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Der neue Nachbar nebenan: Bei der Gentrifizierung prallen in Berlin täglich Welten aufeinander.

© Sean Gallup/Getty Images

Berlinale Glosse (10): Showdown zwischen Sülze und Schnaps

Bei der Karaoke kommt die Polizei, der Nachbar jettet um die Welt. Unser Autor erlebt die Premiere eines Berliner Gentrifizierungs-Dramas. Es spielt nebenan.

Ich hab mal am Friedrichshain gewohnt. Morgens joggen im Park, mittags Buch und Kaffee am Märchenbrunnen, Freunde treffen auf der Wiese, abends verträumt ins Freiluftkino. Die Sommertage waren endlos, ich wohnte draußen in Berlin. So wie jetzt.

Meine Nachbarin war eine alte Dame mit leuchtend roten Geranien am Balkon. Als ich eine Party feierte, holte sie die Polizei. „Das sind mir zu viele junge Leute hier“, beschied sie mir. Okay, wenn 60 Menschen in der Wohnung über dir „Aloa Heja He“ in eine Karaokeanlage singen, würde ich mich womöglich auch gestört fühlen.

Ich hatte der alten Frau, die nicht gern viel redete, oft die Kohlen für ihren Ofen hochgetragen. Besonders in der Woche vor der Party. Ich dachte, das reicht als Ausweis meiner eigentlichen Nettigkeit. Es reichte nicht.

Der Film „Nebenan“ dreht sich um einen um sich selbst kreisenden Schauspieler, der um die Welt jettet und in seiner Gastrolle als Berliner mitsamt Familie ein Dachloft bezieht, seine Wohnung hat einen Fahrstuhl. Gegenüber wohnt ein Ost-Berliner Ur-Einwohner, der die Treppe nimmt. Und der den Neuen beobachtet. Ganz genau beobachtet. Und ihm irgendwann was sagen will. Unten in der Eckkneipe treffen sie aufeinander. Zwischen Sülze und Schnaps kommt es zum rasanten Showdown zweier Welten, wie sie in Berlin täglich aufeinanderprallen.

Mit jedem neuen Bier spielt Bruno (der wieder grandiose Peter Kurth) den Schauspieler Daniel (Daniel Brühl) an die Kneipenwand; dem rutscht sein polyglottes Lächeln aus dem Gesicht. „Dein Lachen auf Spanisch, dein Lachen auf Englisch, das kann einen fertig machen“, sagt Bruno zu Daniel. „Ich halte einfach dein Lachen nicht mehr aus.“ Und ja, man muss oft lachen bei diesem Film.

Daniel Kehlmann hat die witzigen Dialoge geschrieben

Zu meiner Karaokeparty kam die Polizei mit vier Mannschaftswagen. „Alle müssen gehen“, sagte die Polizistin zu mir. „Außer Sie. Sie wohnen ja hier.“ Zur Sicherheit nahm sie auch das Mikro mit. Wir zogen runter in die Eckkneipe, in der ein älterer Mann auf der Theke eingeschlafen war. Sie hatten sicher ihren Umsatz des Jahres. Kurz danach machte die Pinte trotzdem dicht. Inzwischen ist da ein Plattenladen drin. Bruno würde sagen: „Wessi-Romantik“.

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Showdown im Film: Peter Kurth (links) spielt Daniel Brühl in "Nebenan" an die Kneipenwand.
Showdown im Film: Peter Kurth (links) spielt Daniel Brühl in "Nebenan" an die Kneipenwand.

© Jens Kalaene/Pool/AFP

„Nebenan“ ist Daniel Brühls erster eigener Film. Die witzigen Dialoge kommen von Schriftsteller Daniel Kehlmann, besonders Peter Kurth reizt sie bis zum letzten Komma aus. Wenn das kein Kassenerfolg wird, dann wird kein Kinofilm ein Kassenerfolg in diesem endlosen Sommer. Bei der Premiere auf der Museumsinsel werden Brühl und Kurth mit Ovationen gefeiert. Und Brühl erzählt, wo ihm die Idee zum Film kam: in einer Tapas-Bar in Barcelona. „Ich war aus Berlin eingeflogen und palaverte mit dem Kellner auf Spanisch über den FC Barcelona, um zu gefallen. Neben mir saß ein Brocken von einem Mann. Er sah mich an, sagte nichts und ich wusste: Er mag mich nicht.“

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Nach dem Schlussapplaus frage ich Daniel Brühl, wo er selbst am liebsten in Berlin ist. Im Volkspark Friedrichshain, antwortet er, „Tennis spielen, laufen, nachdenken.“ Was wohl seine Nachbarn dazu sagen?
Ich lebe längst da, wo alle im Haus mitfeiern, wenn es eine Party gibt. Die alte Dame, die damals unter mir wohnte, ist sicher gestorben. Wer hat schon noch Geranien?
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