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Auf dem Dach der Markthalle in Brüssel kann geerntet werden.

© imago images/Hans Lucas

Tomaten, Paprika, Fisch: Lebensmittel frisch vom Dach – so könnten sich Stadtbewohner künftig versorgen

Über einer Markthalle in Brüssel wird in großem Stil Gemüse und Fisch gezüchtet. Für Großstädter könnte so die Versorgung der Zukunft aussehen.

Im „Bauch von Brüssel“ ist schon vor Sonnenaufgang mächtig was los. Die ersten Lieferwagen rollen über den Vorplatz am Marché des Abattoirs. Sie bringen Gemüsekisten, duftendes Brot, frische Fische und exotische Gewürze zu den unzähligen Verkaufsständen. Aus dem angrenzenden Schlachthof werden Lammhälften herangeschleppt, er ist der Namensgeber des Marktes. Wenig unterscheidet das lebhafte Treiben von vielen Märkten in anderen Großstädten. Nichts deutet darauf hin, dass hier an der Zukunft gearbeitet wird: der Versorgung der Stadtbewohner mit Lebensmitteln, direkt aus ihrer unmittelbaren Umgebung.

Denn das wirklich Außergewöhnliche ist für den Besucher unsichtbar und befindet sich auf dem Dach eines der großen, neueren Gebäude. Auf dem „Foodmet“, eine eher wenig ansehnliche Konstruktion aus Spannbeton, wird eine Farm mit Gewächshäusern und Fischaufzuchtanlagen betrieben. Nach Angaben der Macher ist sie eine der größten ihrer Art in Europa.

Sattgrüne Oase im Häusermeer

Über eine schmale Treppe gelangen die Besucher an einen Ort, der auf den ersten Blick wie eine sattgrüne Oase im Häusermeer wirkt. Große Gewächshäuser schützen die empfindlichen Pflanzen vor dem zu rauen Klima Nordeuropas. Hinter den Glasscheiben wechseln sich Basilikumfelder ab mit einem Dschungel aus Tomatenpflanzen und Paprikastauden. Die Arbeit hier oben hat allerdings wenig mit Bauernhofromantik zu tun. Wenn Loïc Couttelle die Funktionsweise der gesamten Anlage erklärt, hört es sich an wie ein Vortrag über physikalische Zusammenhänge, Ingenieurskunst, viel Biologie, Ernährungswissenschaften und betriebswirtschaftliche Abhängigkeiten.

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Vor knapp fünf Jahren begann die Realisierung des BIGH-Projektes (Building Integrated Greenhouses). Von Beginn an seien die Arbeitsabläufe immer weiterentwickelt worden, sagt Loïc Couttelle, der in der Nähe von Lille einen großen Bio- Bauernhof betreibt und sein Geld in vielversprechende Agrarprojekte investiert. Er ist überzeugt, dass es in Zukunft in den Großstädten vieler solcher Dachfarmen geben wird. Ziel in Brüssel sei es, für jeden Produktionsbereich die besten Bedingungen zu erproben. „Wir wollen hier verschiedene Module entwickeln, die dann an anderen Orten ganz einfach aufgebaut werden können“, sagt er. Schnell wird deutlich, dass das Herz der Macher zwar für den schonenden Umgang mit der Umwelt schlägt, im Kopf allerdings auch genau kalkulierende Geschäftsleute am Werk sind.

Die Energieversorgung der Anlage auf dem Dach ist sehr komplex

Besonders angetan hat es dem Franzosen die Fischzucht, über die er stundenlang dozieren könnte. Wichtig sei es gewesen, die richtigen Fischarten zu finden, beschreibt Loïc Couttelle die ersten Hürden. So sei etwa der Markt mit preiswertem Lachs bereits abgedeckt, weshalb man nach mehreren Versuchen mit anderen Fischen inzwischen bei Forellen gelandet sei. Mehr als 20 Tonnen würden pro Jahr an Restaurants und Händler in Brüssel geliefert, die von der hohen Qualität des Fleisches begeistert seien.

Das Wasser in den riesigen Aufzuchttanks werde ständig umgewälzt, gereinigt und sei Teil eines großen Kreislaufes, erklärt Loïc Couttelle. So seien etwa die Ausscheidungen der Fische der ideale Dünger für die Pflanzen in den Gewächshäusern. Auf den mehr als 2000 Quadratmetern werden vor allem Kräuter, Tomaten, Auberginen, Paprika und einige andere Gemüsesorten angebaut. Zum Bedauern von Couttelle erhalten all diese Produkte allerdings kein Bio-Siegel.

Investor Loïc Couttelle ist stolz auf das Vorzeigeprojekt.
Investor Loïc Couttelle ist stolz auf das Vorzeigeprojekt.

© privat

„Wir ziehen die Pflanzen auf Substrat und nicht in natürlicher Erde“, erklärt er, betont aber im nächsten Atemzug, dass darin dieselben Nährstoffe enthalten seien wie draußen im Boden. Und natürlich würden keine Chemikalien oder Pestizide zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt. „Wir setzen zu 100 Prozent auf die Natur“, sagt der Franzose. Ähnlich komplex wie die Aufzucht von Fischen und Pflanzen ist die Energieversorgung der gesamten Anlage hoch über dem Marché des Abattoirs.

Alles ist darauf angelegt, so wenig Strom wie möglich zu verbrauchen und natürliche Quellen anzuzapfen. Selbstverständlich ist auf einem Teil des Daches eine große Photovoltaik-Anlage montiert. „Einen wesentlichen Teil des Stroms gewinnen wir auch aus der Abwärme der Gewächshäuser“, erklärt Loïc Couttelle, womit etwa die Wassertanks der Fische immer auf exakt 17 Grad gehalten werden. Aber auch die Abwärme der zahlreichen Kühlschränke in den Restaurants im Erdgeschoss des Foodmet-Gebäudes werde über spezielle Wärmepumpen in Energie für die Farm umgewandelt. „Nichts wird hier verschwendet“, sagt der Unternehmer.

Der Unternehmer Couttelle hat bereit die nächste Idee

Deutlich wird, dass Loïc Couttelle mit einer Mission unterwegs ist und durchaus die Welt verbessern will. „Wir arbeiten hier an der Stadt von morgen, die nachhaltiger und ressourcenschonender sein wird“, sagt er mit großer Überzeugung. Allerdings ist der Mann kein Träumer, sondern orientiert sich immer am für ihn Machbaren.

Das nächste Projekt hat er bereits im Hinterkopf. „Es wäre möglich, der Außenluft CO2 zu entziehen und in die Gewächshäuser zu leiten“, beschreibt er die verlockende Idee. Damit würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sagt Loïc Couttelle. Das klimaschädliche Gas würde reduziert und die Pflanzen besser wachsen. Es wäre der nächste Schritt in Richtung einer lebenswerteren Umwelt.

Knut Krohn

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