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Godards Debüt „Außer Atem“ mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg macht den Regisseur 1960 selbst zum Popstar der Nouvelle Vague.

© Fotos Deutscher Fernsehdienst

Der Meister der Nouvelle-Vague wird 90: Die zehn besten Filme von Jean-Luc Godard

Er erfand in den 1960ern das Kino neu, später wurde er dessen größter Skeptiker. Die zehn wichtigsten Filme des Pop-Intellektuellen Jean-Luc Godard.

An diesem Donnerstag wird Jean-Luc Godard 90. Der Franko-Schweizer gehörte 1951 zu den Gründern des Magazins „Cahiers du cinéma“, aus dem die Regisseure der Nouvelle Vague hervorgingen. Godard wollte das Kino politisch machen, ohne gleich politische Filme zu drehen. Sein Faible für junge schöne Frauen ist berüchtigt.

Inzwischen ist er seit 50 Jahren mit der Schweizer Filmemacherin Anne-Marie Miéville zusammen, gemeinsam leben sie zurückgezogen am Genfer See. Wie erklärt man einen Regisseur, der so konsequent wie Jean-Luc Godard an der Schnittstelle von Starkino und filmischem Experiment gearbeitet hat? Wir versuchen es mit seinen zehn wichtigsten Filmen.

Außer Atem (1960)

Die erste Szene zeigt nicht etwa Jean- Paul Belmondo. Sondern eine Ausgabe der Zeitschrift „Paris-Flirt“: Das Herrenmagazin mit der Zeichnung einer leicht bekleideten jungen Frau auf dem Cover verdeckt zunächst Belmondos Gesicht. Später wird man ihn und Jean Seberg mit sieben verschiedenen Ausgaben des „France-Soir“ sehen; Belmondo wird einen kurzen Blick in „Le Figaro“ werfen, bevor er sich damit die Schuhe putzt und die konservative Zeitung wegschmeißt.

Seberg verkauft auf den Champs-Élysées die „New Herald Tribune“; auch das „Life“-Magazin, die „Cahiers du cinéma“, der „France-Soir“, die „Weltwoche“ und die „Gazetta della Sport“ spielen eine Rolle.

Es ist anzunehmen, dass Godard die Geschichte heute anders erzählen würde. Belmondos Michel wäre ein intensiver Handynutzer und würde alle zwei Minuten seine Push-Nachrichten checken. Atemlos. Handys gibt es zum Glück noch nicht, Godard benutzt die Haptik der Printmedien. Er setzte Zeitungen und Bücher zum Schutz seiner Protagonistinnen ein: als Symbol einer Verbindung, als Zeichen der Intimität und der Liebe. Mit einem Smartphone wäre Belmondo nicht halb so charmant. Jenni Zylka

So kennt man Jean-Luc Godard (hier im Jahr 1985), ganz der Kino-Intellektuelle: mit getönter Hornbrille und zerzausten Haaren.
So kennt man Jean-Luc Godard (hier im Jahr 1985), ganz der Kino-Intellektuelle: mit getönter Hornbrille und zerzausten Haaren.

© imago images / teutopress

Eine Frau ist eine Frau (1961)

Das kommt dabei heraus, wenn ein französischer Intellektueller sich eines originär amerikanischen Genres annimmt: keine musikalische Filmkomödie, sondern die „Idee eines Musicals“ (Godard). Zum ersten Mal Cinemascope, Farbe und Direktton – mit diesen für ihn noch neuen Mitteln dekonstruiert Godard die in Buntheit, Melodien und Stereotypen schwelgenden klassischen Hollywood- Musicals. Aber nicht ohne auch den Stars Gene Kelly und Cyd Charisse die Reverenz zu erweisen.

Die wild zwischen Jazz, Chanson und romantischer Sinfonik springende Musik stammt von Michel Legrand, dem drei Jahre später mit dem melancholischen Singspiel „Die Regenschirme von Cherbourg“ eine hinreißende Komposition gelingt. In der komisch-absurd-sexistischen Dreiecksgeschichte um eine Burlesquetänzerin, die dringend ein Kind will, ist der Schnitt der Musik ruppig und ihr Einsatz subversiv.

