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Von wegen bedrohlich. Für Louise Bourgeois waren Spinnen nützliche, geduldige Tiere.

© dpa

Ausstellung "The Woven Child": Meisterin der Netze

Aus den dunklen Ecken der Psyche: Die große Bildhauerin Louise Bourgeois wird mit einer Retrospektive im Berliner Gropius Bau gewürdigt.

Man möchte meinen, wenn jemand die eigene Mutter als Spinne beschreibt, sei das nicht unbedingt ein Kompliment. Ein Tier mit furchteinflößendem Körper, das in seinem Netz sitzt und lauert, das die Beute mit einem Faden umwickelt, ihm die Lebenssäfte aussaugt. Von Louise Bourgeois, dieser kleinen, zerbrechlichen Künstlerin, kann man sich gut vorstellen, dass sie unerschrocken in dunkle, spinnenbesetzte Keller hinabsteigt, so wie sie zeit ihres Lebens unerschrocken die dunklen Ecken ihrer Psyche ausgeleuchtet hat.

Bourgeois sieht das mit den Arachniden ganz anders. In ihrer Wahrnehmung ist die Spinne ein nützliches und geduldiges Wesen, dass sich nicht ärgert, wenn jemand ihr Netz zerhaut, sondern es einfach repariert. Es ist ein Sinnbild für ihre Mutter. Viele Jahrzehnte hat Louise Bourgeois, die große Seelenforscherin, sich an der Beziehung zu ihrem Vater abgearbeitet, hat ihn in ihrer Bildhauerei auseinandergenommen, zerstückelt, symbolisch verspeist. Die neue Ausstellung im Gropius Bau ist grundiert von Bourgeois’ Beziehung zur Mutter.

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Kuratorin Julienne Lorz hat die zuvor in der Londoner Hayward Gallery gezeigte Retrospektive für Berlin neu arrangiert. „The Woven Child“ konzentriert sich auf die textilen Arbeiten der 1911 in Paris geborenen Künstlerin. Ein Fokus, den man so bisher nicht gesehen hat. Eine Retrospektive im Geist der Fäden, des Ausbesserns und Reparierens, der Spinne.

Bourgeois hat im Laufe ihrer langen Karriere mit unterschiedlichen Materialien gearbeitet, mit Holz, Marmor, Latex und Stahl. Die gezeigten Textilarbeiten entstammen alle ihrem Spätwerk und umfassen eine große Bandbreite: Torsi und weibliche Körper aus Cord, schwangere Püppchen aus rosa Filz, vertikale Stelen aus Stoffziegeln, Installationen mit Kleidern und Bademänteln, Collagen, bei denen sich aus bunten Stoffresten raffinierte Netze und Kreise ergeben. Die Tochter einer fleißigen Spinnenfrau war selbst sehr geschickt darin, abstrakte Muster zu komponieren. Es bereitet Vergnügen, diese Stoffcollagen und Radierungen auf alten Kissen zu sehen. Sie bringen sogar Farbe in die düstere Psychoanalyse-Kunst von Louise Bourgeois.

[ Gropius Bau, bis 23. Oktober, Niederkirchnerstraße 7, Mi–Mo 10–19 Uhr, Do 10–21 Uhr]

Sie war bereits 80 Jahre alt, als sie sich der Arbeit mit Nadel, Faden und Haushaltstextilien zuwandte. Die Französin stammt aus einer Familie von Tapisserie-Reparateuren. Ihre Mutter war Spezialistin im Ausbessern von alten Gobelins, der Vater verkaufte selbige in der Familiengalerie am Boulevard Saint-Germain in Paris. Louises Aufgabe als Kind war es, verloren gegangene Elemente wie Füße für die Teppiche zu zeichnen. Mit etwa 15 Jahren machte sie eine Ausbildung im Betrieb ihrer Eltern, lernte den Umgang mit Stoff. Man kann ihre späten Textilarbeiten als Hinwendung zur Mutter deuten, die sie im Radierzyklus „Ode à ma mère“ als ihre „beste Freundin“ bezeichnet, als „bedacht, klug, geduldig, tröstend, vernünftig … und nützlich wie eine Spinne“.

