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Amour fou: Eine Szene aus „Der Liebhaber“.

© Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2020

„Der Liebhaber“ als Manga: Auf den Spuren von Marguerite Duras

Die Mangazeichnerin Kan Takahama hat den teils autobiografischen Romanklassiker „Der Liebhaber“ neu interpretiert und dafür die Schauplätze des Romans besucht.

Eine Geschichte voll hoffnungsloser Romantik erzählt Manga-Autorin Kan Takahama mit ihrer Adaption des französischen Romanklassikers „Der Liebhaber“ (Carlsen, 160 S., 22 €) Das Original der Schriftstellerin Marguerite Duras ist eine teils autobiografische Liebesgeschichte, die sich im kolonialen Indochina der 1930er Jahre zuträgt. Als 16-Jährige hatte Duras eine leidenschaftliche Affäre mit einem zwölf Jahre älteren Chinesen aus einer reichen, angesehenen Familie.

Takahama fängt die damalige Atmosphäre so gekonnt ein, dass man meint, die schwüle Hitze in den Gassen im Gesicht zu spüren und die beengende Schwatzhaftigkeit der Nachbarn im Ohr zu haben. Im Gegensatz zur mangatypischen Schwarzweiß-Gestaltung und auch in Abkehr von ihrem bisherigen eher skizzenhaften Zeichenstil koloriert die Autorin ihr Werk in satten, Hitze und Trägheit verströmenden Farben.

Eine Liebe ohne Zukunft

Wegen ihrer sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellung wird schnell klar, dass die Beziehung der beiden Liebenden keine Zukunft hat. Denn auch wenn der reiche Chinese starke Gefühle zu hegen scheint, gelingt es ihm nicht, sich gegen seinen konservativen Vater durchzusetzen. Der würde die Heirat mit einem französischen Mädchen aus einer verarmten Familie niemals akzeptieren.

Die Mutter der Protagonistin wiederum wirft ihrer Tochter vor, sich wie eine Hure zu benehmen, lässt sich zugleich aber gern von deren Liebhaber ins teure Restaurant einladen. So lastet auf der jungen Amour fou von Anfang an der Schleier der Hoffnungslosigkeit.

In Europa bekannter als in Japan

Am Ende zieht die für ihr Alter ziemlich abgeklärte Protagonistin zurück nach Frankreich, vorgeblich um ihren gesellschaftlichen Ruf wiederherzustellen. Ihr Liebhaber hingegen erfüllt seines Vaters Wunsch und geht eine standesgemäße Ehe mit einer jungen Chinesin ein.

Zeitreise: Eine weitere Szene aus „Der Liebhaber“.
Zeitreise: Eine weitere Szene aus „Der Liebhaber“.

© Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2020

Kan Takahama, die in Europa inzwischen bekannter ist als in ihrer japanischen Heimat, reiste für Vorrecherchen zu „Der Liebhaber“ selbst nach Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam, wo sich viele der Schauplätze des Romans befinden.

Vor Ort sei ihr unter anderem klar geworden, wie kurz die Entfernungen zwischen den Häusern der beiden Liebenden waren, schreibt sie in einem Vorwort: „Und in dieser kleinen Stadt mussten die beiden höchst unterschiedlichen Häuser sehr auffällig gewesen sein: das des reichen Chinesen und das der weißen, ärmlichen, schlecht beleumundeten Familie.“

[„Der Liebhaber“ gehört für Tagesspiegel-Autorin Julia Frese zu den besten Comics des Jahres 2020. Hier gibt es ihre Top-5-Liste.]

Takahama vermutet gar, dass die beiden Unglücklichen bereits voneinander gehört hatten, als sie sich zum ersten Mal auf der Fähre begegneten. Auch die feuchte, stickige Luft, die eine Stimmung des Überdrusses erzeuge, und das Gefühl, nirgends dazuzugehören, nahm Takahama als Eindrücke von ihrer Reise mit. Zurück in Japan habe sie Duras‘ Romane erneut gelesen und die Protagonistin auf einer neuen, viel tieferen Ebene verstanden, schreibt sie.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Jene intensiven Recherchen und Überlegungen, die dem Manga vorausgegangen sind, machen ihn zu mehr als einer reinen Adaption des literarischen Stoffes. Katahama übersetzt nicht bloß Vorhandenes in ihre opulente Bildsprache, sondern interpretiert einzelne Elemente der Erzählung auf ihre eigene Weise, fügt lose Enden zusammen oder rückt Dinge behutsam ins rechte Licht.

So entsteht ein Werk, das der Perspektive Marguerite Duras‘ auf ihr jüngeres Ich eine weitere Ebene hinzufügt: die der außenstehenden, mitfühlenden Dritten.

Julia Frese

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