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Der Literaturkritiker Denis Scheck.

© picture alliance / Rolf Vennenbernd / dpa

Jonathan Franzen, Antje Ravik Strubel, Edgar Selge: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Einmal monatlich bespricht der Literaturkritiker die „Spiegel“-Bestsellerliste – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal: die Rubrik Belletristik.

10.) Sabine Ebert: Die zerbrochene Feder (Knaur, 480 S. 20 €.)

Sabine Eberts historische Romane hinterlassen in mir einen mehr als zwiespältigen Eindruck. So sympathisch mir ihr feministisch und aufklärerisch motiviertes Anliegen ist, nämlich zu zeigen, wie stark etwa das Leben einer schreibenden, intellektuellen Frau in Zeiten der Metternichschen Restauration fremdbestimmt war; andererseits lässt ihre Holzhammer-Didaktik und die grobschlächtige Figurenmotivation wie generell die Beschränktheit ihrer erzählerischen Mittel jeden künstlerischen Anspruch in sich zusammenfallen.

9.) Jonathan Franzen: Crossroads (Deutsch von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 826 Seiten, 28 €.)

Zunächst war ich skeptisch: Ist die Form des Familienromans wirklich noch ein geeignetes Erkenntnisinstrument für die westliche Gegenwart? Jonathan Franzens neuer Roman spielt 1971 in der Vorstadt Chicagos und erzählt am Beispiel einer Pfarrersfamilie von den Übeln unserer Zeit, Übeln wie Gier, Sucht und Konsumismus, Umweltzerstörung, Ausbeutung und die daraus resultierende seelische Leere. Doch so ästhetisch konventionell Franzens Erzählen sein mag, so stark ist die emotionale Wucht, die es entfaltet. Ich freue mich schon auf die Wiederbegegnung mit der Familie Hildebrandt in den beiden Folgebänden der angekündigten Trilogie.

8.) Michael Hjorth, Hans Rosenfeld: Die Früchte, die man erntet (Deutsch von Ursel Allenstein, Wunderlich, 505 S., 24 €.)

Ein Heckenschütze in Schweden. Ein ehemaliger Kriminalpsychologe, der nun wieder frei praktiziert. Und ein Polizist, der Lust am Töten entwickelt. Ein solider Serienkrimi.

7.) Volker Klüpfl, Michael Kobr: Morgen, Klufti wird's was geben (Ullstein, 141 Seiten,, 14 €.)

Eine klischeestrotzende Weihnachtsgeschichte mit nervtötenden Dialogen wie: „,Klufti-San’, sagte Yoshifumi Sazuka und streckte lächelnd ein großes Glas Eierlikör hin: ,I love your German Christmas. I will celebrate exactly this way in Japan!’ Kluftinger nahm das Glas und stieß mit seinem Gast an. ,Ich bin zwar froh, when it g'falls you by us. Aber überleg Dir das mit dem Feiern noch mal.’“ Wenn die Autoren Geld brauchen, feiert Kluftinger bald auch Ostern, Pfingsten und Vatertag.

6.) Kerstin Gier: Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann (S. Fischer, 480 S. 20 €.)

Eine actionreiche Jugend-Fantasy, gleichzeitig eine Neuauflage von Romeo und Julia, abwechselnd erzählt aus der Perspektive der jugendlichen Protagonisten Matilda Martin und Quinn Jonathan Yuri Alexander von Arensburg. Literarisches Junkfood, das durch seine Geschlechterstereotype reichlich altbacken wirkt.

5.) Edgar Selge: Hast du uns endlich gefunden (Rowohlt, 302 S., 24 €.)

Erinnerungsbücher berühmter Schauspieler sind gerade en vogue, und Edgar Selge liefert, was der Markt erwartet. Allerdings enthält sein Buch über eine Kindheit in der deutschen Nachkriegszeit ein unerwartetes Surplus: Immer wieder blitzt da die Erfahrung von Gewalt, Missbrauch und Verdrängung auf, die einen beim zunehmend faszinierten Lesen das Gruseln lehrt.

4.) Antje Ravik Strubel: Blaue Frau (S. Fischer, 429 Seiten, 24 €.)

Wie eine durch die Erfahrung sexualisierter Gewalt traumatisierte junge Frau ins Leben zurückfindet und um Gerechtigkeit kämpft – und welche Parallelen sich zwischen dieser individuellen Erfahrung und den Traumatisierungen Osteuropas durch den Stalinismus ziehen lassen, davon erzählt Antje Ravik Strubel in ihrem zu Recht mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman. Die vielleicht schönsten Szenen sind die poetologischen Unterhaltungen mit der mythischen Blauen Frau, hinter der man sich eine Mischung aus Silvia Bovenschen und Frau Holle vorstellen darf.

3.) Bernhard Schlink: Die Enkelin (Diogenes, 368 S., 25 €.)

Bernhard Schlink ist der Diesel unter den deutschen Erzählmotoren. Das ist ästhetisch nicht aufregend, bringt diesen Roman aber sicher ans Ziel. Schlink erzählt von der Ehe einer Ostdeutschen mit einem Westdeutschen, einem in der DDR zurückgelassenen Kind und einer Enkelin, die in der Wahnsinnszone völkischer Siedler aufwächst. Deutsch-deutsche Geschichte, schwere Kost, stellenweise geschrieben wie fürs Lesebuch.

2.) Dirk Rossmann und Ralf Hoppe: Der Zorn des Oktopus (Lübbe, 605 S., 20 €.)

In dieser neuen deutschen Milliardärsprosa bedroht ein Bösewicht die Nahrungsressourcen einer Welt, in der die USA, China und Rußland eine Klima-Allianz bilden und die Uno aus ihrer Lethargie aufrütteln. Dieses kurzweilige, wenn auch ein wenig naive Buch verdankt sich dem Literaturspleen eines Drogeriemarkt-Nabobs, der statt Autorennen fahren lieber Ökothriller schreiben will. Warum auch nicht.

1.) Sebastian Fitzek: Playlist (Droemer Knaur, 396 Seiten, 22,99 €.)

Fitzeks dumpfdeutscher Voyeurthriller um ein entführtes Mädchen in Berlin bedient sich derselben Mittel wie die Boulevardmedien: Unter dem Deckmantel der Abscheu und der Aufklärung wird sich genüsslich an der Schilderung der Gewalt gegen Kinder und Frauen geweidet. Manche Büchern widern einen an.

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