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Legende zu Lebzeiten. Eric Clapton in der O2-World – im Hintergrund Drummer Steve Jordan.

© Davids/Darmer

Eric Clapton in Berlin: Gitarrengötterspeisung

Bluesrock forever: Eric Clapton feiert in Berlin sein 50. Bühnenjubiläum.

Von Gregor Dotzauer

Als der Blues in den sechziger Jahren an die Themse kam, war der Teufel schon lange nicht mehr mit im Spiel. Ein Höllenpakt, wie ihn Robert Johnson rund 30 Jahre zuvor zur Erlangung gitarristischer Fähigkeiten abgeschlossen haben soll und mit Leid für die Familie und frühem Tod bezahlte, war allein deshalb nicht mehr nötig, weil B.B. King und Chuck Berry die schwarze Musik erfolgreich elektrifiziert und das weiße London unter Strom gesetzt hatten. Weit entfernt von Johnsons Mississippi Delta zerrte der Blues, vom Rock’n’Roll befeuert, an den Saiten unzähliger Bands, doch nur wenige verliehen ihm ein so eigenes Gepräge wie Eric Clapton. Bei den Yardbirds, bei John Mayalls Bluesbreakers und vor allem beim Supertrio Cream mit Jack Bruce und Ginger Baker jagte er Blueslicks durch die Röhrenverstärker, dass auch das traurigste Herz ins Jubilieren kam.

Das alles ist ein halbes Jahrhundert her. Mit der Legendenbildung hat eine Historisierung eingesetzt, die Clapton selbst mit seinem Crossroads Guitar Festival in Schach hält, das die Bluesrockhelden der Gegenwart präsentiert. Und zumindest auf seinen Studioaufnahmen ist die Kraft von einst oft nur noch eine ferne Erinnerung. Mit „Old Sock“ hat er zuletzt ein Coveralbum von niederschmetternder Belanglosigkeit veröffentlicht: Das ist nicht mal alter Schweiß in neuen Strümpfen, es ist gesichtsloses Easy Listening. Wenn man ihn nicht an seiner kehligen Stimme erkennen würde – als Gitarrist wäre er damit tot.

Was er zu seinem 50-jährigen Bühnenjubiläum allerdings live in die Berliner O2-World zaubert, ist nicht weniger als eine Transsubstantiation. Saftiger kann man es mit 68 Jahren nicht treiben, und dass er im Lauf von über zwei Stunden allein drei Versionen von Robert-Johnson-Songs unterbringt, zeigt, wo seine Loyalitäten liegen. Vielleicht ginge es weniger routiniert, aber dafür haben er und seine sechs Begleiter (plus zwei Background-Sängerinnen) die Maschine in Sekundenschnelle hochgefahren. Insbesondere Drummer Steve Jordan knüppelt die Band in einen stabilen Groove, und Greg Leisz bringt mit seiner Pedal Steel Guitar auch die abgespieltesten Nummern noch einmal zum Singen.

Es beginnt mit einem akustischen „Hello Old Friend“ und endet mit einem elektrischen „Cocaine“. Dazwischen Klassiker wie „Badge“ und „Layla“, wobei vor allem Claptons akustische Intermezzi von souveräner Lässigkeit leben. Es fehlt nur jedes belebende Wort ans Publikum: Außer „Thank You“ bekommt es nicht viel zu hören. Organist Paul Carrack darf bei „Come Rain Or Come Shine“ auch als Sänger glänzen, und der zweite Gitarrist Doyle Bramhall II ist absolut talentsymmetrisch – bis hin zu seinem Linkshändertum.

Zum Schicksal solcher Großkonzerte gehört, dass ihnen mit dem letzten Quäntchen Zufall auch jedes Risiko ausgetrieben worden ist. Die Setlist gilt seit Anfang der Tour im März fast unverändert. Jedes Stück ist durcharrangiert, kein Extrachorus möglich. Und zwischen den Stücken huschen dienstbare Geister über die Bühne, um als Operationsassistenten das richtige Gerät herbeizuschaffen: Schwester, jetzt bitte die Metzenbaumschere mit der Stratocaster und anschließend den Thermokauter mit der Martin!

Das Ereignishafteste dieser Gitarrengötterspeisung der 17 000 bleibt mangels Ansage somit fast unbemerkt. Bei den Zugaben taucht plötzlich ein weiterer Gitarrist auf, um bei „Sunshine Of Your Love“ und Joe Cockers „High Time We Went“ einzusteigen. Anders als Clapton, der in seinen Dreifingersoli die immer gleichen pentatonischen Muster bemüht, rast er vierfingrig über das Griffbrett, immer bemüht, die Musik melodisch und harmonisch aufzusprengen. Der Übervirtuose mit Basecap und Holzfällerhemd ist der New Yorker Kurt Rosenwinkel und – als Erbe von Pat Metheny und Allan Holdsworth – mit seinen gut 40 Jahren der stilbildende Jazzgitarrist seiner Generation.

Slowhand Clapton gegen Rockethand Rosenwinkel: Rein mathematisch liegt Clapton bei diesem Rennen mit 25 Prozent Motorikpotenzial im Rückstand, und müsste er in Rosenwinkels Band mitspielen, wäre sein Untergang besiegelt. Doch was Clapton kann, das kann er mit einer Sicherheit und Entschiedenheit und Flüssigkeit, die auch der Mann fürs Pyrotechnische nicht infrage stellt: Das Rockbrett lässt sich nicht einfach in einen fliegenden Jazzteppich verwandeln. Rosenwinkel, dieses Jahr zu Claptons Crossroads-Festival eingeladen, hat dieser Musik nichts Entscheidendes hinzuzufügen – außer seiner explosiven Lust am Spiel. Rock will be rock. Vielleicht steckt darin ja doch noch ein Teufel – wenn auch nur im schlichten Detail.

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