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Blutiges Schweigen. David Wojnarowicz’ Film „A Fire in My Belly“ entstand 1986/87 kurz nach dem Aidstod seines Freundes Peter Hujar. Er gab der Ausstellung in der Stoschek Collection ihren Titel.

© Courtesy of the Estate of David Wojnarowicz, PPOW Gallery, New York

Ausstellung in der Julia Stoschek Collection: Corona wirft ein neues Licht auf die Kunst

Wut, Trauer, Angst: Mit „A Fire in My Belly“ gibt die Sammlerin Julia Stoschek den bislang größten Einblick in ihre Kollektion digitaler Kunst.

Das Paar strebt nach oben, die Arme gen Himmel gerichtet. Wie ein Kranz wölbt sich die Jacke der Frau um ihr Gesicht. Eine Fotografie in monumentaler Dimension, bei der man an die fotografischen Experimente der russischen Avantgarde denken muss. Bis einem aufgeht: Das Bild steht kopf. In Wahrheit baumeln die Körper am stählernen Gerüst einer Tankstelle, schlaff und vielfach malträtiert.

Es handelt sich um Mussolinis Leiche und die seiner Geliebten Clara Petacci. Beide wurden nach ihrer Erschießung an den Füßen aufgehängt, doch davor waren die Toten auf der Mailänder Piazzale Loreto bespuckt und bepinkelt worden. Der Hass auf den Duce entlud sich im Frühjahr 1945 mit voller Wucht.

Wut empfindet jeder anders. Sie kann sogar in Kunst gewandelt werden

„Untitled (A-Line)“ von Adam McEwen ist sicher die härteste Arbeit, die gerade in der Julia Stoschek Collection gezeigt wird, und wer sie mit dem schwebenden Obst in Paul Chans kurzer Animation vergleicht, der fragt sich, wie beides in der Ausstellung „A Fire in my Belly“ zusammenkommt.

Doch Wut und Aggression sind Gefühle mit einer individuellen Temperatur: Jeder empfindet sie, aber der Umgang damit unterscheidet sich elementar. Sie an Toten wie dem Faschisten Mussolini auszuleben, ist zwar verständlich, mündet aber in destruktiver Zerstörung. Kunst daraus zu machen, wie es neben McEwen oder dem Aktivisten Chan auch David Wojnarowicz gelingt, lenkt diesen starken Reflexe ins Kreative.

„A Fire in My Belly“ nannte Wojnarowicz einen unvollendeten Film, der nach dem Aidstod seines Freundes Peter Hujar 1987 entstand. Er gibt der Ausstellung ihren Titel und stimmt schon am Eingang auf das Thema ein: mit brutalem Flimmern, montiert aus disparaten Szenen, die die innere Zerrissenheit des Künstlers spiegeln. Fünf Jahre später starb er in New York selbst an dem Virus – der ersten Pandemie der Moderne.

Im Jahr vor Corona begann die Vorbereitung für die Ausstellung

Als Lisa Long und Julia Stoschek 2019 mit ihrer Zusammenstellung der Schau begannen, war Covid-19 noch kein Thema. Nun jedoch wirkt das Projekt wie ein prophetischer Vorgriff: Was sich in Beiträgen von Cyprien Gaillard, Barbara Hammer, Bunny Rogers, Arthur Jaffa oder Bernadette Corporation manifestiert, liest sich als künstlerische Reaktion auf ein Jahr Angst, Isolation und – natürlich Wut. Eine Abrechnung mit den Umständen, politischer Einfallslosigkeit, der Strangulierung der Kultur. Verblüffend gegenwärtig.

Für Stoschek ist es die bislang umfangreichste Ausstellung in Berlin, fast 50 Arbeiten verteilen sich im ehemaligen tschechischen Kulturzentrum. Wer alle Videos komplett sehen will, braucht an die 20 Stunden. Deshalb gilt das Eintrittsticket ein halbes Jahr lang, sobald es ausgegeben werden kann: Noch herrscht Besuchsverbot, die Rezeption der Arbeiten beschränkt sich auf online Verfügbares und den Katalog, der als Pdf zum Download bereitsteht.

Obwohl Stoschek zeitbasierte Werke bevorzugt, gibt es auch Malerei

Nach dem Shutdown wird man einen neuen Blick auf die Sammlung werfen. Dass sie zeitbasierte Medien bevorzuge, betont Stoschek immer wieder. Hier nun eröffnet die Schau mit einem Ölgemälde von Karl Wilhelm Diefenbach. Ein Querformat aus dem Jahr 1911 mit der Insel Capri im tiefroten Licht der Sonne. Der Text zum Bild erzählt von Diefenbachs unkonventionellem Leben, das ihn Anfang des 20. Jahrhunderts zum Außenseiter machte.

Die Kuratorin Lisa Long kombiniert noch mehr aus dem Depot der Sammlung mit geliehenen Exponaten, die nicht ins Korsett der Zeitbasiertheit passen. So baut sich im Foyer Monica Bonvicinis Skulptur „Corner Boy“ auf. Ein Turm aus schwarzen Gürteln, der den Weg versperrt, während daneben im Video „Hammering Out (an old argument)“ ein Hammer gegen eine Wand schwingt, ohne sie zu durchdringen. Oder durchzudringen?

Viele Arbeiten spielen mit Doppeldeutigkeiten

Was so martialisch daherkommt, könnte auch kommunikative Vergeblichkeit symbolisieren. Ein destruktiver Dialog voll Unempfänglichkeit für die Argumente des anderen. Viele Arbeiten spielen mit solchen Doppeldeutigkeiten.

Sie sind schnell, laut und Bilderfeuerwerke wie die theatralische Videoinstallation „Crocopazzo“ von Leila Hekmat oder Galliards Holografie „L’Ange du foyer“, für die er ein Monster aus einem Gemälde von Max Ernst ins Digitale überführt hat. Ein wild gewordenes Wesen, das sich im Furor immer wieder selbst verzehrt.

Dahinter artikulieren sich Gewalt- und Verlusterfahrung, werden Unrecht und Rassismus benannt, wird analysiert und nachgedacht. Etwa über die Unberechenbarkeit des Lebens, das einen mit diversen Krankheiten traktiert. Der britische Künstler P. Staff lässt in dem Video „Weed Killer“ (2017) die Schauspielerin Debra Soshoux über ihre Krebstherapie sprechen: „Etwas ist in deinen Körper eingedrungen und trachtet dir nach dem Leben.“

Es wird mit toxischen Substanzen bekämpft, die einem ebenfalls schaden, zugleich aber retten. Dieses Dilemma löst die Schau nicht auf, sondern lässt es in all seiner Unbehaglichkeit wirken. „A Fire in My Belly“ ist sicher kein Spaziergang. Aber die richtige Ausstellung zur richtigen Zeit.

Julia Stoschek Collection, Leipziger Str. 60, bis 12. Dezember, www.jsc.art

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