Bei einem der „Pole Pieces“ sind Kleider an beigefarbenen Knochen aufgehängt. Ein kleines Schwarzes mit Pailletten. Hemdchen, die die Künstlerin als Kind getragen hat. Blusen, von ihr oder der Mutter. Niemand hat den Staub aus den Klamotten gepustet, die Hemden sind vergilbt. Es sind Erinnerungsstücke, vergangene Emotionen hängen an diesen fast statischen Knochenmobiles. Während in der Ausstellung viele Beispiele dafür zu sehen sind, wie Bourgeois Stoffe auseinandergerissen und kunstvoll neu zusammengeflickt hat, sind diese Kleidungsstücke intakt. Die Kleider ihrer Mutter hat Bourgeois nie zerschnitten. Die verzeihende Mutter bildet mit ihren sehnigen Spinnenbeinen ein schützendes Dach, ein Haus, wie in der berühmten Skulptur „Die Spinne“, die im Gropiusbau einen eigenen Raum hat.

Angst vor dem Verlassenwerden

Die Angst vor dem Verlassenwerden ist ein wiederkehrendes Motiv in Bourgeois’ Kunst. Das Gefühl, nicht richtig zu sein. Besonders als Frau. Die aufgerissenen Münder, die gestopften Löcher, die Stoffklötze mit den Brüsten, die Leiber ohne Gliedmaßen zeugen davon. Liest man Texte und Interviews von Bourgeois, gewinnt man den Eindruck, dass sie damit haderte, eine Frau zu sein. „Ich bin nun mal eine Frau“, sagte sie, gefragt nach den feministischen Anteilen, die unübersehbar ihr Oeuvre durchziehen. Bourgeois offenbart in ihrer Kunst, wie sich das anfühlt, wenn sich Vater eigentlich einen Sohn gewünscht hat. Ein Umstand, der sich nicht reparieren lässt. Nur immer wieder neu in Form gebracht werden kann.

Kuratorin Lorz geht nicht chronologisch vor, sondern arrangiert die Werke nach den physischen und seelischen Problemen, die die Künstlerin adressiert. Mehrere „Zellen“ sind vertreten, klaustrophobische, vergitterte Räume. Man fremdelt in der langen Raumflucht des Gropius Baus, vor allem am Anfang. Die „Pole Pieces“, die aus konservatorischen Gründen nur mit Sicherheitsabstand betrachtet werden können, bleiben kryptisch.

Raum mit den "Couples"

Umso besser funktionieren die auf Hüfthöhe gehängten oder gestellten Vitrinen. Intensiv ist der Raum mit den „Couples“. Hier passiert etwas Seltsames. Zwei Körpergebirge liegen jeweils unter Glashauben. Ineinander verschlungen, aus dunklem Stoff, man weiß nicht genau, wo die eine Person anfängt, die andere aufhört. Man sieht ein Loch, zwei dicke Kugeln, die unten liegende Person hat Prothesen an Arm oder Bein. Körperlich scheint die Behinderung nicht im Wege zu sein, aber wie ist es emotional? Louises Schwester hatte eine Beinbehinderung. In mancher Schrift ist zu lesen, dass die Künstlerin als Kind ihre Schwester beim Liebesspiel mit einem Verehrer beobachtet haben soll, und heftig rätselte, was da vor sich geht. Man ist verführt, alles in Louise Bourgeois’ Arbeiten biografisch zu deuten. Aber was sie ausdrückt, ist universell. Emotionen, die vielleicht nicht jeder, aber doch viele verstehen.

Ein Grundthema ist der Schmerz. „Ich empfehle weder Heilmittel noch Entschuldigungen“, schreibt Bourgeois in einem Katalogbeitrag aus den 1990er Jahren. In ihrer Kunst gibt sie dem Leid und der Angst eine Form. Den in Form gebrachten Schmerz kann man begutachten. Er ist nicht mehr im Unterbewusstsein eingeschlossen. Ihre Anti-Verdrängungs-Kunst rührt wie ein Schneebesen die eigenen Emotionen auf. Sie äußern sich als Ziehen im Bauch, als Fluchtinstinkt, als Verbundenheit. „Meine Emotionen sind meiner Körpergröße nicht angemessen“, schrieb Bourgeois. „Sie sind zu intensiv. Ich übertrage die Energie in die plastische Arbeit.“ Bei den Stoffskulpturen ist viel Liebe und Hingabe im Spiel. Das kann man sehen und spüren.

Gropius Bau, bis 23. Oktober, Niederkirchnerstraße 7, Mi–Mo 10–19 Uhr, Do 10–21 Uhr.

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