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Mechanik von Schuld und Sühne: Der Ehrgeiz Macbeths (Denzel Washington) wirkt wie ein Gift, das ihn innerlich zersetzt.

© Apple TV+

Denzel Washington als Macbeth: Mord tötet den Schlaf

Joel Coen inszeniert Denzel Washington in seiner minimalistischen Shakespeare-Adaption „The Tragedy of Macbeth“ als Noir-Antihelden.

Das erste Bild ist ein Blick in Richtung Himmel, an dem Vögel unheilvoll kreisen. Zuvor hatten die Hexen sich krächzend im Off verabredet: „Geschwind – Schön ist hässlich, hässlich schön: Schwebt durch Dunst und Nebelhöhn!“ Dann stapft ein Mann durchs Bild und zieht eine Blutspur hinter sich her. In Shakespeares „The Tragedy of Macbeth“ gibt es keinen Ausweg aus dem Teufelskreis von Machtgier und Mordlust. Joel Coen macht in seiner Adaption aus dem Königsdrama einen eiskalten, schwarz-weißen Film noir.

Macbeth, gespielt von Denzel Washington, trifft die drei Hexen auf dem Rückweg von einer siegreichen Schlacht nicht, wie es in Shakespeares Regieanweisung heißt, in der Heide, sondern am Strand, auf morastigem Grund. Verkörpert werden die „Weird Sisters“ allesamt von der britischen Schauspielerin Kathryn Hunter, einer Virtuosin der Royal Shakespeare Company. Sie bewegt sich staksig wie ein Vogel, verdreht Arme und Beine zu irrwitzigen Posen und deklamiert mit heiserer Stimme, dass Macbeth bald König sein wird und sein Begleiter Banquo der Ahnherr einer Dynastie von Königen. Ihre Stimme verdreifacht sich und am Ende flattern drei Raben aus der Szene. Ein furioser Auftritt.

Die Idee, die Hexen in Raben zu verwandeln, Tiere, die als Aasfresser einst mit dem Tod assoziiert wurden, gehört zu den besten des Films. Ihren nächsten Auftritt haben die schwarzen Nachtunholde in Macbeths Schloss Forres, wo sie im Gebälk hocken und ihm gurrend prophezeien, dass er sich vor niemandem fürchten muss, den eine Frau geboren hat, und dass er unbesiegbar bleibt, solange der Wald nicht emporsteigt zu ihm.

Da ist Macbeth bereits zum Mörder und Tyrannen geworden. Sein Schicksal ist besiegelt, die Mechanik von Schuld und Sühne wendet sich mit der Präzision eines Uhrwerks gegen ihn. Allerdings missversteht Macbeth die trügerische Botschaft, die ihm überbracht wird. Langsam verliert er den Verstand, und vielleicht sind die Vögel auch nur Phantome seiner Einbildung.

Skurrile Coen-Figuren gibt es auch bei Shakespeare

Bei der Arbeit an „Macbeth“ hat Joel Coen als Drehbuchautor und Regisseur zum ersten Mal auf die Unterstützung seines Bruders Ethan verzichtet. So kommt dieser Film ohne den Coen-Touch aus, jener Art von schwarzem Humor, mit dem sie selbst die brutalsten Stoffe noch ironisch gebrochen haben. Skurrile, zur Überzeichnung geeignete Nebenfiguren gibt es auch bei Shakespeare, etwa die leicht trotteligen drei Mörder, die Macbeth für den Mord an Banquo anheuert. Aber Coen macht sie nicht zu Karikaturen, ihn interessiert vor allem das Abgründige der Geschichte, das Böse, das ein Teil des Menschen ist. Die nächtliche Szene, in der Banquo an der Landstraße abgefangen und erstochen wird und sich sein kleiner Sohn Fleance, der künftige König, in ein Kornfeld flüchtet, verfolgt von den Tätern, könnte aus einem Horrorfilm stammen.

