ihres kulturellen Erbes beraubt worden wären.
Wie steht es um den vom Wissenschaftsrat dringend angeregten Reformprozess in den Staatlichen Museen?
HELWING: Wenn Sie eine Teambuilding-Maßnahme wollten, dann war die Evaluierung des Wissenschaftsrates das Beste, was uns passieren konnte. Wir Direktoren haben uns sehr eng vernetzt.

MAISCHBERGER: Wir debattieren intensiv darüber, wie neue Strukturen in Zukunft aussehen können. Wir sind mitten im Wandel.

Die Fragen stellten Birgit Rieger und Rüdiger Schaper.

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