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Ein Fächer macht auf einer Demo Wind für geschlechtliche Selbstbestimmung.

© Imago

Mein Gender gehört mir: Respekt statt Panik – nicht nur zum Berliner CSD ein gutes Motto

Ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung wäre ein Schritt nach vorn, doch es wird blockiert und panisch debattiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nadine Lange

Im Sommer wird die queere Community von allen Seiten umarmt. Parteien hängen Regenbogenfahnen auf, Firmen bringen Pride-Month-Editionen heraus, und die BVG färbt in diesem Jahr den Alexanderplatz und eine U-Bahn in den Farben der Bewegung ein.

Angesichts solidarischer Stadion-Leuchtzeichen und Politiker*innen mit Regenbogen-Masken könnte man zum Christopher Street Day auf die Idee kommen, in einem queeren Paradies zu leben. Was natürlich nicht ganz falsch ist, blickt man nach Polen, Ungarn oder die Türkei.

Andererseits hat hierzulande das Regierungsinteresse an der Emanzipation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und inter Personen (LGBTI) seit der Einführung der Ehe für alle vor vier Jahren stark nachgelassen. Von Seiten der Großkoalitionär*innen kommt seither fast gar nichts mehr, was sich am deutlichsten an der ewig angekündigten, aber nie durchgeführten Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes zeigt.

Es nötigt trans Menschen, die ihren Personenstand ändern und ihr Geschlecht angleichen möchten, seit über 40 Jahren zu langwierigen, teuren psychiatrischen Begutachtungen.

Wie man dem abhelfen könnte, haben FDP und Grüne kürzlich mit Gesetzentwürfen demonstriert. Das Transsexuellengesetz würde demnach von einem Selbstbestimmungsrecht ersetzt, durch das jede Person ab 14 Jahren selbst über ihren Geschlechtseintrag entscheiden könnte.

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Im Bundestag wurde das abgelehnt, die Debatte um die geschlechtliche Selbstbestimmung hält jedoch an – und ist von teils grotesker Panik geprägt.
So wird etwa spekuliert, dass Menschen – wäre ein solches Gesetz einmal eingeführt – wie wild begännen, ihre Geschlechtseinträge zu ändern. In Ländern wie Dänemark, Norwegen, Malta und Irland oder Argentinien, die solche Regelungen eingeführt haben, ist nichts Derartiges beobachtet worden. Warum das ausgerechnet in Deutschland anders sein soll, erklären die Aufgebrachten nicht.

Ebenfalls gern verwendet wird das Argument, dass Männer anfangen könnten, sich per neuem Geschlechtseintrag Posten mit Frauenquote zu ergaunern. Was mindestens so absurd ist wie der uralte Vorwurf, trans Frauen seien gar keine Frauen und wollten nur in Toilettenräume eindringen, um dort Frauen zu belästigen.

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Abwehr schlägt auch immer wieder dem Wunsch von trans Personen entgegen, dass deren abgelegte Namen nicht mehr genannt werden mögen. Dazu heißt es dann plötzlich, das komme Sprechverboten Orwellschen Ausmaßes gleich, eine Minderheit gängele die Mehrheit mit ihren Tabus. Was für eine irrwitzige Übertreibung! Es geht lediglich darum, wie Menschen angesprochen werden möchten.

Doch bei Kritiker*innen der geschlechtlichen Selbstbestimmung steht selten das Wohl jener Menschen im Fokus, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren oder das binäre Gendersystem ablehnen.

Wichtiger ist stets, dass die eigenen Vorstellungen und Sprechgewohnheiten nicht in Frage gestellt werden. Diese werden obsessiv verteidigt, als sei ausgerechnet die Geschlechtszugehörigkeit anderer Menschen etwas, woran man sich in einer unübersichtlicher werdenden Welt festhalten kann.

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Gender taugt dafür nicht. Es ist eines von vielen Merkmalen einer Person. Warum von außen darüber bestimmt werden soll, ist unverständlich – zumal in einer so individualistischen, hochtechnisierten, globalisierten Gesellschaft wie der unseren, in der wir von den Ländern bis zu den Körpern, in denen wir leben, ständig etwas verändern oder optimieren.

Ein trans Coming Out ist keine leichte Sache, niemand macht das mal eben so aus einer Laune heraus. Aber einer trans Person, die endlich den richtigen Namen in ihren Papieren lesen kann, geht es im Alltag besser. Damit nimmt sie niemandem etwas weg oder zwingt Menschen etwas auf. Sie mit diesem Namen anzusprechen, tut nicht weh. Es geht sogar ganz einfach. Respekt statt Panik – nicht nur zum Berliner CSD ein gutes Motto.

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