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Eine Kunst für sich. Das Fliegenfischen.

© dpa/Sun Valley Resort

„Die Forelle“ von Leander Fischer: Das Angeln und die Schatten der Vergangenheit

Leander Fischer erzählt in „Die Forelle“ von der Königsdisziplin des Angelns, dem Fliegenfischen. Und von einer trügerischen Idylle. Ein virtuoser Debütroman.

Sie gilt als die Königsdisziplin des Angelsports. Wem kein originelles Geschenk für den Mann einfällt, erfreut sein Herz mit einem Kurs-Gutschein, bei dem er nicht nur das Binden der Fliege, also des Köders, erlernt, sondern auch geschickte Wurftechnik und das offenbar nur Männern vorbehaltene Glücksgefühl, einen dicken Fisch an die Schnur zu bekommen.

Dick ist das allemal, was der erst 28-jährige Leander Fischer – Nomen est Omen – ans literarische Land gezogen hat, ein fetter Brocken von fast 800 Seiten mit dem Titel „Die Forelle“. Wie Schuberts berühmtes Quintett umspielt dieser Fang variationsreich ein Thema: das Fliegenfischen.

So schnell aber geht es für Siegi Hehrmann, einst aussichtsreicher Absolvent des Salzburger Mozarteums, nicht an den Bach. Einen Fisch, Lena, hat er von der Salzach schon mit in die Traunland-Provinz mitgebracht, zwei Jungs haben sie auch bekommen.

Nun aber haben es ihm andere Goldköpfchen angetan, die er aus Kupferdraht und filigranem Reh- oder Frauenhaar mit der ruhigen Hand des Violinen-Handwerkers und dem ästhetischen Gespür des Musikers zusammenbindet.

Die Imitationen sind der Natur nachempfunden: Goldkopfnymphen, von denen sich die gründelnden Forellen täuschen lassen. Doch nur der sehr aufmerksame Sportsfreund erkennt den Augenblick, in dem er den Fisch schnell aus dem Wasser ziehen muss, bevor dieser den Köder wieder ausspuckt.

Es geht in die Vergangenheit

Als Leserin spucken wir vorerst nicht, auch wenn der „Goldkopf“-Prolog, der die Koordinaten absteckt und zunächst nur an der Oberfläche des Fliegenbindens kratzt, fremd anmutet. Siegis Konzentration, die er vor seinem strengen Lehrer Ernstl zur Schau stellt, hätten wir lieber Lena gegönnt. Die anästhesiert derweil unterbezahlt im Provinzkrankenhaus und wehrt – zunächst – Volkis Vorstöße ab, der sie mit Forellen ködern will. Womit das Konfliktfeld im namenlosen Dorf aufgemacht wäre.

Hier der stets barfüßige, weinselige Ernstl, der den Sommer über samt kleinem Gefolge ins Forellenrevier kommt und Petris heilige Gebote vertritt; dort der Angelverein mit dem schönen Volki als Vorsitzendem, der zum Gedeih des aufstrebenden Kurorts massenhaft Forellen aussetzt und dafür sorgt, dass die Gäste was an die Leine kriegen.

[Leander Fischer: Die Forelle. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 720 Seiten, 28 €.]

Würde es bei diesem breit ausgewalzten und mit heiligem Ernst verfolgten, unsereins unzugänglichen Männerhobby bleiben, müssten zumindest Leserinnen die Rute weitergeben. Aber inzwischen hat uns Fischer, Absolvent der Hildesheimer Schreibschule, an der Angel.

Angesichts seiner sprungwütigen, überraschenden, silbrigen Sprache, der vor Ungeduld zappelnden, purzelnden Sätze, überschlagen wir schlechten Gewissens ab und zu das Angellatein und überlassen uns der Unmittelbarkeit dieses überbordenden Erzählflusses. Er entspringt im „Nazimitmarschmischmaschland“ und mündet in der Gegenwart der achtziger Jahre, als die Natur in Ösi-Land zu ächzen beginnt unter der Touristenlast.

