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Landeskonservator Christoph Rauhut und Johannes Wien vor den Pfählen, die einst das Stadtschloss trugen.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Archäologie in Berlin: Unter dem Pflaster liegt das Mittelalter

Am Humboldt Forum, am Roten Rathaus und am Petriplatz sollen drei „Archäologische Fenster“ Blicke in die Berliner Stadtgeschichte ermöglichen.

Als das Humboldt Forum am 17. Dezember digital eröffnete, richtete sich das größte Interesse nicht auf die noch leeren Ausstellungsräume, die schicken Wandelzonen oder die Skulpturenhalle mit Schlüters Kolossalfiguren, sondern auf die archäologischen Reste im Kellergeschoss: die Aufenthaltsräume der Schlosswache, den gewaltigen Ventilator der von Wilhelm II. eingebauten Heizungsanlage oder die Sprenglöcher der Dynamitstangen, die 1950 unter dem Eosanderportal eingebracht worden waren.

Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte sowie Landesarchäologe Berlins, nahm dieses Interesse mit Genugtuung auf. Schließlich hatte er dafür kämpfen müssen, dass die Überreste erhalten blieben, ja einen ordentlichen Auftritt bekamen.

Das war nicht immer so. Eigentlich war den seit Abbruch des Palastes der Republik freigelegten unterirdischen Gemäuern durch Franco Stellas Siegerentwurf ein ehrendes Andenken versprochen worden.

Die Jury hatte den Vorschlag des italienischen Architekten für das Humboldt Forum nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil er für den Erhalt des Kellers sorgte. Denn aber wurde im Gesamtbudget von 500 Millionen Euro lediglich eine Million Euro eingeplant, um der überirdischen Schlosskopie wenigstens im Untergeschoss die Authentizität zu belassen.

Über eine schmale Treppe geht es hinab

Eine internationale Tagung im Sommer 2009 im Pergamonmuseum brachte die Wende. Hinter anderen Metropolen, die sehr viel pfleglicher mit ihren archäologischen Funden umgehen, wollte Berlin nicht zurückstehen. Der Keller des Stadtschlosses bekam doch noch seine Chance – und fand in Johannes Wien, dem Sprecher der Stiftung Humboldt Forum, einen weiteren Verbündeten.

So lässt es sich der studierte Archäologe Wien auch nehmen, den seit zwei Jahren amtierenden Landeskonservator Christoph Rauhut persönlich durch die unterirdische Anlage zu führen, um ihm das erste der drei „Archäologischen Fenster“ Berlins vorzustellen.

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Wien ist begeistert, das teilt sich sofort mit. Er geleitet die kleine Gruppe, zu der auch Karin Wagner als stellvertretende Landesarchäologin und Anne Sklebitz vom Museum für Vor- und Frühgeschichte gehören, enthusiastisch über die Stege, die zwischen den Backsteinmauerwerk über den originalen Boden gelegt sind. Wenn das Humboldt Forum regulär geöffnet ist, werden maximal 150 Personen zugelassen sein, so dicht verlaufen die Wege an der originalen Bausubstanz vorbei.

Der gewaltige Ventilator gehörte zu der von Wilhelm II. eingebauten Heizungsanlage.
Der gewaltige Ventilator gehörte zu der von Wilhelm II. eingebauten Heizungsanlage.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Der Trip in die Unterwelt des Humboldt Forums ist zu empfehlen. Er führt gewissermaßen durch einen Höllenschlund, so schmal ist die Treppe hinunter in den Keller, der eigentlich ein anderes Entree verdient hätte. Über dem Zugang im Foyer hängen die auf einem hölzernen Raster befestigten Pfähle, mit denen das Stadtschloss einst im morastigen Untergrund verankert war. Sie wirken auf den ersten Blick, als wären es die Zähne eines gewaltigen Drachens.

Den Besucher erwarten hier unten im Dunkel überraschende Entdeckungen. Das aufgetauchte Renaissance-Grabmal mit einem Pelikanrelief passte zunächst nicht recht ins Bild, bis sich herausstellte, dass es aus dem Kunstgewerbemuseum stammte und vermutlich kriegsbedingt ins Stadtschloss ausgelagert war. Ebenso die Porzellanfigürchen, Schalen und zerbrochenen Fliesen, die sich in dessen Nähe fanden.

Johannes Wien lotst die Besuchergruppe zur einstigen Südwand des Schlosses, in der zwei Pfeiler des um 1300 gegründeten Dominikanerklosters verbaut sind. „Das Kloster war total vergessen“, erklärt er die Besonderheit dieser Entdeckung. „Hier unten steht es wieder auf.“

Am liebsten würde der Archäologe den Grundriss des seit dem 18. Jahrhundert aus dem Stadtbild verschwundenen Klosters auf dem Vorplatz des Humboldt Forums mit einer Silhouette sichtbar werden lassen. Aber dort ist erst einmal alles gleichförmig und glatt zugepflastert. Das Projekt könnte also dauern.

Unter dem Roten Rathaus finden sich Reste des Vorgängerbaus

Das ist schade, aber längst nicht so ärgerlich wie die Wartezeit auf das zweite „Archäologische Fenster“, nachdem die U-Bahnstation Rotes Rathaus zwar eröffnet ist, die im Vorfeld ausgegrabenen Kellergewölbe des Vorgängerbaus aber wieder zugeschüttet wurden. Matthias Wemhoff ist frustriert.