Von wegen Gefühlsverstärker. Bei Godard ist sie Störfaktor, nie Untermalung, immer eine eigenständige Kraft, Verfremdungseffekte inklusive. Wenn Anna Karina einen Chanson anstimmt und dazu strippt, kommt die Klaviermusik vom Band. Der Pianist auf der Bühne rührt keinen Finger. Singt sie, schweigt das Instrument. Schweigt sie, fungiert das Piano als Rezitativ. Godard schlägt die Künstlichkeit der Klassiker mit seinen eigenen Manierismen. Gunda Bartels

Die Klassiker - Godard wettert vom Olymp herunter

In "Die Verachtung" (1963) mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli macht Godard aus seiner Abneigung gegenüber Hollywood keinen Hehl.
In "Die Verachtung" (1963) mit Brigitte Bardot und Michel Piccoli macht Godard aus seiner Abneigung gegenüber Hollywood keinen Hehl.

© imago images/Everett Collection

Die Verachtung (1963)

Ein Making-of von Mythen. Ein Film über das Kino, ein Film über die Frau. Was 1963 beinahe das Gleiche ist, denn als „Le Mépris“ (Die Verachtung) nach dem Roman von Alberto Moravia herauskommt, ist die Herrlichkeit der Filmproduzenten ungebrochen; bis zum Weinstein-Skandal vergehen noch Jahrzehnte. Und auch die Macht der Regisseure erscheint, von heute aus betrachtet, historisch riesenhaft.

Godard huldigt der Göttlichkeit und Schönheit der Brigitte Bardot, die er mit der Kamera erschafft, und führt mit Jack Palance den Typus Hollywood-Mogul als überlebensgroße Schießbudenfigur vor. Als der Amerikaner protzt: „Wenn ich das Wort Kultur höre, ziehe ich mein Scheckbuch“, wird er von dem göttlich abgeklärten, damals über 70-jährigen Emigranten Fritz Lang (as himself) korrigiert: Dann entsichere ich meine Browning, müsse das heißen, ein Nazi-Spruch.

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Der Deutsche hat die Bildung. Der Franzose hat eine Ehekrise. Der Amerikaner hat das Geld. Und Italien hat die Villa Malaparte. Zusammen fährt alles gegen die Wand in dem Wahn, die Odyssee umzuschreiben. Michel Piccoli als Drehbuchautor mit Dean-Martin-Tick und seltsam indifferenter Bardot-Gatte, Georges Delerues melodramatischer Soundtrack, Capri als Kulisse für einen Showdown, der ausfällt, Godards epochaler Zynismus: Film ist Patchwork, ist Hybris par excellence.

Und wenn er das Kino auch nicht komplett neu erfunden, sondern frisch zerlegt hat, gehört „Die Verachtung“ in den Olymp. Die Götter aus Homers Traumfabrik hatten einst die Titanen gestürzt, und als das Kino kam, wurden sie selbst vertrieben. Jetzt droht – Godard ahnte es früh – dem Kino die Agonie. Rüdiger Schaper

Alphaville (1965)
Manchmal gibt es Dinge, die zu kompliziert sind, um sie in Worte zu fassen, heißt es im Vorspann. Doch natürlich wird auch hier viel geredet, oft aus dem Off. Godards einziger Science-Fiction- Film spielt erkennbar in der Pariser Gegenwart des Jahres 1965.

Eddie Constantine hatte den Privatdetektiv Lemmy Caution zuvor schon in mehreren Agentenfilmen verkörpert, bei Godard ist sein Gegner der Computer Alpha 60, der die Gedanken und Gefühle der Menschen kontrolliert. „Niemand hat je in der Vergangenheit gelebt, niemand wird in der Zukunft leben“, heißt es in einem der Lehrsätze, die der Computer mit knarzender Stimme verkündet. Liebe und Poesie sind unbekannt in Alphaville, jeden Tag werden neue Wörter verboten.

