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Sultan mit Anzug und Krawatte: Ein Bild aus „Erdoğan“.

© Correctiv

Gezeichnete Biografie: Wie ein Comic Erdoğans Weg an die Macht analysiert

Im Comic „Erdoğan“ zeichnen Can Dündar und Mohamed Anwar den Aufstieg des Präsidenten nach - und beschreiben Muster, die man auch aus Deutschland kennt.

Die eigentlichen Helden dieses Comics über Recep Tayyip Erdoğan sind dessen Autoren, die in Berlin im Exil leben: Der in der Türkei verfolgte Journalist Can Dündar und der ägyptisch-sudanesische Zeichner Mohamed Anwar, der nach dem Scheitern des arabischen Frühlings ebenfalls in Deutschland Zuflucht gefunden hat.

Warum ein Comic über Erdoğan? Darauf hat Dündar verschmitzt geantwortet: Weil dieser Cartoons so überhaupt nicht mag, vor allem keine, die ihn satirisch aufs Korn nehmen. Das geschieht in diesem vom Recherchezentrum Correctiv veröffentlichten Buch (320 S., 25 €) aber nicht.

Im Gegenteil, sorgfältig recherchiert erzählt der Band Erdoğans zu Beginn hartes Leben und seinen Aufstieg zur Macht. Die schwarz-weißen Zeichnungen sind betont nüchtern und sparsam, aber effektvoll. Sympathisch wird Erdoğan dadurch nicht, aber man versteht nicht nur den Präsidenten der Türkei besser, sondern auch die wechselvolle Geschichte seines Landes.

Der Crash-Kurs über fünf Jahrzehnte, mit Fokus auf die Entwicklung des politischen Islam, setzt einige Kenntnisse über die vormals laizistisch geprägte Türkei voraus und erfordert genaues Lesen, um die politischen Prozesse zu verstehen. Es wird klar, dass Erdoğan immer wieder davon profitiert hat, dass seine politischen Gegner sich nicht zusammengeschlossen haben.

Es geht um die absolute Macht

Man erkennt die Muster aus der deutschen Politik: Ein radikaler Politiker nutzt die Mechanismen der Demokratie und des Rechtsstaats, solange sie ihm nützlich sind, um sie, einmal an der Macht, für andere zu beschneiden. Wehrt sich der Staat gegen den radikal-islamischen Erdoğan, nutzt ihm der Opfermythos bei seinen Anhängern, deren zunehmende Konformität zeichnerisch effektvoll inszeniert wird.

Man kann kaum anders, als das politische Talent Erdoğans anzuerkennen, seine Disziplin und sein taktisches Geschick. Seine Idee, aus den Moscheen herauszugehen und die Türken dort zu mobilisieren, wo sie an den sozialen Verhältnissen leiden, führt zum Erfolg.

[Buchpräsentation von „Erdoğan“ im Gorki-Theater am 13.11., 20.30 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung: ticket@gorki.de, die Veranstaltung kann auch auf YouTube im Livestream verfolgt werden.]

Doch auch die Sozialkritik und der Anti-Establishment-Gestus des „Sultans“ mit Anzug und Krawatte sind rein instrumentell, wie am Ende wohl auch die Religion. Es geht um die absolute Macht.

Dabei helfen Erdoğan immer wieder Teile des Staatsapparats und der Justiz, beide nicht nur von der zeitweise verbündeten Gülen-Bewegung gezielt unterwandert. .

Was passiert, wenn Staatsdiener zu autoritären Bewegungen überlaufen und zum Rechtsbruch bereit sind, sehen wir heute auch in Deutschland. Ein zweiter Band soll folgen; hoffentlich braucht es dafür nicht wieder fast vier Jahre.

Unser Autor Thomas Greven ist Politikwissenschaftler und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

Thomas Greven

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