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Wo einst die Schiffe mit Stahl beladen wurden. Das Bilbao Guggenheim am Ufer des Nervión.

© Dominique Faget / AFP

25 Jahre Bilbao Guggenheim: Leinen los für einen Hund

Das Geheimnis des Bilbao-Effekts: Wie das Guggenheim Museum eine ganze Stadt rettete. Bilbao feiert Jubiläum mit Dubuffet und Klassikern der Moderne.

Als vor 25 Jahren das Bilbao Guggenheim am Ufer des Nervión eröffnete, glaubten vor allem Bilbaos Stadtverordnete und die Verantwortlichen des New Yorker Guggenheim Museums an den Erfolg dieses Experiments: die Implantierung einer supercoolen signature architecture von Stararchitekt Frank Gehry in einer Stadt, die zu dem Zeitpunkt als „verwesende Industrieleiche“ galt.

Die Bewohner der baskischen Hauptstadt waren vom positiven Ausgang keineswegs überzeugt. Der Niedergang der Schwerindustrie hatte die Stadt in Agonie gestürzt. Ausgerechnet dort, wo einst die Schiffe mit dem Stahl aus den Hochöfen Bilbaos beladen wurden, sollten Klassiker der Moderne Besucher anlocken?

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Die später als Bilbao-Effekt bezeichnete urbane Transformation setzte unverzüglich nach der Eröffnung ein: Das Publikum kam in Massen, um das spektakuläre Bauwerk zu bestaunen, und kehrte auch zu den folgenden Ausstellungen zurück, die jedes Mal mit großen Namen köderten. Die Stadt im Norden Spaniens wurde zur touristischen Top-Destination, Arbeitsplätze entstanden, Hotels schossen aus dem Boden, Bilbaos berühmte Gastronomie (die Pintxos genannten Tapas!) profitierte davon.

Heute gehört die baskische Hauptstadt zu den klassischen Destinationen der easy-jet-Generation, 60 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland. Nach der Corona-Delle kehren die Touristen nun zurück, umschlängeln die gewaltigen Stahlskulpturen Richard Serras, die einen ganzen Museumstrakt füllen, und gehen dann zu den Ausstellungen in den oberen Geschossen.

Avantgarde-Kunst und große Namen lautet das Guggenheim-Rezept

Zum Jubiläum setzt man auf das bewährte Rezept: die Strömungen der Avantgarde, dazu ein großer Name als Zugpferd und als Überraschungseffekt diesmal eine Autoschau. Die Leihgaben kommen vom Stammhaus in New York und anderen großen Museen, mit denen das Bilbao Guggenheim von Anfang an Partnerschaften einging, etwa der Royal Academy in London, der Frankfurter Schirn, dem LACMA in Los Angeles oder dem Metropolitan Museum in New York.

Die Präsentation des Pariser Musée d’Art Moderne als Start des Jubiläumsprogramms ist eine Premiere, die beiden Häuser kooperieren erstmalig miteinander. Für die Überblickausstellung „Vom Fauvismus zum Surrealismus“ aus den Pariser Beständen wurden vor allem Werke geholt, die einen spanischen Bezug haben.

Aus Paris kommt Kunst, die nach Spanien passt

Es mag zwar enttäuschen, dass von Picasso nur die Bronzebüste „Der Verrückte“ von 1905 entliehen wurde, dafür sind von Natalija Gontscharowa zwei ungewöhnliche Hochformate zu sehen mit Spanierinnen in traditioneller Kleidung. Sie entstanden zwischen 1920 und 1924, als die Künstlerin Kostüme für eine spanische Inszenierung der Ballets Russes entwarf. Zur Aufführung kam es nie. Die Bilder erinnern zumindest an das Vorhaben. Die Malerin María Blanchard wiederum stammt aus Santander unweit von Bilbao. Aber erst in Paris entwickelte sie ihren ganz eigenen kubistischen Stil.