Mit den Wörtern verlieren die Menschen auch ihre Emotionen, sie agieren wie in Trance, wie Roboter. Das Szenario erinnert an Orwells Anti-Utopie „1984“. Lemmy und Natascha, die Tochter des dämonischen Wissenschaftlers Braun, werden zu einem Paar und müssen aus Alphaville fliehen.

Godard spielt mit dem Genrekino – und seinen Stars: Eddie Constantine, bewährter Haudegen des B-Movies, und die sphinxhaft schöne Anna Karina, Godards Entdeckung und Partnerin. Die böse Pointe am Ende: Das „Exekutionstheater“, in dem Rebellen hingerichtet werden, ist ein Kinosaal mit versenkbaren Sitzreihen. Christian Schröder

Die 1960er - Das Bürgertum und das Ende der Zivilisation

In der Gangsterromanze "Pierrot le fou" (1965) arbeitet Godard zum zweiten Mal mit Jean-Paul Belmondo zusammen.
In der Gangsterromanze "Pierrot le fou" (1965) arbeitet Godard zum zweiten Mal mit Jean-Paul Belmondo zusammen.

© imago/United Archives

Pierrot le fou (1965)

Godard war knapp 35, als er mit Belmondo noch einmal an seinen Beginn mit „Außer Atem“ anknüpfte. Souverän verbindet er amerikanisches Gangsterkino und französische Romanze, um sie zugleich reflektierend zu brechen. Oder mit Werbesprüchen und Gesangseinlagen zu ironisieren. Auf einer Party tritt US-Regisseur Sam Fuller auf, wie zuvor in „Die Verachtung“ schon Fritz Lang.

Fuller nennt Filme ein „Schlachtfeld“ der Emotionen, während Godard die Kunst- und Literaturgeschichte zitiert und immer wieder die Farben Rot für Blut und Gewalt und Blau für die Romantik verwendet. Belmondo wird von seiner Filmgeliebten Anna Karina nur Pierrot genannt. Wie der klassische Clown. Während Karina hier Marianne heißt, Frankreichs Nationalheilige, mit dem Nachnamen Renoir.

Beide brechen jäh aus dem Bürgerleben aus, reisen als komödiantisches Gangsterpaar über Leichen und sterben ihre romantischen Tode am Mittelmeer. Beseelt von Versen Arthur Rimbauds.

Allerdings spielt Godard, der durch einen Krimi von Lionel White angeregt wurde (auf den sich der deutsche Filmtitel „Elf Uhr nachts“ bezieht), auch auf Goethes „Werther“ an. Pierrots Selbstmord gehört als Finale zu den Ikonen der Filmgeschichte. Belmondo umwickelt seinen blau geschminkten Kopf mit roten Dynamitschnüren. Vor Himmel und Meer dann die Explosion, Pierrot und Marianne sind in der Ewigkeit ihrer amour fou vereint. Peter von Becker

Week End (1967)

Acht Minuten dauert es aus dem Pariser Großbürgertum bis ans Ende der Zivilisation. Die berühmte Plansequenz leitete auch Godards langsamen Abschied vom Kino ein. Ein keifendes Ehepaar macht sich auf die letzte Reise zu ihrem sterbenden Vater, einem stinkreichen Industriellen, doch schon auf der Landstraße geraten sie in einen Stau.

Ein Land im Stillstand. Wie eine Sonde gleitet das schwarze Facel Cabrio an diesem Ausnahmezustand vorbei, nebenbei eine Parade französischer Automobilität der Sechziger (mittendrin ein Gespann scheißender Pferde).

Die Stimmung: zwischen Sonntagsausflug und Endzeit. Rentner werfen sich Gummibälle zu, ein Ehepaar spielt Schach, Autowracks kleben an Bäumen. Der Drängler auf der Überholspur arbeitet sich bis zur Ursache des Staus vor, einem Verkehrsunfall; die Toten liegen achtlos am Straßenrand.

