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Getränke aufs Haus. Szene aus der Barockoper „La Corona d’Arianna“.

© N. Milatovic

Festival Styriarte: Mehr Kürze, mehr Würze

Das Grazer Musikfestival Styriarte steht dieses Jahr unter dem Motto „Auf Reisen“ und nutzt Erfahrungen aus der Pandemie zum Umdenken.

Graz ist eine Stadt mit italienischem Flair und genussvoller Lebensart. 2003 war die Hauptstadt der Steiermark Kulturhauptstadt Europas, was ihr unter anderem den futuristischen Neubau des Kunsthauses an den Ufern der Mur – genannt „Friendly Alien“ – und die schwimmende Murinsel-Plattform einbrachte.

Neben der barocken Altstadt gibt es reichlich neue Architektur und Sinn für technische Innovationen, etwa in der nachhaltig konzipierten Smart City. Das jährlich stattfindende Musikfestival Styriarte zählt seit 1985 zu den Säulen des reichen Grazer Kulturlebens. Der hier aufgewachsene Dirigent und Pionier der historischen Aufführungspraxis Nikolaus Harnoncourt war bis zu seinem Tod die prägende Figur der weithin ausstrahlenden Veranstaltung.

Vier Chöre kommen auf verschiedenen Wegen zur Konzerthalle

Dieses Jahr steht Styriarte unter dem Motto „Auf Reisen“. Zum Eröffnungskonzert geht es mit der Straßenbahn in die Smart City zur Helmut. Die Tram, die hier „Bim“ heißt, ist voll, und schnell fällt eine Gruppe mit Styriarte-T-Shirts auf, die sich lautstark verständigt und wild improvisierend warmsingt.

Wie sich herausstellt, handelt es sich um den Herzogenberg Kammerchor; der Tram-Flashmob ist bereits Teil des Eröffnungskonzerts, das unter dem Motto „Die Sternfahrt zu Graz“ vom steirischen Komponisten Denovaire konzipiert wurde. Vier Chöre bewegen sich zu Fuß, per Tram, Zug oder Fahrrad zur Konzerthalle und vereinen sich dort. Im Saal erklingt dann eine Art angeleiteter Improvisation, stimmstark, sympathisch chaotisch und trotz schräger Töne niedrigschwellig zugänglich durch die Mitwirkung der bunt gemischten Laienchöre.

Das experimentelle Werk hat Festivalintendant Mathis Huber in Auftrag gegeben. Huber hatte Glück in den letzten zwei Jahren, das Sommerfestival konnte trotz der Pandemie stattfinden, wenn auch mit Einschränkungen. Zudem hat er einen treuen Kundenstamm.

Aber auch Styriarte erlebt bei der Auslastung einen Rückgang um etwa 25 Prozent. „Überwiegend heißt es, die Menschen wollen sich nach wie vor nicht gefährden“, sagt Huber. Sicher gebe es auch solche, die im Lockdown merkten, dass ihnen gar nichts fehlte, weil das Kulturleben kein entscheidender Teil ihres Lebens sei. „Wir müssen uns davon verabschieden, zu erwarten, dass Kunstbegegnung für die Leute nach wie vor so etwas wie ein Gottesdienst ist“, so der Intendant.

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Seit der Coronakrise ist viel vom Live-Erlebnis die Rede, das nicht zu ersetzen sei, aber auch vom sozialen Faktor, den ein Konzert- oder Theaterbesuch bietet. Huber hält den für überschätzt: „Wir haben gelernt, dass wir das Format Konzert falsch eingeschätzt haben, aus der Routine der Jahrhunderte heraus. Wir haben gedacht, dass die neuen, gekürzten Formate vielleicht eine Einschränkung für unser Publikum sind, aber das Gegenteil war richtig. Die Besucher:innen waren begeistert: Die kompakten Formate sind ein großartiges Konzerterlebnis, die Pause ist uns eh immer auf die Nerven gegangen!“

Mathis Huber hat auf diese Erfahrung reagiert und präsentiert auf dem Festival ausschließlich kurze Programme ohne Pause. Selbst barocke Opern werden in Graz in gekürzter Fassung gezeigt. Seit Jahren ist der steirische Barockkomponist Johann Joseph Fux eine wichtige Säule des Programms, er war laut Huber ein „steirischer Bauernbub mit verblüffender Karriere, der es als Hofcompositeur in Wien zur Nummer 1 der Musikwelt brachte“.

Der aufreizend schlechte Geschmack sorgt umgehend für Heiterkeit

Die Hofkapelle, damals die größte musikalische Einheit der Welt, hatte laut Huber über 100 Angestellte, nur für die Hofmusik. Die Opern, die Fux komponierte, waren ein exklusives Vergnügen, er musste nicht für einen breiten Geschmack komponieren, sondern für das geschulte Ohr des Kaisers. Etwa 200 bis maximal 400 Menschen kamen in den Genuss seiner Bühnenwerke, dann verschwanden sie im Archiv.

Die Aufführung von „La Corona d’Arianna“ von 1726 findet im Arkadenhof des Schlosses Eggenberg unter freiem Himmel statt. Regisseur Adrian Schvarzstein verlegt das Geschehen in einen mediterranen Club in der Flower-Power-Zeit der 70er-Jahre. Ausstatterin Lilli Hartmann langt tüchtig zu, verpasst den Damen gigantische Frisurentürme, den Herren grauenhafte Wuschelperücken und imposante Koteletten.

Der aufreizend schlechte Geschmack sorgt umgehend für Heiterkeit, im lässigen Club-Happening-Ambiente wird das Publikum von Strizzi-Kellnern empfangen, mit Ouzo aufs Haus. Das Zefiro Barockorchester unter der Leitung von Alfredo Bernardini als Helge-Schneider-Lookalike serviert derweil eine 75-minütige Fassung der Oper.

Unter Aussparung verwirrender Nebenhandlungen wird nur den Kern der Geschichte zeigt: Venus ist eine routinierte Parship-Agentin und versucht, die von Theseus verlassene Ariadne mit Bacchus zu verkuppeln sowie seinen Freund Peleus mit Thetis. Das klappt ziemlich reibungslos. Omnipräsent ist dabei der famose Arnold Schönberg Chor aus Wien, der Fux’ üppig auskomponierte Chöre mit viel Emphase über die Rampe bringt. Das Orchester spielt die subtile Partitur delikat, das zu jedem Firlefanz bereite Ensemble agiert musikalisch stilsicher und durchweg stimmschön.

Die Stimmung ist aufgeräumt, die Krisen dieser Welt scheinen weit weg zu sein. Mathis Huber hat mit „Auf Reisen“ bewusst auf ein heiteres Sujet gesetzt, das Festival läuft noch bis 24. Julie. „Nachdem wir gedacht haben, Covid geht so langsam in die Geschichte ein, waren wir froh über ein heiteres Thema, das wieder aufatmen lässt. Die Idee stimmt nach wie vor, auch mitten im Krieg. Wir müssen fit bleiben und wir müssen im Sommer Kraft tanken, weil wir im Winter vielleicht nichts zum Heizen haben.“ Barockoper als mentale Stärkung, warum nicht. Regine Müller

Regine Müller

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