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Menschliche Spuren. Installation des Berliner Künstlers Olaf Nicolai.

© Sean Smuda

Ausstellung im Europäischen Nordmeer: Das letzte Picknick

Kunst und Klimakrise: Die Ausstellung „Goodbye, world“ findet auf einer Eisscholle in Schweden statt. Und geht unter, wenn es taut.

Schritte knirschen im Schnee. Ein lautes, knarzendes Geräusch, so konnte man es in den vergangenen Tagen auch in Berlin oder Hamburg hören, als es mehrere Zentimeter schneite. Jetzt aber sind wir in einem echten Schneegebiet, auf einer Eisscholle in der schwedischen Arktis, wo es bis ins Frühjahr hinein nicht tauen kann.

Die Person, die den Schneelärm verursacht, läuft einen Kunstparcours ab. Ihre Kamera zielt auf einen mit Asche überzogenen Schneehügel, in dem ein paar kleine Totenköpfe stecken. Ein Stück weiter findet sich eine Picknicktafel auf dem vereisten Boden, mit Teller, Tasse, Besteck und Glas. Dieses „egoistische Picknick“, eine Installation des Berliner Künstlers Olaf Nicolai, erinnert daran, dass vor allem der westliche Mensch mit seinem Lebensstil zum Klimawandel beigetragen hat. Er hat gegessen in Hülle und Fülle, genommen, was die Erde hergab, was bleibt ist Zivilisationsmüll. Um diese Misere dreht sich die Ausstellung „Goodbye, world“.

Der Künstler Andreas Templin und der Kurator und Kunstkritiker Raimar Stange, beide in Berlin beheimatet, haben sie mit der New Yorker Non-profit-Organisation apexart realisiert. Apexart lädt regelmäßig via Open Call Künstlerinnen, Kuratorinnen und Autoren ein, sich mit Ausstellungsideen zu bewerben. Eine große Online-Jury entscheidet dann, welche realisiert werden.

Die Kunst verabschiedet sich

Stanges und Templins Idee hat verfangen. Die beiden haben sich vorgenommen, auf die Unumkehrbarkeit der Klimakrise hinzuweisen, indem sie eine Ausstellung an einem Ort aufbauen, der unmittelbar bedroht ist. Im Zuge der Erderwärmung werden Tiere und Pflanzen verschwinden, bestimmte Regionen werden überflutet, andere werden vertrocknen, Menschen werden ihren Lebensraum verlieren. Nur konsequent, dass sich dann auch die Kunst verabschiedet.

Die Skulpturen und Installationen von zehn Künstlerinnen und Künstlern, die Stange und Templin auf einer Eisscholle im bottnischen Meerbusen aufgebaut haben, sollen bleiben bis es taut – und dann im Meer versinken. Die Kunst verschwindet, beansprucht keine Ewigkeit. Allerdings liegt sie danach als Zivilisationsmüll auf dem Grund, was die Ausstellungsidee etwas trübt, aber auch das Dilemma, in dem die Menschheit steckt, gut widerspiegelt.

Eisscholle im bottnischen Meerbusen in Schweden, mit „Josephs Anzug“ von Peter Niemann und einer Skulptur von Veit Schütz
Eisscholle im bottnischen Meerbusen in Schweden, mit „Josephs Anzug“ von Peter Niemann und einer Skulptur von Veit Schütz

© Sean Smuda

Ein Filzanzug von Beuys mit Marlboro-Emblem

Dort, auf der Scholle im Schnee, hängt nun, so zeigt es das Video auf der Ausstellungswebseite, ein Filzanzug von Jospeh Beuys, ein berühmtes Editionswerk der Düsseldorfer Ikone und frühem Anführer der Umweltbewegung, das vom Künstler Peter Niemann konsumkritisch mit einem Marlboro-Logo benäht wurde. Auch Beuys' grüne Ideale werden im Neoliberalismus zum Produkt. Der Anzug dürfte auf dem Meeresgrund immerhin schnell verrotten.

Die Fotomontage, die den ehemaligen US-Vizepräsident Mike Pence bei der Ankündigung des neuen US-Raumfahrtprogramms zeigt, ein Beitrag der US-Künstlerin Martha Rosler, ist auf einen Blechkuchen aufgeklebt. Wahrscheinlich werden die Tiere das Bild des amerikanischen Weltenbeherrschers schon weggeknabbert haben, bevor es sinkt. Mit ihm geht dann symbolisch auch das anthropozentrische Weltbild unter, bei dem der Mensch alles beherrscht, sei es die Erde, das Wasser, den Weltraum oder die Arktis.

[Gespräch mit den Kuratoren 20.2., 18 Uhr auf apexart.org]

Stehen wir vor, während oder nach der Apokalypse? Die Frage haben sich die Ausstellungsmacher beim französischen Philosophen Bruno Latour ausgeliehen.

Latour kommt zu dem Schluss, dass die einzige Reaktion auf die Apokalypse sei, sich ihr zu stellen. Oder wie Greta Thunberg sagte, es sei nötig, „das System zu wechseln“. Inmitten dieser existenziellen Fragen platzieren Stange und Templin nun die Kunst. Sie soll dafür sensibilisieren, sich von der Beherrschung und Ausbeutung der Natur abzuwenden, ein neues Verhältnis zur Erde aufzubauen; und sich dem Verschwinden zu fügen.

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