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Keine Angst vor Tageslicht. Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg), beschirmt von Diener Jakob (Alexander Herbst).

© Grandfilm

Im Kino: die Vampirkomödie "Blutsauger": Bourgeoisie mit Biss

Die Kinder von Marx und Dracula: In Julian Radlmaiers Diskurskomödie Blutsauger verliebt sich ein Prolet in eine Kapitalistin.

So langsam wird Julian Radlmaiers filmische Auseinandersetzung mit dem Marxismus zur Obsession. Was kein Schaden ist, wenn dabei so ein origineller Mummenschanz wie „Blutsauger“ herauskommt.

Ebenso wie seine Satire „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, die 2017 vom vermeintlich klassenkämpferischen Zusammenprall eines Berliner Salonkommunisten mit osteuropäischen Wanderarbeitern auf einem Apfelhof in Brandenburg erzählte, wurde auch der zweite Langfilm des Dffb-Absolventen auf der Berlinale uraufgeführt – nicht mehr in der Nachwuchssektion Perspektive Deutsches Kino, sondern in der extra arty Wettbewerbsreihe Encounters.

Darstellprofis, Freunde und Käuze

Tatsächlich fällt Radlmaiers crazy Mischung aus Historiendrama, Romanze, Vampirklamotte, Politparabel und literarischem Filmessay in Kapitelunterteilung gereifter, aber auch statuarischer aus als das fragmentarisch-frische Debüt. Ein A-Liga-Team komplettiert Radlmaiers typische Darstellertruppe aus Laien, Freunden und Käuzen.

Lilith Stangenberg führt die Profis an. Mit blassem Teint und lässiger Eleganz besticht sie in der Rolle der reichen Fabrikantentochter Octavia Flambow-Jansen als idealtypische Verkörperung bourgeoiser Dekadenz.

Das Sommermärchen mit bösem Erwachen beginnt am Ostsee-Strand: „An einem Dienstag im August 1928“.

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In den Dünen hockt ein Lesezirkel und debattiert über Karl Marx’ „Kapital“. Ist der Kapitalist nun ein Blutsauger und das Kapital „verstorbene Arbeit, die sich nur vampirmäßig belebt durch das Einsaugen lebendiger Arbeit“, wie es im Text heißt? Oder ist der Blutsauger nur eine missglückte Metapher, wie die streng beschlipste Intellektuelle glaubt, die den Zirkel leitet? Die Diskutanten bleiben uneins.

Einige tragen Kostüme der zwanziger Jahre, andere nicht. Am Horizont tanzen die bunten Gleitschirme der Kitesurfer. Im Radlmaier-Erzählkosmos weist die Vergangenheit in die Gegenwart und umgekehrt. Beides verschmilzt zu einer symbolträchtigen Einheit, in der im Fabrikantenhaushalt als derber Gag Cola-Dosen an den amerikanischen Lifestyle gemahnen, den die von Deutschland gelangweilte Octavia anstrebt.

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["Blutsauer - eine marxistische Vampirkomödie" läuft ab 12.5. in zehn Berliner Kinos.]

In die USA genauer nach Hollywood, zieht es auch den Schauspieler Ljowuschka, der – verkleidet als ein von den Kommunisten verfolgter Baron – im Seebad strandet und sofort Octavias begehrliche Blicke auf sich zieht. Den Sowjetbürger, der bei Stalin in Ungnade gefallen ist, weil er in Sergej Eisensteins Film „Roter Oktober“ dessen Rivalen Leo Trotzki spielte, verkörpert Radlmaiers Regiekollege Alexandre Koberidse. Die beiden haben zusammen an der Dffb studiert. Der Georgier hat mit „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ gerade selbst eine zauberhafte Romanze im Kino.

Die Frau hat Durst: auf Blut

Nur romantisch sind Octavias Gefühle für den alsbald enttarnten, falschen Baron denn auch nicht. Die Frau hat Durst: auf Blut. Und Jakob (Alexander Herbst als reiner Tor), ihr ebenfalls in sie verliebter Diener, wird zusehends anämischer. Da kommt der stattliche Russe gerade recht. Seine Erfahrung in der Filmbranche ermuntert Octavia, die „Muße, Poesie und Abenteuer, aber bloß keine Arbeit“ will, zu einer eigenen Filmproduktion. Geld ist bei Kapitalistens ja packenweise da.

Schon ahmt Radlmaier als Film-im- Film die erotisch aufgeladenen Stummfilmposen klassischer Vampirdramen nach. Nur dass Octavia alles andere als ein Opfer ist. So wenig wie Dr. Humburg (Andreas Döhler) und die herrische Tante Erkentrud (Corinna Harfouch), die die Kommunisten mehr als Geschäftshindernis fürchtet als die Faschisten. „Mit denen kann man wenigstens reden“, tönt sie.

Lakonie und reichlich Bezüge

Ein blutig endendes Missverständnis der wilhelminisch geprägten Konservativen in der Weimarer Republik, das Radlmaier in der kurzen Szene wie nebenbei benennt. Seine lakonischen Dialoge wimmeln von solchen politischen, filmischen- und literarischen Bezügen, die Harfouch, Stangenberg und Döhler mit gestelztem Spiel konterkarieren.

Was dem Vampirmythos der osteuropäische, also unzähmbare Aristokrat ist, dem erst Leibeigene und dann Westler zum Opfer fallen, sind dem Radlmaier die Reichen, die ihren Angestellten mit der Arbeitskraft auch den Lebenssaft rauben. Und die ihrer Klasse, ungeachtet romantischer Aufwallungen, Loyalität zollen – wie Octavia, die trotz gegenteiliger Beteuerungen eine Geschäftsfrau ihrer Emotionen bleibt.

In Panik gerät sie nicht mal, als der Plebs mit Fackeln und Forken vor der Tür steht. Ein Sündenbock für die Todesfälle wird gesucht und gefunden. In ruhigen, statischen Einstellungen rollt die Genremechanik in Radlmaiers Variante durch. Überdrehter Untoten-Klamauk à la Polanskis „Tanz der Vampire“ ist seine Sache nicht. „Blutsauger“ betreibt hintersinnigen Denker-Humor.

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