Die Planung sah ursprünglich anders aus. Für ihn ist dadurch ein wichtiger Ort der Stadtgeschichte erneut verschwunden, der Blick in die Tuchhalle, wo die Kaufleute ihre Waren lagerten, verloren. „In Berlin dauert einfach alles wahnsinnig lange, bis es endlich etwas wird“, hat er gelernt.

Der Bau gilt als eines der am besten erforschten mittelalterlichen Rathäuser Europas. Er würde nicht nur die Rolle der Bürgerschaft Berlins dokumentieren als Gegenpol zur Monarchie, sondern auch die Historie wieder ins Bewusstsein heben, die in Berlin wie kaum irgendwo sonst so flächendeckend eliminiert wurde – sei es aus ideologischen, stadtplanerischen Gründen oder durch den Krieg.

Aber noch macht sich der Landesarchäologe Hoffnung, dass es irgendwann vom U-Bahnhof aus eine Kanzel als Ausguck in den archäologischen Bereich geben wird. Den Beschluss des Abgeordnetenhauses gibt es weiterhin.

Unter dem rekonstruierten Schloss haben sich authentische Reste aus vergangenen Zeiten erhalten.
Unter dem rekonstruierten Schloss haben sich authentische Reste aus vergangenen Zeiten erhalten.

© Doris Spiekermann-Klaas

Sehr viel besser sind die Aussichten für das dritte „Archäologische Fenster“, das derzeit entsteht. Es liegt am Petriplatz nur einen Katzensprung vom Stadtschloss entfernt und repräsentiert den dritten Sektor, das religiöse Berlin auf Cöllnischer Seite. Dort stand einst die Petrikirche.

Der Nachfolgebau aus dem 19. Jahrhundert wurde nach dem Krieg wie so viele Sakralbauten in der DDR abgerissen, auch wenn die Schäden keineswegs so groß waren. Dafür wurde die Gertraudenstraße ausgebaut, ein Parkplatz entstand, ein vorläufiges Niemandsland, bis Ausgrabungen begannen.

Zwischen 2007 und 2009 konnten die Archäologen hier buddeln, im Vorfeld einer Neugestaltung des Platzes, zu der auch das „House of One“ gehören wird, in dem die drei großen monotheistischen Religionen ein gemeinsames Domizil finden sollen. Bei den Ausgrabungen traten einige Überraschungen zutage. Es wurden nicht nur die Reste der Alten Lateinschule aus dem 14. Jahrhundert wiederentdeckt, ein Fachwerkbau, der auf Mauern stand, sondern die Gebeine von 3000 Menschen.

Ihr Fund belegte erstmals, dass bereits vor 1237 etliche Generationen in Cölln gelebt haben müssen. Das Jahr galt bislang etwas willkürlich als Gründungsdatum Berlins, weil Symeon, der Pfarrer von Cölln, in einer Urkunde erstmals Erwähnung fand. Ein Teil dieser ersten Siedler soll nun im dritten „Archäologischen Fenster“ Berlins in einem Ossarium endgültig zur Ruhe gebettet werden.

Ruhig wird es hier allerdings nicht werden, denn oberhalb der drei Betonquader, in denen die Gebeine eingelagert werden sollen, und dem direkt daneben verlaufenden Gemäuer der Lateinschule, entsteht gerade das „Archäologische Haus“. Die Funde im Untergeschoss bleiben von außen einsehbar.

20 Millionen Euro soll das Archäologische Haus kosten

Es ist ein gemeinsamer Coup von Landesdenkmalpflege und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, denn hier soll auf 4000 Quadratmetern in einer Schauwerkstatt vorgeführt werden, wie Archäologen arbeiten – vom Eintreffen des entdeckten Objekts bis zu seiner Einordnung. Der schlichte Betonbau nach einem Entwurf des Münchner Büros Florian Nagler Architekten beherbergt im Erdgeschoss einen Ausstellungsbereich, auf zwei Etagen die Werkstätten und auf weiteren zwei Etagen die Magazine für das Museum.

Das Depot befand sich all die Jahre seit dem Auszug ins Neue Museum immer noch im Langhansbau von Schloss Charlottenburg. Das auf 20 Millionen Euro bezifferten Archäologische Haus soll 2022 fertig sein, sein Richtfest in diesem Frühjahr fiel coronabedingt ins Wasser.

Es könnte der Startpunkt für einen archäologischen Pfad durch Berlin werden, der bis zum Stadtschloss führt und irgendwann einmal weiter zum Rathaus. Der Stadt würde ein Teil ihrer mittelalterlichen Geschichte wiedergegeben, von der denn doch erstaunlich viel unter der Oberfläche schlummert. Es existiert sehr viel mehr als die versprengt stehen gebliebenen Kirchen St. Marien, St. Nicolai, die Heilig Geist Kapelle, die Ruine der Franziskanerklosterkirche und die Reste der Stadtmauer nahe der Parochialkirche.

Die Geschichte würde sich wie durch ein Fenster eröffnen. Berlin erhielte zugleich ein dezentrales Stadtmuseum, wie es in Zürich bereits existiert. Von dort hatte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher die Idee importiert, als sie 2007 an die Spree berufen wurde. Das Interesse besteht offensichtlich auch hier, wie die Neugierde auf den Keller des Stadtschlosses bestätigt. Bruchstücke beflügeln die Fantasie, eine Mauerecke kann viel erzählen.

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