Denzel Washington tritt als Macbeth anfangs noch wie ein Actionheld auf, sein Blick ist strahlend, er hat die norwegischen Invasoren und die mit ihnen verbündeten Aufständischen vernichtend geschlagen. Dafür wird er vom schottischen König Duncan (Brendan Gleeson) mit den Würden des Thane of Cawdor belohnt, einem Fürstentitel, den zuvor ein Rebell getragen hatte.

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Doch je stärker die Worte der Hexen in ihm zu arbeiten beginnen, je stärker sich Macbeth verstrickt in das Netz von Verrat und Verschwörung, desto mehr verliert er an Kraft und Klarheit. Sein Ehrgeiz wirkt wie ein Gift, das ihn von innen zersetzt. Als er zaudert, ist es Lady Macbeth, die ihn zur Tat drängt, von ihm verlangt, ein Mann zu sein und keine Memme. Frances McDormand spielt sie mit einer Mischung aus Geschmeidigkeit und Härte, säuselnd und schroff.

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Der Mord wird zu einem Kraftakt

Harte Kontraste fehlen in den Schwarzweiß-Bildern des Films, manchmal treten die Figuren aus einem diffus grauen, fast nebelhaften Hintergrund hervor. Schwer zu durchschauen sind ihre Absichten, die Konturen unklar. Gedreht wurde in einem beinahe quadratische Format, die minimalistischen Kulissen erinnern an Ingmar Bergmans Ritter-Drama „Das siebente Siegel“ und an Carl Theodor Dreyers „Jeanne d’Arc“. Über die Rückwände der Zelte in Duncans Feldlager fliegen die Schatten von Bäumen; die auf Meeresklippen errichtete Burg von Macbeths Widersacher Macduff, Schauplatz eines Massakers, gleicht einem Spukhaus. Und Schloss Forres wirkt mit seinen wuchtigen Mauern und hohen Rundbögen genauso mittelalterlich wie modern.

Für Duncan, der Macbeth besucht, wird das Schloss zur Falle. Lady Macbeth hat die Wachen des Königs mit Wein betäubt, und als Macbeth in dessen Zimmer schleicht, schwebt tatsächlich wie in Shakespeares Text ein Dolch vor ihm her, der Griff ihm zugekehrt, den Weg weisend. Er entpuppt sich als Türknauf. Der Mord wird zu einem Kraftakt, Macbeth ringt lange mit Duncan, sticht ihm in den Hals, schließlich tropft Blut von der Hand des Königs auf den Boden. Ein drastischer Moment, auch wenn Coens Film weit entfernt ist von der Brutalität in Roman Polanskis „Macbeth“-Verfilmung (1971). Dort sieht man Köpfe rollen.

(Ab dem 25. Dezember in den Kinos. Ab dem 14. Januar auf Apple TV+)

Das Blut klebt an Macbeth, er wird es nicht mehr los. Halluzinationen verfolgen ihn, der Untat müssen weitere folgen. Ruhe findet er keine mehr. Heute würde man ihm ein Burnout, er sagt: „Mord tötet den Schlaf“. Diener melden den Selbstmord von Lady Macbeth, die wahnsinnig wurde. Am Ende ist Macbeth allein, die Truppen seiner Gegner rücken auf das Schloss zu, getarnt von Zweigen aus dem Wald von Birnam, angeführt von einem Mann, der nicht von einer Frau geboren, sondern von einem Arzt aus ihrem Bauch geholt wurde.

Joel Coen hält sich streng an Shakespeares Drama, auch wenn er es an einigen Stellen gerafft und gekürzt hat. Das Schauspielerensemble agiert beeindruckend, Denzel Washington kann man dabei zusehen, wie er langsam das Ego seines Macbeth zerbröseln lässt. Wo Wille war, bleibt nur noch Wahn. Allerdings verliert auch die Inszenierung ihre Kraft. Das finale Schwert-Duell wirkt schwerfällig. Dann fliegen wieder Raben durchs Bild.

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