Godard, der Erfinder des Jump-Cuts, bedient sich des verhassten Erzählmittels der Mise en Scène, um seiner Frustration über den Zustand des Kinos Ausdruck zu verleihen. 1967 hat er sich von der französischen Linken weitgehend entfremdet, der Film ist sein Abschiedsgeschenk. Aggressiv verleibt sich die Tonspur die Bilder ein, so wie die kannibalistischen Revoluzzer schließlich das Bürgertum. Die Kakofonie ist eine Zumutung. Der Schlusstitel markiert gleichzeitig einen Neubeginn. Ende – vom Kino. Andreas Busche

Die 1980er - Rückkehr auf die große Leinwand

"Rette sich wer kann (das Leben)" von 1980, mit Isabelle Huppert und Jacques Dutronc, bedeutet Godards Rückkehr zum Starkino.
"Rette sich wer kann (das Leben)" von 1980, mit Isabelle Huppert und Jacques Dutronc, bedeutet Godards Rückkehr zum Starkino.

© Foto: Imago/Everett Collection

Rette sich, wer kann (das Leben) (1980)

Zwanzig Jahre nach „Außer Atem“ erklärte er „Rette sich wer kann (das Leben)“ zu seinem „zweiten ersten Film“. Die Rückkehr auf die große Leinwand im 35-Millimeter-Glanz war allerdings reinem Trotz geschuldet. Tatsächlich hatte sich Godards Team, vor die Wahl des Formats gestellt, wie Kameramann William Lubtchansky berichtet, für Video entschieden. Da musste er dagegenhalten.

Der Abschied von dem Medium, das ihm in den Jahren zuvor als Waffe im politischen Kampf gedient hatte, knüpft in einer glücklichen Mischung von Diskursivem und Erzählerischem an seine besten Arbeiten aus den 1960er Jahren an. Im aufgekratzten Ton einer Farce entfaltet sich eine Idee von Kino, die wie oft bei Godard schon die Sache selbst ist.

Es geht um Liebe, Arbeit, Prostitution, Abhängigkeit und Gewalt, getragen von drei starken Frauen. Da ist die stille Insistenz von Nathalie Baye, die in abgehackten Slow-Motion-Bildern über Schweizer Bergstraßen radelt; die störrische Kühle von Isabelle Huppert, die eine selbstbewusste Hure spielt.

Und die strenge Stimme einer Schriftstellerin, die auch auf die Bitte hin, vor die Kamera zu treten, unsichtbar bleibt: Marguerite Duras. Der Protagonist, ein von Jacques Dutronc gespielter Fernsehproduzent, doziert einmal vor einer Tafel mit der Aufschrift: „Kain und Abel – Kino und Video“. Die Geschichte dieses Brudermords musste zumindest Godard dann doch nicht umschreiben. Gregor Dotzauer

Vorname Carmen (1983)

Godard spielt Godard, einen alten Zausel, der in der Psychiatrie hockt und das Zimmer um sich herum abklopft. Ich leihe euch meine Kamera, sie macht Musik, sagt er zu seiner Nichte, und schultert seinen Ghettoblaster. Vielleicht wollte JLG immer Musik machen und der Welt mit der Kamera ihre Klänge entlocken.

Der Ton macht den Film: Seine Collagen aus Bach, Beethoven und Co., aus Alltagsgeräuschen, Naturlauten und elektronischen Sounds sind Meisterwerke für sich. Godards Carmen, gespielt von Maruschka Detmers, überfällt mit ihren Komplizen eine Bank, betört den Wachmann Joseph und bewohnt mit den Jungs das Haus des Onkels am Meer, während das Quatuor Prat Beethoven probt.

Späte Streichquartette, die Durchführung kann gar nicht stürmisch genug sein: Godards Freiheit, mit der er den Carmen-Stoff, Genre- und Filmzitate chiffriert und zermalmt, hat etwas Furioses. Die Liebe ist unwirsch, ein Wutanfall, Nahkampf der Geschlechter.