Atomkraft, Waldsterben und Waldheim

Waren Ernstls „Ähnl“, Kontingentflüchtlinge aus Südtirol, überlebenstechnisch noch aufs Schwarzfischen angewiesen, leistet man es sich heute, die Forellen von der Leine zu lassen, und genießt die Sommerfrische im Salzkammergut, trotz Atomkraft, Waldsterben und Waldheim.

Doch die langen Schatten der Vergangenheit reichen auch in die oberflächlich befriedete Angleridylle. Vor Kurtis Laden, wo Einheimische und Fremde nach Fleisch und belegten Semmeln Schlange stehen, wabern Gerüche und Gerüchte, über Kurtis dunkle Fleischquellen und den schwulen Friseur, den man fortgetrieben hat. „Dieser bäuerliche Misstrauensverein brachte es fertig, sich die Mäuler unversöhnlich zu zerreißen mitsamt allen Banden der Sympathie, die Kurti über all die Jahre unermüdlich zwischen seinem Laden und den boshaften alteingesessenen Rachen geflochten hatte.“

Die unendliche, von den Freiheitlichen angefeuerte Suada schwappt in Thomas-Bernhard-Manier hinweg über Siegi, dem die Kontrolle über sein Leben in dem Maße entgleitet, wie er unter Ernstls Aufsicht seine Binde- und Wurftechnik perfektioniert.

Viele Albernheiten

Wie bei aller Kunst geht es auch beim Fliegenfischen nicht um das Ergebnis, sondern um den flüchtigen Augenblick des Erschaffens und Erlebens, der bei Fischer ausgekostet wird im Sprachstrom. Ihm kann auch kein Punkt ein Ende setzen, und jedes Bild, jede Wortschöpfung – „verstreicheltrottelte Vierbeiner“ – steht für sich selbst wie der Fliegenfischer im Wasser. Dem geht es ja auch nicht um die Forelle, sondern um das fein aufeinander abgestimmte Quintett von Rute, Schnur, Wurf, Fliege und Anbiss.

„Der Grundton ist da“, erklärt Siegi seiner untalentierten Schülerin, aber es kommt auf die Abweichung an. Die Partitur ist nur Stütze, so wie die Syntax bei Fischer nicht nur mundartliche Kapriolen schlägt durch die langen absatzlosen Wortpassagen. Nein, auch vor Kalauern sind Siegi und sein Trupp nicht gefeit: „Lena spitzte auf Töpfe. ,Tafelspitz’, sagte ich und tischte auf. ,Spitze’, sagte Lena und spießte Tafelspitzspitze auf.“

Trotz solcher Albernheiten nimmt Leander Fischer sein Herkunftsland genau in den Blick. Den Außenseiter-Querulanten um Siegi, die nächtlings gegen ein Staukraftwerk Sturm laufen, um ihr heiliges Angelrevier zu verteidigen, stehen die dörflichen Dumpfbacken und die kunstbeflissene Wiener Schickeria gegenüber, denen die Angel nicht mehr ist als das pittoreske Accessoire auf dem Urlaubsfoto.

Erzählstruktur zielt auf die Virtuosität der Teile

Eine der abgründigsten Romanszenen handelt von Kurti, dem wildernden Metzger, dem der Kragen platzt. Er treibt schließlich einen Stier durchs Dorf, dem die Provinzler hinterherjagen mit „Heil“-Schreien und dabei die Niedergetrampelten einfach hinter sich lassen.

Denn Muster, die fürs Fliegenbinden so zentral sind und die Ernstl und Siegi im „Köcherfliegenverzeichnis“ festhalten und kunstfertig variieren, gibt es auch im Politischen, gerade weil das Vergangene nicht im Original wiederkehrt.

Dass diese Muster sich in „Die Forelle“ nicht vollständig aufschlüsseln lassen, ist einer Erzählstruktur geschuldet, die nie auf den Abschluss zielt, sondern auf die Virtuosität der Teile, die nicht realistisch dingfest zu machen sind. Fischers Romandebüt, das mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, erfordert jene Geduld und Aufmerksamkeit, die der Fliegenfischer beim Warten auf den Biss aufbringen muss.

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