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Wie wir leben wollen - aber bezahlt werden muss das Verfassen von Büchern am Ende auch.

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Die Literatur, das Schreiben und die Brotjobs: Beruf und Berufung

Eine Kunst für sich und sozial gesteuert: Was es bedeutet, mit literarischer Arbeit Geld zu verdienen.

Wer professionell schreibt, kann nicht anders, versteht das als innere Berufung – ob das nun Romane oder Gedichte sind, Essays oder, ja: Zeitungstexte. Katharina Linz zum Beispiel wäre auch putzen gegangen, wenn sich das Schreiben finanziell nicht gelohnt hätte: „Ich hab’ mir (...) auch gesagt, wenn es ganz schlimm kommt, muss ich eben auch ’ne Arbeit annehmen, die mir halt nicht passt." Oder Johanna Hansen, die sagt: „Ich schreibe, seitdem ich schreiben kann.

Daraus einen Beruf zu machen, kam mir lange nicht in den Sinn, denn schreiben war für mich gleichbedeutend mit atmen.“

Linz und Hansen sind nur zwei von knapp vierzig Autor:innen, die in zwei sich gut ergänzenden, im Grunde aufeinander beziehenden Büchern Auskunft geben darüber, wie sie zu ihrem Beruf gekommen sind, ob sie diesen Beruf als solchen verstehen und davon leben können.

Das eine heißt „Brotjobs & Literatur“ und wurde von der Literaturwissenschaftlerin Iuditha Balint und den Autor:innen Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel herausgegeben (Verbrecher, Berlin 2021. 234 S., 14 €); das andere stammt von der an der Universität Basel tätigen Literatursoziologin Carolin Amlinger und ist schlicht mit dem bezeichnenden Wörtchen „Schreiben“ betitelt. (Eine Soziologie literarischer Arbeit. stw, Berlin 2021. 800 S., 32 €.)

Hier die Kunst, dort der Warencharakter

Beide Bücher rücken eine Arbeit in den Fokus, die einerseits als solche in der Gesellschaft häufig nur unzureichend anerkannt, als „opake Tätigkeit“ verstanden wird, wie Amlinger es nennt, weil in ihrem Zusammenhang betonte Individualität, Kreativität und Ungeregeltheit regieren.

Andererseits sorgt diese Arbeit für das, was in jedweder Gesellschaft als eins der höchsten Bildungsgüter gilt: Bücher, die gelesen werden sollen, vielleicht sogar müssen, um Klarheit und Verständnis zu schaffen dafür, wer wir sind oder in Zukunft sein wollen.

Eine weitere Crux: Als Kunst werden Bücher, wird Literatur schon gern wahrgenommen, trotzdem spielt ihr Warencharakter stets eine Rolle, bestimmt der Markt, ob Autor:innen vom Bücherschreiben leben können. Dazu kommt der Literaturbetrieb, der im engeren Sinn ein Auskommen ermöglicht mit seinen Fördermaßnahmen, Stipendien, Preisen und Veranstaltungen.

In diesem unwegsamen, unüberschaubaren, von viel Irrationalität bestimmten Feld das Schreiben zu seiner Lebensaufgabe machen und damit Geld verdienen zu wollen, ist allein eine Kunst für sich.

„Wie muss man strukturiert sein, um diesen Beruf länger auszuhalten?“, fragt der Schriftsteller Julius Winkler. „Und (...) gibt es nicht auch eine etwas limitierte Bandbreite, welche Typen und Persönlichkeiten können bestehen und welche zerbrechen auch daran?"

Selbstbestimmtheit vs Fremdbestimmtheit

Julius Winkler ist wie Katharina Linz ein Pseudonym, das Carolin Amlinger den von ihr interviewten Autor:innen für ihre soziologische Analyse der literarischen Arbeit und des Büchermachens gegeben hat. Mit diesen Interviews versucht sie, Verbindungslinien zwischen einzelnen Autor:innen-Karrieren und der sozialen literarischen Struktur zu ziehen, verfügen doch Autor:innen „über einen ungeheuren Schatz an praktischen Wissen, das weit mehr über die Funktionsweise des literarischen Feldes verrät, als quantitative Daten darstellen können.“

Dieses Vorgehen macht Amlingers „Schreiben“ zu einem genauso gut lesbaren Buch wie die Erfahrungsberichte der 19 Autor:innen in „Brotjobs & Literatur“. Dabei beeindruckt die Umfasstheit von Amlingers „Schreiben“.