Detmers läuft nackt durchs Bild, roter Pulli über dem Schamhaar, aber sie ist die Chefin. Die Männer sind die Würstchen. Und wenn die Musik abrupt reißt, gesellt sich schmerzhafte Stille zur Schönheit und Kakofonie. Bis das Meer wieder rauscht und brandet, ob mit gewaltiger Gischt oder sich sanft kräuselnden Wellen. In dieser Urgewalt ist Godard in seinem Element. Christiane Peitz

Das Spätwerk - Bildergeschichten, Geschichtsbilder

In seinen späten Arbeiten wie "Film Socialisme" (2010) arbeitet sich Godard an der Ideen- und Materialgeschichte des Kinos ab.
In seinen späten Arbeiten wie "Film Socialisme" (2010) arbeitet sich Godard an der Ideen- und Materialgeschichte des Kinos ab.

© Absolut Medien

Histoire(s) du cinéma (1998)

Der Titel von Godards bis heute ambitioniertestem Projekt spiegelt sein Verständnis von Kinogeschichte und Geschichtsschreibung wider. Historie als Abfolge von Geschichten, Kino als historisches Dispositiv beziehungsweise (im Plural): als multiples Gebilde mit zahllosen Ausläufern in die Kunstgeschichte – oder auch in die revolutionäre Praxis.

Godard war in den Siebzigern, nach den gescheiterten Experimenten mit der Groupe Dziga Vertov, einer der ersten Filmemacher, der die neue, ungeliebte Videotechnik als ideales Spielmittel entdeckte, um seiner unsystematischen Arbeits- und Denkweise eine visuelle Form zu geben. Video als, im Gegensatz zum Kino, nicht-lineares technisches Medium.

Über einen Zeitraum von fast 30 Jahren arbeitet Godard immer wieder an seiner visuellen Enzyklopädie; die acht Teile von 260 Minuten entstehen schließlich zwischen 1988 und 1996. Der Meister bleibt die graue Eminenz im Hinter- und Untergrund, unter den paläontologischen Ablagerungen unseres Bildergedächtnisses.

Er hält die Fäden in der Hand beziehungsweise er hat seine Hand am (analogen) Schneidetisch, durch den die perforierte Bildergeschichte der Menschheit rattert. Nicht-linear heißt auch, dass sehr viel gleichzeitig passiert, auf der sichtbaren wie auf der hörbaren Ebene. Bilder und Töne überlagern sich, genau wie Godards Gedanken und Streifzüge durch das 20. Jahrhundert. Eine unfertige Geschichte, die immer noch im Werden begriffen ist. Andreas Busche

Film Socialisme (2010)

Ach, Europa, ein Film wie ein Seufzer, eine Elegie, polyglott, polyfon. Ein Kreuzfahrtschiff fährt übers Mittelmeer, eine Titanic voller Wohlstandsbürger. Pixelige Trashbilder, Strandgut von den Gestaden des Mare Nostrum, ein Philosoph doziert vor sich hin und Patti Smith schultert ihre Gitarre.

Dann eine Autowerkstatt in Frankreich, zwei Kinder kandidieren für die Präsidentschaft, eine Frau liest Balzacs „Verlorene Illusionen“ zwischen den Tanksäulen, hinter ihr blökt ein Lama. Schließlich Europas Tragödien, die Wiege Griechenland, Kriege, Völkermord, Odessa, Palästina. Bildermüll, Poesie, Rätsel über Rätsel.

Bei der Weltpremiere 2010 in Cannes hätte man Godard gerne befragt, auch zu Israel. Früher hat er die Vertreibung der Palästinenser offen mit der Judenvernichtung verglichen. Er hat sich nie dazu erklärt oder entschuldigt, in „Film Socialisme“ schwingt es noch leise mit. Oder verstehen wir’s falsch?

„Ich würde mit dem Festival in den Tod gehen, aber keinen Schritt weiter“: Der Regisseur taucht nicht auf, er hat eine Absage geschickt. Also keine Audienz beim Guru Godard, dem Mystiker mit der Sonnenbrille und der tiefen, rauen Stimme, dem größten Außenseiter der europäischen Filmkunst, der auch seinen Ehren-Oscar mit Abwesenheit quittieren wird. Godard, das Phantom, er lässt uns allein. Christiane Peitz

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