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Ein weiser Tiger. Tom Jones, 2018.

© Andrew Parsons/Sunday Times

Alt, aber sexy: So begeisterte Tom Jones live in der Waldbühne

Die Haare sind silbergrau, die Hose sitzt leger. Doch der Tiger trifft auch mit 81 Jahren noch die richtigen Töne für eine verdammt stimmungsvolle Show.

An Tom Jones zu denken, hat etwas Beruhigendes. Nicht, dass der Tiger per se nicht mehr aufregend wäre, mit all dem Lächeln, all den Haaren ringsherum, mit diesem Charme, dem voluminösen Bariton, und dem walisischen Working Class-Trotz. Doch inzwischen zählt er 81 Jahre, die Zähne schimmern, wie es nur Dritte können, die Haare sind silbergrau, die Hosen nicht mehr unanständig eng, sondern leger. Und vermutlich ist das, was beim Konzert in der Berliner Waldbühne nahe seiner Ohrmuschel aufblitzt, In-Ear-Monitor und Hörgerät in einem.

Aber das ist egal. Denn er macht es damit hervorragend auf der aktuellen Tour, die wegen Corona in den Herbst verschoben wurde: „Surrounded by Time“ heißt das ungefähr (je nach Zählung) 40. Album des längst von der Queen geadelten, selbstbewusst braungebrannten Tigers, das nach Erscheinen im April dieses Jahres eine Weile die britischen Charts anführte. Und ihn damit zum ältesten Musiker machte, der einen solchen Erfolg je feiern konnte.

Sich mit „Zeit zu umgeben“ bedeutet beim Konzert auch, ohne viel Federlesens mit den alten Hits zu beginnen – Jones ist jemand, der sich freut, wenn man die Kamellen mit ihm gemeinsam wertschätzt, der seinen Fans seine neuen Songs nie aufdrängen würde, und der ohnehin weiß, dass auch das Publikum dieser Tage lieber versonnen schunkelt als aktiv hottet.

Darum startet Jones in Berlin mit einer intimen, abgespeckten Akkordeon-Version von „What’s new Pussycat?“ aus dem gleichnamigen Film, lässt „It’s not unusual“ im ähnlichen Spirit folgen, und spielt die großartige Cat Stevens-Nummer „Popstar“ vom neuen Album erst an dritter Stelle, da sind die Fans bereits warm und eingegroovt, und schaukeln dankbar und auf Lücke in ihren Holzreihen. Und die Frau aus Block K, die zwischen zwei Songs „You’re still sexy!!!!!“ schreit, würde garantiert ein Höschen werfen, wenn die Entfernung zur Bühne bloß nicht so groß wäre.

Es ist ja auch eine Herausforderung, diesen Zeit seines Lebens laut und deutlich formulierten Sexappeal anzupassen: „I’m 22, single, and a miner“ war angeblich Jones‘ Bühnenintroduktion Mitte der 60er Jahre, sein souveräner Claim als juvenil-viriler Kohlekumpel – dass er zwar Sohn eines Bergmanns, aber selbst nie in der Mine war (und übrigens bereits mit 17 geheiratet und einen Sohn bekommen hatte), spielte für die Legende erst einmal keine Rolle. Die Sache lief bereits in den 60ern bestens, die 70er mit Las Vegas-Shows, einem Bond-Titelsong, viel Fernsehen, vielen echten und nachgesagten Liebschaften folgten. Ende der 80er coverte er, begleitet von Art of Noise Princes „Kiss“, und rettete sich mit Sonnenbrille in die MTV-Generation hinüber. Ende der 90er Jahre, als Jones auf „Reload“ mit der Hilfe hervorragender Produzenten und Kollaborateur:innen sein erstes richtiges Comeback feierte, inszenierte er sich noch immer überzeugend als fähiger Schwerenöter.

Inzwischen muss er jedoch eine neue Rolle besetzen, die Klippe des „dirty old man“ umschiffen – nicht unangenehm schmutzig, sondern würdevoll, reif und gelassen möchte er rüberkommen. Und das tut er am Sonntag, mit Hilfe von musikalischen Entscheidungen und einer tadellosen Begleitband: „Sex Bomb“, den damals von Mousse T produzierten, generationsübergreifend wirksamen Partyhit, interpretiert er in der Waldbühne im medioker schnellen, und damit auch etwas steifhüftig mitwippbarem Ska-Rhythmus, für „Windmills Of Your Mind“ muss er sich stimmlich anstrengen, um bei den komplizierten Akkordwechseln die richtige Harmonie zu treffen, aber es klingt dennoch erhaben und voll, nach gelebtem Leben und einer Menge Seele.

Bravourös wechselt er hernach weiter zwischen Hits aus der langen Karriere und den ausgesprochen geschmackvoll ausgesuchten Songs der neuen Platte – für ihn, den stolzen Singer-ohne-Songwriter, war das Interpretieren eines Liedes nie weniger wert, als das Schreiben oder Komponieren. Er singt und swingt „Delilah“, Leonard Cohens „Tower Of Song“, und das großartig-jazzige „Lazarus Man“ von Terry Callier, einer der Höhepunkte auf „Surrounded By Time“.

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Überhaupt ist die Stimmung inzwischen so gut, wie sie in der (aus Coronagründen) löchrig besetzten Waldbühne nur sein kann. „All right???“ ruft Tom Jones darum immer wieder launig ins Publikum, lässt seine furiose, breitbrüstige Stimme dabei am Ende nach oben wegkieksen, und muss selbst darüber kichern: „Ich klinge schon wie Little Richard!“. Dass er mit „You Can Leave Your Hat on“, den er 1997 schon für den Soundtrack „The Full Monty“ gecovert hatte, DAS 80er-Jahre-Symbol für verkrampften Möchtegern-Sex zum Besten gibt, während auf einer Videoleinwand hinter ihm die Zeichentrickfigur eines adoleszenten Mädchens strippt, mag man ihm verzeihen – seine Version ist tatsächlich nicht ganz so schlimm, wie Joe Cockers schwerfälliges „Baby take of your dress“-Pressen. Zum Glück lässt Jones schnell das schmissige „If I only knew“ folgen, bei dem er zwar den Ton im Break nicht mehr ganz so lange halten kann, aber für den Sonntagabend langt es allemal; er gedenkt Prince mit seiner „Kiss“-Version; und ist, nach anderthalb Stunden, auch fast am Ende.

Es gibt jedoch noch eine Zugabe, und die ist wunderschön: „I’m Growing Old“, ein Song des New Yorker Jazzmusikers, Komponisten und Arrangeurs Bobby Cole. „I'm growing dimmer in the eyes / I'm growing fainter in my talk / I'm growing deeper in my sighs / I'm growing slower in my walk“ – Jones verleiht den poetischen Zeilen Selbsterkenntnis, Wehmut und Grandezza. Bobby Cole habe ihm den Song angeboten, als er 33 Jahre alt war, erklärt er danach seinem Publikum, aber damals habe er einfach noch nicht gepasst. Jetzt passt er. Obwohl er nicht stimmt: Der Tiger wird nicht alt. Er wird nur weise.

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