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Alicia Vikander, Sydney Kowalske und Justin Chon in „Blue Bayou“.

© Focus Features

Familiendrama „Blue Bayou“ im Kino: Plötzlich kein Amerikaner mehr

Als adoptiertes Kind kam Antonio LeBlanc aus Südkorea in die USA – jetzt soll er abgeschoben werden. Justin Chons Regiedebüt „Blue Bayou“.

Die erste selbstgedrehte Sommerrolle sieht kläglich aus: Antonio LeBlanc, der mit drei Jahren aus Südkorea nach Louisiana gekommen ist, von einer amerikanischen Familie adoptiert wurde und dort nun schon seit über 30 Jahren lebt, ist auf der vietnamesischen Gartenparty ein Amerikaner – und von der für ihn fremden Esskultur überfordert. Identität ist ein soziales Konstrukt, das macht diese traumartige, von bunten Lichterketten eingerahmte Szene in Justin Chons Regiedebüt „Blue Bayou“ deutlich. Und sie lässt für eine Weile die bedrohliche Realität Antonios vergessen.

„Deportation Order“ lautet der Gerichtsbeschluss, von dem Antonio – gespielt von Justin Chon selbst – durch einen Justizfehler plötzlich wieder zu einem in den USA nicht geduldeten Migranten gemacht wurde. Die Widersprüchlichkeit zwischen seinem sympathisch-kauenden Südstaatenakzent und der lebensfremden, amerikanischen Immigrationspolitik spiegelt sich in den ungläubigen Worten seiner Ehepartnerin Kathy (Alicia Vikander) wider: „Listen to him! Look at him! He’s American!“ Langsam nähert sich die Kamera dabei Antonios Gesicht, der zunehmende Druck wird greifbar.

Nachdem er sich gegen den unberechtigten Festnahmeversuch eines Polizisten zur Wehr setzt, sind die Folgen ebenso irreal wie erschütternd: Sollte Antonio nicht beweisen können, „ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft“ zu sein, müsse er die USA verlassen und nach Südkorea „zurückkehren“. Auf diese Weise kippt Postmigration wieder in Migration. Sein Status, von Antonio bisher unhinterfragt, wird zurückgesetzt.

Ein Leben, geprägt von Armut und mangelnden Alternativen

Antonio und Kathy haben zwar mit Geldproblemen zu kämpfen, ihre Liebe zueinander und zu Jessie, Kathys Tochter eines anderen Mannes, vermag das aber nicht zu mindern. Insbesondere die schauspielerische Leistung der noch sehr jungen Sydney Kowalske trägt die berührenden Sequenzen zwischen Stiefvater und Tochter. Kowalske ist schon fast zu überzeugend in ihrer Rolle als Kind, das die Tragik der Ereignisse zwar nicht versteht, aber umso stärker spürt.

Jessie ist auch anwesend, als die Frage während eines erfolglosen Bewerbungsgesprächs, wo Antonio denn „geboren“ worden sei, offenlegt, dass er nach wie vor Diskriminierung auf mehreren Ebenen ausgesetzt ist. Seine Vergangenheit lässt sich im Laufe des Films puzzlehaft zusammensetzen. Sie ist geprägt von Armut, verwehrten Bildungszugängen und mangelnden Alternativen – so ist Antonio etwa Analphabet und war in zwei Diebstähle verwickelt.

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[„Blue Bayou“, Kino Central, Kino in der Kulturbrauerei, CinemaxX Berlin, Rollberg Kino

Zentral ist Antonios Freundschaft mit der krebskranken Parker (Linh Dan Pham), die mit ihrer Familie aus Vietnam floh. Die friedliche, von „Bayous“, den mystischen Sumpflandschaften Louisianas, durchzogene Gegend wird zu ihrem Rückzugsort. Regisseur Chon, bekannt als Schauspieler aus der „Twilight“-Saga, nutzt das ruhige Wasser als zentrales Motiv, um einen Brückenschlag zwischen den irgendwie ähnlichen, aber auch komplett verschiedenen Vergangenheiten Antonios und Parkers herzustellen.

Unbestimmte Sehnsucht nach mütterlicher Liebe

Während die Bayous Parker an ihr früheres Leben in einem vietnamesischen Delta erinnern, welches sie sich in Form einer Wasserrose vom Tattoo-Künstler Antonio symbolisch auf ihren Körper tätowieren lässt, lösen die langsam dahinfließenden Gewässer in ihm keine nostalgischen Gefühle für ein nie gekanntes „Zuhause“ in Südkorea aus. Stattdessen verschmelzen die trägen Wassermassen in Parallelmontagen mit entfernten Erinnerungen an seine leibliche Mutter. Antonios Geburtsland ist für seine Identität unbedeutend und existiert nur in Form einer unbestimmten Sehnsucht nach mütterlicher Liebe weiter.

Dennoch bauen Parker und Antonio ein schwer zu fassendes, sehr enges Verhältnis auf. Die dokumentarisch anmutenden Kamerafahrten in „Blue Bayou“ heben die realen Hintergründe der fiktiven Geschichte hervor. Justin Chon lässt vor dem Abspann Fotos von Menschen einblenden, die das gleiche Schicksal wie Antonio getroffen hat. Ein eindringliches Independent-Debüt.

Sebastian Restorff

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