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Wolf Biermann zeigt Staatsministerin Monika Grütters Ausstellungsstücke aus seinem Archiv.

© Stefanie Loos/AFP

„Einzig wahrhaft gesamtdeutscher Dichter“: Staatsbibliothek zu Berlin feiert Erwerb des Wolf Biermann-Archivs

Manuskripte, Briefe, Tonaufnahmen: Das Archiv Wolf Biermanns gehört nun der Staatsbibliothek. Es wird nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

In einem Suppenkessel der Volksarmee waren sie viele Jahre unter der Erde versteckt: die Tagebücher, die der Liedermacher und Dichter Wolf Biermann seit seinem 17. Lebensjahr geschrieben hat.

Sein Freund, der Schriftsteller Reimar Gilsenbach, hatte sie kurz vor Biermanns DDR-Ausbürgerung 1976 aus dessen Berliner Wohnung mitgenommen und auf seinem Hof in Borowin versteckt. „In den nächsten 13 Jahren habe ich komplett vergessen, dass ich ihm die Tagebücher gegeben habe“, erzählt Biermann am Dienstag im Wilhelm-von-Humboldt-Saal der frisch eröffneten Staatsbibliothek zu Berlin.

Was dieses Vergessen zu bedeuten hätte, wisse er nicht, er sei nicht sein eigener Psychiater. „Irgendwas mit Freud“, schiebt er noch hinterher. Erst nach dem Fall der Mauer kamen die Erinnerung und die Tagebücher zu Biermann zurück.

An diesem Dienstag ist der 84-jährige Künstler zu einem Anlass nach Berlin gekommen, der einem erneuten Verschwinden und Vergessen Einhalt gebieten soll: Die Staatsbibliothek zu Berlin, die zur Bund-Länder-finanzierten Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört, hat mithilfe des Bundes und der Kulturstiftung der Länder das private und berufliche Archiv sowie die über 200 persönlichen Tagebücher von Biermann erworben.

Neben Noten, zahlreichen handschriftlichen Manuskripten, Ton- und Filmaufnahmen, Plakaten und Zeitungen enthält das Archivmaterial auch ausführliche Korrespondenzen, wie den Briefwechsel zwischen Biermann und dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

„Hinter meinem Rücken“ Material gesammelt

„Das mit diesem Archiv wäre so alles nicht passiert, wenn es nach mir gegangen wäre“, sagt Biermann zu Beginn des Festakts anlässlich der Archivübernahme. Dies sei vor allem seiner Frau Pamela Biermann zu verdanken, die seit den 80er Jahren „nicht gegen meinen Willen, aber hinter meinem Rücken“ Material gesammelt hätte.

Wolf Biermann, 1936 in Hamburg geboren, ging 1953 aus politischer Überzeugung in die DDR, wo er zu einem der schärfsten Kritiker der politischen Führung des Landes wurde. 1965 erhielt er ein absolutes Auftritts- und Publikationsverbot, 1976 ließ ihn die DDR nach einem Konzert in Köln nicht mehr in seine selbstgewählte Heimat.

Biermanns Ausbürgerung löste in Ost wie in West große Proteste aus.  Er selbst kehrte wieder in seine Geburtsstadt Hamburg zurück – sein Blick auf beide deutschen Staaten blieb stets ein kritischer. „Ich lieg in der beßren Hälfte // Und habe doppelt Weh“, wie er einmal sang.

Biermann neben Bach und Beethoven

Auf der Bühne in der Staatbibliothek nimmt Biermann die Anwesenden noch einmal mit auf diesen Lebensweg, musikalisch. Er singt „Berlin, du deutsche, deutsche Frau“, ein Lied, dass kurz nach dem Mauerbau entstand du zu einer Zeit „als ich noch der Gute war und nicht verboten“, wie Biermann sagt.

Und er singt die „Ballade vom preußischen Ikarus“, nicht ohne vorher einmal staunend „preußischer Kulturbesitz“ ins Publikum zu hauchen. Einer gewissen Ironie entbehrt es wohl nicht, dass er, der ewig Kritische, nun dazugehört.

Volker Gerhardt, Seniorprofessor für Philosophie an der Humboldt-Universität, würdigt denn Biermann in seinem Festvortrag auch als „einzig wahrhaft gesamtdeutschen Dichter“. Und Staatsministerin Monika Grütters stellt ihn in eine Reihe mit anderen Größen, deren Nachlässe ebenfalls von der Staatsbibliothek verwahrt werden: „Neben Beethoven und Bach steht jetzt eben auch Biermann“.

„Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte“

Das Biermann-Archiv sei ein „detailreiches Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte“. Der Ankauf sei für heutige und zukünftige Generationen wichtig, da es nicht zuletzt auch darüber Auskunft gebe, was es heiße, in einer Diktatur zu leben.

Biermann beweist am Dienstag einmal mehr, dass er vor allem auch ein großer Geschichtenerzähler ist. Er singt die „Ballade von der Mainacht in Paris“ und beschreibt, wie es ihm als Ostdeutschen ging, als er nach der Wahl des französischen Präsidenten François Mitterrand zum ersten Mal sah, wie ein Volk nach draußen geht und begeistert ist, ohne Druck. „Und die waren nicht besoffen begeistert, sondern nüchtern.“

Biermanns Geschichten, die erzählten und gesungenen, werden nun nicht nur der Forschung bereitgestellt, sondern auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ab 2022 sollen Stücke aus dem Biermann-Archiv auch im neu entstehenden Bibliotheksmuseum ausgestellt werden.

Biermann wird derweil weiterhin Neues schaffen. Auf die Frage, was er derzeit so tue, antwortete er: „Ich warte darauf, dass die Musen mich küssen.“ Gut möglich also, dass das Biermann-Archiv noch weiter wachsen wird.

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