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Chanukka, das achttägige jüdische Lichterfest, wird auch in muslimischen Staaten wie hier im Iran gefeiert. Es beginnt an diesem Sonntag.

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Vereinigung jüdischer Gemeinden: Wie Rabbiner in islamischen Staaten jüdisches Leben und Traditionen erhalten

In der islamischen Welt leben nur 100.000 Juden. Von Isolation wollen die Gemeinden aber nichts wissen – sie setzen auf Solidarität.

Wenn zu Beginn des jüdischen Chanukka-Festes am Sonntag die ersten Kerzen des achtarmigen Leuchters entzündet werden, dann wird das nicht nur in Jerusalem, New York und Berlin öffentlich zelebriert. Auch jüdische Gemeinden in Kasachstan, Aserbaidschan, der Türkei und anderen islamischen Ländern werden ihre Chanukkias auf öffentlichen Plätzen anstecken, um das achttägige Fest einzuläuten.

Zwar sind die Juden in der islamischen Welt heute nur noch ein Tropfen im Meer – kaum 100.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 1,5 Milliarden – und leben in winzigen Gemeinden über die Landkarte verstreut.

Doch gegen diese Isolation und Assimilation haben sich Rabbiner in muslimischen Staaten zusammengeschlossen, um jüdisches Leben und Tradition zu erhalten. Ihre „Vereinigung von Rabbinern in islamischen Staaten“ kann kommende Woche auf ihr zweijähriges Bestehen zurückblicken – und erste Erfolge feiern.

Juden in der islamischen Welt hätten andere Sorgen als jüdische Gemeinden in christlich geprägten Ländern, sagt Mendy Chitrik, Vorsitzender der Vereinigung und zugleich Rabbiner der aschkenasischen Gemeinde von Istanbul.

„Historisch gesehen lebten Juden in muslimischen Ländern viel besser als in christlichen Ländern“, sagt Chitrik im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Es gab in muslimischen Gesellschaften nicht annähernd so viele Pogrome oder Massaker an Juden wie in christlichen Ländern. Seit Anbeginn des Islam haben Juden relativ friedlich mit Muslimen zusammengelebt.“

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Religiöse Probleme gebe es nicht

Religiös gebe es bis heute keine Probleme zwischen Juden und Muslimen, sagt Chitrik. So kämen zum Beispiel in Istanbul viele gläubige Muslime eigens in die jüdische Schlachterei, um „reines“, also gemäß religiöser Vorschriften behandeltes Fleisch zu kaufen. „Sie vertrauen den Schlachtern eines gottesfürchtigen Rabbiners mehr als anderen Schlachtern hier in der Türkei.“

Den Konflikt um Palästina sieht Chitrik als rein politischen Streit, der die jüdischen Gemeinden in der islamischen Welt allerdings stark dezimiert habe. So zogen nach der Gründung Israels viele Juden dorthin. „Und ja, die politischen Differenzen, die mit der Gründung des Staates Israel entstanden, verursachten viele Probleme etwa im Irak und in Marokko. Die wiederum dazu führten, dass Juden von dort nach Israel zogen“, gibt Chitrik zu.

Nur in vier muslimischen Ländern gibt es bedeutende jüdische Minderheiten

Eine Million Juden lebten vor 100 Jahren noch in der islamischen Welt. Heute existiert nach der Ausreise des letzten Juden von Kabul vor einigen Wochen keine jüdische Gemeinde mehr in Afghanistan; in anderen Ländern hat die jüdische Gemeinde ein paar Hundert oder Tausend Mitglieder.

Nur in vier muslimischen Ländern der Welt gibt es heute noch bedeutende jüdische Minderheiten. Chitrik zählt sie auf: „Das sind der Iran und die Türkei mit jeweils 12.000 bis 15.000 Juden, und das sind Aserbaidschan und Kasachstan – deren Zahlen sind nicht genau bekannt. Nach Angaben der Gemeinden leben in Aserbaidschan etwa 20000 Juden und in Kasachstan zwischen 15.000 und 20.000.“

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Doch auch – oder gerade – kleine Gemeinden brauchen Solidarität und Unterstützung, um sich halten zu können, sagt Rabbi Chitrik. So fand seine Idee einer Vereinigung von Rabbinern in islamischen Staaten großen Anklang. Mit Rabbinern aus Abu Dhabi, Marokko, Aserbaidschan, Nigeria und der Türkei startete die Vereinigung im Dezember 2019. Wenig später brach die Covid-Pandemie aus. Dennoch gehören der Vereinigung heute schon rund 50 Rabbiner in 15 muslimischen Staaten an.

Bei ihrer Arbeit kommt es manchmal einfach nur auf praktische Hilfen an, erzählt Chitrik. „Wenn es etwa darum geht, rituelle Gegenstände für einen Feiertag zu schicken, kann ich die viel leichter aus Istanbul schicken als aus Brüssel. Ich kann mit einem Anruf den Oberrabbiner des Iran erreichen; ich kann religiöse Bedarfsartikel nach Libyen, in den Libanon oder nach Syrien schicken. Als rabbinische Vereinigung mit Sitz in einem muslimischen Land ist es viel einfacher, andere muslimische Länder zu erreichen.“

„Diese Gemeinden wollen wir stärken“

Auch in rabbinischen Angelegenheiten könnten sich die Gemeinden durch die Vereinigung gegenseitig helfen, sagt Chitrik. Als die jüdische Gemeinde in Abu Dhabi eine Zertifizierung für koschere Lebensmittel schaffen wollte, stellte die Vereinigung den Kontakt zu fachkundigen Rabbinern und Organisationen her, um ein notwendiges Zertifizierungsprogramm aufzubauen. Für die Gemeinde in Dubai beschafften die Rabbiner ein Mikwe, ein rituelles Tauchbad.

„Und wenn es religiöse Fragen gibt, sei es im Iran oder anderswo, setzen wir uns zusammen, diskutieren über jüdisches Recht und suchen Lösungen.“

Trotz ihrer verschwindend geringen Zahlen seien die Juden in der islamischen Welt keine aussterbende Minderheit, sagt Chitrik. Das Abraham-Abkommen vom vergangenen Jahr, in dem Israel und mehrere arabische Staaten ihre Beziehungen normalisierten, hat jüdischem Leben in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu neuem Schwung verholfen und Hoffnungen für die ganze Region geweckt.

„Wir sehen es so, dass noch immer 100.000 Juden in islamischen Ländern leben und da ein gutes jüdisches Leben führen – diese Gemeinden wollen wir stärken“, sagt Chitrik. Und: „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gesehen, was wir selbst in der Pandemie schaffen konnten. Das gibt uns Hoffnung auf alles, was wir in Zukunft noch erreichen können.“

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