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Der Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen) lässt sich von der urbanen Legende des Candyman inspirieren.

© Universal

Horror-Remake „Candyman“ im Kino: Wenn Rassismus zur Ware wird

Realer Horror statt Black Trauma Porn: In Nia DaCostas Neuverfilmung des Klassikers „Candyman“ wird der Blutrausch zur Erinnerungsarbeit.

Von Andreas Busche

Im Sommer 2020 erlebte der Hashtag #SayHisName ein trauriges Comeback. Nach der Ermordung von George Floyd durch einen weißen Polizisten skandierten weltweit Hunderttausende die Forderung auf Black-Lives-Matter-Demonstrationen. In Erinnerung an Floyd, aber auch an die vielen Opfer von Polizeigewalt: Philando Castile, Breonna Taylor, Trayvon Martin, Michael Brown, Eric Garner, Tamir Rice – um nur einige zu nennen. Zusammen mit „I can’t Breathe“, George Floyds letzten Worten, beschreibt der Satz das Trauma des Rassismus in der amerikanischen Gegenwart.

Im Horrorgenre haben die Worte „Say his Name“ noch eine Vorgeschichte. Wieder geht es um den Rassismus, nur ist das Trauma diesmal metaphysischer Natur. Fünf Mal müsse man den Namen des Candyman in einen Spiegel sprechen, so lautet die urbane Legende im gleichnamigen Klassiker von 1992, dann erscheine der afroamerikanische Boogeyman mit dem Hakenarm und dem Bienenschwarm im Brustkorb. Die Worte waren eine Mutprobe: Traust du dich, den Fluch heraufzubeschwören?

Auch der Candyman wurde im 19. Jahrhundert Opfer weißer Gewalt. Weil der Maler Daniel Robitaille die Tochter eines weißen Mannes liebte, lynchte ihn ein wütender Mob. Seitdem, so heißt es, suche er seine alten Jagdgründe in Chicago heim, auf denen in den sechziger Jahren das Sozialbauexperiment Cabrini-Green errichtet wurde.

Cabrini-Green gibt es längst nicht mehr, 2011 wich der letzte Wohnkomplex Luxusappartements. Nur die urbane Legende hat die Gentrifizierung überlebt. „Say His Name“ hat Anthony (Yahya Abdul-Mateen II), einst „die schwarze Hoffnung der Kunstszene von Chicago“ sein neuestes Werk genannt. In Nia DaCostas „Candyman“-Adaption ist die doppelte Bedeutung des Satzes bereits signifikant.

Schwarzes Trauma und weißer Kunstmarkt

Anthony sucht für seinen Werkzyklus Inspiration bei der urbanen Legende; der weiße Kunstmarkt reißt sich um schwarze Künstler, die den strukturellen Rassismus Amerikas verarbeiten. Der Candyman-Mythos enthält alles: Polizeigewalt (in einer Rückblende), die Diskriminierung der Stadtentwicklung, einen Lynchmord. Anthony hat das schwarze Trauma für den Markt kommodifiziert. Oder wie die weiße Kunstkritikerin über seine Arbeit urteilt: „Sie spricht in didaktischen medialen Klischees über die räumliche Gewalt der Gentrifizierungswellen.“

Die Neuinterpretation von „Candyman“ (halb Sequel, halb Reboot) kommt zu einem Zeitpunkt in die Kinos, da die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Sklaverei und White Supremacy – gerade mal vier Jahre nach Jordan Peeles „Get Out“ – in der Kulturindustrie selbst schon Warencharakter besitzt. Vergleichbar mit den Diversifizierungsstrategien der Streamer (die „bunte“ Besetzung von „Bridgerton“, eine Emily Dickinson für die Generation Z), hat das Horrorgenre im Thema Rassismus eine Nische gefunden; ganz vorne dabei ist Peele, der sowohl „Candyman“ als auch die Serien „Lovecraft Country“ und „Twilight Zone“ produzierte.

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„Black Trauma Porn“ wird dieses Genre inzwischen genannt, da es unbewusst auf die Angstlust an der Gewaltdarstellung gegen Schwarze abzielt – kritisch zwar, aber medial fetischisiert. Oft stehen hinter diesen Filmen afroamerikanische Akteure wie Peele; die Produzentin Lena Waithe etwa, deren Serie „Them“ nicht ganz unberechtigt als black torture porn kritisiert wurde. Regisseurin und Autorin Nia DaCosta reflektiert mit „Candyman“ bereits die offenen Wunden dieses Traumas – auch als Warenfetisch. Es ist die deutlichste Änderung gegenüber dem Original.

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Der Candyman verkörpert das schwarze Kollektiv

Vor dreißig Jahren stellte Tony Todds cooler, charismatischer Boogeyman aus dem „Ghetto“ noch ein Novum im Horror-Sequelwahn um die Plaudertasche Freddy Krueger dar. Dennoch bewies Regisseur Bernard Rose schon damals Sensibilität für die Themen Rassismus und kulturelle Aneignung. Bei ihm schrieb die von Virginia Madsen gespielte Studentin eine Doktorarbeit über die urbane Legende – und betrat fremdes Terrain. Der Künstler Anthony ist nun selbst Teil des Problems, die Vorhut der sozialen Verdrängung.

Doch fragte man sich bei Ross noch, warum der Geist eines Lynchopfers die Bewohner einer Sozialbausiedlung verfolgte, findet DaCosta für das Problem eine patente Lösung. Der Candyman, der Anthony heimsucht und seinen Körper infiziert, tötet nur Weiße: den Galeristen, dessen Hipster-Assistentin, tussige Schulmädchen – und natürlich die Kunstkritikerin. DaCosta hat sichtlich Spaß mit dem Genre, findet wie Jordan Peele Gefallen am Blutrausch: im bläulich-roten Licht des White Cube, vor dem Hintergrund der sachlichen Architektur im gentrifizierten Chicago. Vor allem aber vermeidet sie trotz ihrer glatten Inszenierung die Fallen des „Black Trauma Porn“.

So wird „Say His Name“, als Aneignung des blutigen Mythos, zur Chiffre einer Erinnerungsarbeit: Bei DaCosta ist der Candyman kein böser Geist, er ist das afroamerikanische Kollektiv. Im Original vermutet Madsens Figur, dass die Bewohner von Cabrini-Green als Rationalisierung ihrer jahrhundertelangen Gewalterfahrung an der Legende festhalten. Im Remake manifestiert sich die These nun, manchmal überdeutlich: „Obviously in the Wrong Place“, heißt eine andere Arbeit Anthonys.

Seine Freundin, die Starkuratorin Brianna (Teyonah Parris), spricht das Offensichtliche aus: „Weiße haben das Ghetto errichtet und, als sie es realisierten, wieder ausgelöscht.“ Der Candyman, der sich in Reflexionen und Spiegeln fortbewegt, sucht wieder einen Körper. Dies bedeutet letztlich aber, über die Vergangenheit nicht zu schweigen. (In zwölf Kinos in Berlin und Potsdam (auch OV/OmU)

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