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Frank Castorf feiert 70. Geburtstag: Der Theaterräuber

Berlins lebende Bühnenlegende: Gratulation an Frank Castorf. Er ist aktiv wie eh und je.

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Als er kürzlich am Berliner Ensemble nach der mehrmals verschobenen „Fabian“-Premiere zum Applaus auf die Bühne kam, war nichts von grauer Pandemie zu sehen. Das Haar fiel lang in den Nacken, und er trug ein lässig-sommerliches Outfit. Eine Erscheinung wie ein Partykönig von Mallorca. Nach fünf Stunden recht zähem, übersteuertem Theater freut man sich dann doch, den Regisseur so gut beieinander zu sehen, auch wenn im Stück in einigen kryptischen Texteinlagen von erheblichen Beziehungsproblemen die Rede war.

Das Vergangene spielt bei Castorf und seinem Publikum stets mit. Früher, am Rosa-Luxemburg-Platz, vor und nach der Vorstellung und mittendrin fühlte es sich manchmal an wie auf einem Ballermann für Intellektuelle und Aktivisten. Frank Castorf, der an diesem Samstag seinen 70. Geburtstag feiert, war schon immer mehr als die einzelne Inszenierung. Und die Volksbühne, die er von 1992 bis 2017 mitunter recht locker und aus der Distanz leitete, war immer mehr als er: ein Haus für Abenteuer, krasse Experimente, ein hart erarbeitetes Schauspielerparadies. Castorf und die Volksbühne, das geht als Begriffspaar in die Geschichte ein. Wobei er sich, als es zu Ende war, längst freigemacht hatte aus der Verankerung. Während er schon wieder als Inszenator hier und dort fleißig war, trauerten die Vasallen noch.

Wie hätte man die Energie des Aufschwungs auch konservieren können? Christoph Schlingensief starb, der Dramaturg Matthias Lilienthal ging eigene Wege, wie Herbert Fritsch, der im Triumph zurückkehrte als Komödienmeister, Christoph Marthaler nicht zu vergessen. Und auch René Pollesch gehört dazu – er übernimmt zur nächsten Spielzeit das große, schwierige Haus.

Der Mann ist Geschichte

Kurz zurückgespult: Castorf hat, seitdem er nicht mehr Intendant ist, an der Deutschen Oper inszeniert, mehrmals am BE, an der Hamburger Staatsoper und am Deutschen Schauspielhaus, in der Schweiz ist er gern gesehen, demnächst geht es nach St. Pölten. Kein Haus ist vor ihm sicher. Langweilen muss er sich nicht, er hat einige Kinder von mehreren Müttern. Vielleicht der letzte Patriarch des deutschsprachigen Theaters. Dass man seine wiederkehrenden Inszenierungsticks auch als frauenfeindlich erleben kann, war niemand je so richtig aufgefallen. Frank, wie ihn viele nennen, ob sie nun mit ihm eng zusammenarbeiten oder nicht, genießt einen Sonderstatus. Er besitzt etwas, das mit nichts aufzuwiegen wäre: Humor. Harten Berliner Witz. Und Stehvermögen.

Als er vor vielen Jahren bei einem Gastspiel der Volksbühne in Stockholm mit halbstündiger Verspätung und dickem Kater zu einem Podiumsgespräch doch noch erschien, rieben sich die Leute die Augen. Er stotterte los, haspelte herum, um in einen endlosen, starken Monolog über Ibsen und die Klassiker einzubiegen. Er inszeniert, wie er redet. Und als er ein paar Jahre später Dostojewskis „Spieler“ umsetzte, unterbrach er einmal die Probe, um in dem Roman zu lesen. „Ist ja irre, wie das weitergeht, das glaubt ihr jetzt nicht“, soll er dann zu den Schauspielern gesagt haben, die auf der Bühne herumstanden und warteten.

Castorf ist immer für Geschichten gut, Castorf ist Geschichte. Das ist er wahrscheinlich seit dreißig Jahren, als es mit den „Räubern“ in der Volksbühne begann. Am richtigen Platz zu sein, zur richtigen Zeit, ist eine seltene Begabung. Noch seltener ist, wenn es jemand schafft, diesen Moment über lange Jahre auszudehnen.

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