Auf eine Geschichte des Buchhandels vom 19. Jahrhundert bis in die Corona-Gegenwart hinein lässt sie einen Teil über den Literaturbetrieb mit seinen Institutionen und über den Beruf des Schriftstellers mit seinen inneren und äußeren Widersprüchen folgen. Um schließlich zu untersuchen, wie sich Ästhetik und Ökonomie zueinander verhalten und von den Autor:innen austariert werden.

Diese thematisieren die Umstände ihrer Schreibarbeit und was es mit ihrer vermeintlichen Freiheit auf sich hat, der indiviuellen, der ästhetischen. Wie sagt es bei Amlinger ein gewisser Adrian Sternlieb: „Das hängt alles an tausend Fäden. Vielleicht ist Freiheit, (...), vielleicht ist Selbstbestimmtheit, dass man so weit ist, nicht mehr zu sehen, wie fremdbestimmt man ist.“

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Vor diesem Hintergrund reflektieren auch die Autorinnen von „Brotjobs & Literatur“ ihr Arbeitsleben. Eine der am häufigsten gestellten Fragen aus ihrem Umfeld lautet: Kannst du davon leben? Doch auch sie selbst fragen sich nicht selten, was sie auszuhalten bereit sind, um ihrer Berufung konsequent nachzugehen, mit all den nachfolgenden sozialen Implikationen. Isabelle Lehn formuliert es so:

„Als Schriftstellerin leben zu wollen, scheint ein unverschämter Wunsch zu sein. Ich fühle mich schamlos, wenn ich mich zu meinem Beruf äußere und erst einmal erklären muss, wie viel ich verdiene, um mich so nennen zu dürfen. (…) Ich muss die Scham überwinden, unverschämt oft über Geld zu sprechen, mit Auftraggeber:innen oder Kolleginnen, um besser kalkulieren zu können.“

Ohne Brotjobs geht es nicht, ohne die literaturnahen, von denen Lehn spricht, das Moderieren, Sitzen in Jurys oder Diskussionsrunden, Vorträge halten oder in Gefängnissen oder sonstwo Creative-Writing-Seminare geben.

Und nicht ohne die literaturfernen: Stan Lafleur zählt rund dreißig Jobs auf, mit denen er bislang seinen Lebensunterhalt bestritten hat, von Archivar über Krankenpfleger bis Volleyballtrainer; Ulrich Koch leitet einen Pflegedienst mit fast siebzig Angestellten, Thorsten Krämer hat eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten gemacht.

"Schreiben ist unbedingt, Leben ist unbedingt"

Die Unterschiedlichkeit der Biografien, auch die verschiedenen Arten des Geldverdienens bringen in dieser Anthologie nicht zuletzt unterschiedlichste Textformen hervor, vom Tagebuch über die ausformulierte Biografie bis hin zu Essays, in denen beispielsweise die gesellschaftliche Fixiertheit auf die berufliche Identität thematisiert wird.

Auch Herkunft spielt eine Rolle, wenn es gilt, sich im bürgerlichen (und homogen weißen) Literaturbetrieb und vielleicht später auf dem Markt durchzusetzen; das Geschlecht, wie es viele Autorinnen herausarbeiten; die psychische Verfasstheit, um Netzwerke aufzubauen, an Fördertöpfe zu gelangen, sich um Stipendien zu bemühen. „In der Sphäre des literarischen Feldes (…) ist der symbolische wie ökonomische Erfolg maßgeblich vom Netz seiner sozialen Beziehungen abhängig“, schreibt Amlinger. Erfolg sei da „im hohen Maß sozial gesteuert.“

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Mit der Autonomie eines Dichters, einer Dichterin ist es also so eine Sache, die in der Gesellschaft vorherrschenden Zwänge greifen tief in die Biografien ein. Schreiben ist ein 24/7 Job und besteht aus viel Arbeit, die nichts mit Texten zu tun hat. Einen gewissen avantgardistischen Vorsprung haben Berufsautor:innen trotzdem, da sich Arbeit und Freizeit in vielen Bereichen immer mehr durchdringen.

Wer schreibt, betreibt Genussarbeit, wie groß oder klein geschrieben der Genuss dann wird. In beiden Bänden wird deutlich, dass niemand vom Schreiben lassen will oder kann, dass alle Autor:innen erst dann „ganz bei sich“ sind.

„Schreiben ist unbedingt, Leben ist unbedingt.", sagt die kookbooks-Verlegerin und Lyrikerin Daniela Seel. Dazu gehört, dass jemand wie Stan Lafleur seinen Text mit den Worten beschließt: „Er ist bezahlt, das ist die Hauptsache". Was zu beweisen wäre.

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