Das Musée d’Art Moderne stellt von ihr eine ganze Serie zur Verfügung, darunter auch das eindrucksvolle Porträt einer „Spanierin“ (ca. 1910-13), das eine gestrenge Schönheit mit hageren Zügen zeigt, deren Wangen im gleichen Blutrot wie ihre Bluse leuchten. Von Blanchard hätte man gerne noch mehr gesehen, doch die Ausstellung jagt durch die Ismen: bei den Kubisten und Fauvisten ein bisschen Braque, Gris und Delaunay, als Vertreter der Ècole de Paris Beispiele von Matisse, Chagall, Soutine und für die Surrealisten etwas von Leonor Fini, Victor Brauner und Max Ernst.

Das Guggenheim bereitet Dubuffet eine glänzende Retrospektive

Mehr Vertiefung bietet dafür die große Jean-Dubuffet-Retrospektive, deren Leihgaben vom Guggenheim in New York und der Dependance in Venedig stammen: eine fulminante Ausstellung, die den Erfinder der Art brut von seinen späten Anfängen als 41-Jähriger bis zu den poppigen Skulpturen des Alterswerks in den 1970er und 1980er Jahren begleitet.

Der Sohn einer Weinhändler-Familie aus Le Havre, der sein Kunststudium in Paris abbrach und erst einmal ins Familienunternehmen zurückkehrte, war immer schon ein Einzelgänger gewesen. Ausgerechnet während der Besetzung von Paris durch die Deutschen entschied er sich, die Malerei wieder aufzunehmen, allerdings auf seine Art.

Dubuffet glaubte an die ursprüngliche Kraft der Kunst, an die Vitalität des Archaischen. In den All-over-Gemälden am Beginn seiner Karriere steckt der ganze Himmel, das gelbe Gesprenkel auf der dunklen Fläche sind die Sterne des Firmaments. In anderen Bildern ist darin die Erde mit ihren undurchdringlichen Strukturen, Gewürm und Wurzelwerk zu erkennen. Dubuffet packte auch konkret Sand und Steine auf seine Leinwand, malte mit Impasto, bis die dick aufgetragene Farbe sich krustig erhebt.

Dubuffet war immer schon Einzelgänger, die Kritik mied ihn zunächst

Die Kritik reagierte darauf prompt ablehnend, nannte seine Malerei hässlich, grotesk, degeneriert. Doch Dubuffet ließ sich nicht beirren, machte weiter sein Ding und arbeitete mit Assemblagen aus zerschnittenen Bildern, schuf Grafikserien aus der Oberflächenstruktur von Steinen, Mauerwerk, Orangenschalen, sogar dem Rücken eines Freundes.

Seine Kunst changierte zeitlebens zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Bis ins hohe Alter erfand der Maler sich immer wieder neu. Von Paris ging er in den 1950er Jahren nach Vence an die Cote d’Azur, um Ruhe vom Großstadtleben zu finden.

Dort wurde er zum Maler innerer Landschaften, obskurer Bodenschätze, kehrte wieder zurück nach Paris, um sich erneut von der Dynamik, dem Getriebe der Menschen inspirieren zu lassen. Plötzlich tauchen in seinen Bildern verzerrte, Clown-artige Figuren auf, verstörend wirkende, irre Typen. Seinen Leitsatz „Kunst sollte immer zum Lachen bringen und zugleich ängstigen, aber niemals langweilen“ hat er beherzigt.

Sein letzter Gruß in Bilbao: ein gescheckter Hund auf einem Segel

Als Finale zeigt die Ausstellung ein Breitwandgemälde seiner „Hourloupe“-Serie, das aus abstrakten, schwarz umrandeten Pattern in Blau, Rot, Weiß besteht. In ihnen verbergen sich Gesichter, Körperglieder. Die geknäuelten Muster scheinen zu leben, bis Dubuffet sie tatsächlich in Bewegung versetzt. Der Künstler entwickelt sie weiter zu Skulpturen und lässt mit ihnen Theaterstücke aufführen. Als er 1985 mit 83 Jahren in Paris verstirbt, hinterlässt er ein Riesenwerk, theoretische Schriften, eine bedeutende Art-brut-Sammlung mit Bildern psychisch Erkrankter.

[Bilbao Guggenheim, bis 22.5./21.8.]

Sein letzter Gruß in Bilbao ist ein bemaltes Segel mit bunt geschecktem Hund darauf: frech, unkonventionell und doch ein Klassiker. Für das Guggenheim wirkt er damit geradezu als role model.

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