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Zugehörigkeit gesucht: Serkan Sarier malt ein Wesen in stetem Wandel.

© Serkan Sarier

„Generation Kanacke“: Migrationshintergrund in Öl

Wie lange dauert es, bis man Deutscher wird? Das fragt der Künstler Serkan Sarier in seiner Schöneberger Ausstellung „Generation Kanacke“.

Zum Jahrestag des Anwerbeabkommens, das Deutschland vor 60 Jahren mit der Türkei geschlossen hat, werden gerade auch oft die Kinder der Gastarbeiter befragt: nach ihrer Sicht auf Identität. Nach Chancen und Integration. Einer von ihnen meldet sich nun mit einer markigen Zeile zu Wort – und mit Kunst. Der Titel von Serkan Sariers Ausstellung lautet „Generation Kanacke / (DER SPIEGEL Nr.31 / 29. Juli 1973)“. Die ephemeren Wesen, die in seinen Landschaften zerfließen, die goldenen Hintergründe, wollen nicht so recht dazu passen.

Er habe Deutschland verlassen müssen, sagt Serkan Sarier, um herauszufinden, wer er sei. Nun ist er nach zwölf Jahren in New York zurück. Er hat in Antwerpen und London Kunst studiert, ist inzwischen mit einem jüdischen Mann verheiratet. Und trotz erfolgreicher Selbstfindung und Neudefinition hat er den Kanacken immer noch im Gepäck.

Ein Leben als Hybridwesen

Seine Skulpturen und Gemälde sind geprägt von der Erfahrung, gleichzeitig Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie und deutscher Staatsbürger zu sein. 1979 in Hanau mit türkischem Vater und bosnischer Mutter in einem muslimischen Haushalt aufgewachsen, nennt er sich ein „Hybridwesen“, geprägt von kollidierenden Werten, nicht ganz Türke, nicht ganz Deutscher, immer zwischen den Welten, permanent in Transformation.

Die Figuren in seinen Ölgemälden fassen diesen Zustand ins Bild. Die Körper bilden Leerstellen. Wo Brust und Gliedmaßen sein sollten, scheinen die goldenen und kupfrigen Hintergründe durch. Kneift man die Augen etwas zu, verschwimmen die menschlichen Leiber für einen Moment mit der Landschaft und treten im nächsten Augenblick wieder daraus hervor.

Schickes 70er Jahre-Ambiente: Der Künstler Serkan Sarier mit seinen Bildern im Gemeindesaal der Zwölf-Apostel Kirche.
Schickes 70er Jahre-Ambiente: Der Künstler Serkan Sarier mit seinen Bildern im Gemeindesaal der Zwölf-Apostel Kirche.

© Serkan Sarier

Zwölf Bilder stellt Sarier im Gemeindesaal der Zwölf-Apostel-Kirche aus, je zu vieren gruppiert. Er sieht sie als Prolog zu einer mehrteiligen „Generation Kanacke“-Reihe. Dass er nicht im „White Cube“ ausstellen, die Kunst nicht vom Leben separieren will, war für Sarier klar. Dass er den Raum der Schöneberger Kirchengemeinde fand, in den sich seine Bilder nun kongenial einfügen, war dann Zufall und der Offenheit des Pfarrers zu verdanken.

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Ein „Spiegel“-Artikel, randvoll mit Klischees und Herabwürdigungen

Natürlich beginnt man sofort zu rätseln, was es mit dieser Spiegel-Ausgabe auf sich hat, die Sarier zitiert. 1973 endete das Anwerbeabkommen mit der Türkei. Ist es das? Man braucht schon den Künstler, der Auskunft gibt. Sarier bezieht sich auf eine Titelstory mit der Überschrift „Die Türken kommen – rette sich wer kann“.

[Zwölf-Apostel Kirche, Schöneberg, bis 8. 11., Fr-So 11-19 Uhr, Mo 12-17 Uhr]

Die deutschen Ballungszentren seien von Ausländern überlaufen, heißt es in dieser Juliausgabe des „Spiegels“ von 1973. Von „Invasion“ und Gettos ist die Rede, von „orientalischem Singsang“, der in Kreuzberg aus der Musikbox „leiert“ und davon, dass die Türken „sich redlich mehren“. Nein, man würde das heute nicht mehr so schreiben. Und hoffentlich auch nicht denken. Ob und wie sich der Blick wandelt, ist eine der Fragen, die Sarier stellt. In seiner Kunst forscht er nach dem Widerhall dieser Worte in sich selbst. Wie lange bleibt man ein Kanacke? Wie lange vererbt sich das Gefühl der Ablehnung von Generation zu Generation?

Wo stehen wir jetzt?

In einer Ausstellung in den Reinbeckhallen, wo Sarier 2020 Residenzgast war, umkreiste er den Begriff Subalternität, die Bereitschaft, sich unterzuordnen. Die Skulpturen, die er dort zeigte, sahen aus wie zusammengekrümmte Körper, auf Gitterrosten drapiert, mit Autolack besprüht. Eine Referenz an die Industrie, in der viele Türken beschäftigt waren.

Den Blick zurück und nach vorne hätte Sarier im Rahmen seiner Ausstellung gerne mit einem „Spiegel“-Redakteur diskutiert. Revidiert und neu bewertet wird derzeit allerorten, in Museen, in der Literatur, im Film, in der Sprache. Es könnte durchaus fruchtbar sein, wenn auch Journalist:innen sich dazu verhielten, in welchem Ton und mit welchem Blick ihre Vorgänger schrieben.

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