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Traditionsbewusst: Für die Samen war es bis weit ins 20. Jahrhundert schwer, ihre Bräuche zu pflegen.

© Arto Liiti/dpa

Klimawandel in Lappland: Den Samen wird´s zu warm

Mit Diskriminierung musste sich das einzige indigene Volk Europas immer schon auseinandersetzen. Doch auch Klimawandel und Tourismus bleiben nicht folgenlos.

Weit im Norden Finnlands, kurz vor der norwegischen Grenze liegt Utsjoki, die nördlichste Gemeinde des Landes. Benannt wurde sie nach dem gleichnamigen Fluss, der durch die Gemeinde fließt und in den Tenojoki- Fluss (samisch: „Großer Fluss“) mündet. Der „Große Fluss“ ist nicht nur Grenze zwischen Norwegen und Finnland, sondern schafft auch die Lebensgrundlage für die dortigen Einwohner. Denn der üppige Lachsbestand gilt weltweit als einzigartig, erklärt Pentti Pieski, der in Utsjoki aufgewachsen ist. Seit er denken kann, gingen er und sein Vater gemeinsam fischen und versorgten damit ihre Familie. Den Fisch, den sie nicht selber aßen, verkauften sie und verdienten so ihren Lebensunterhalt.

Lachse werden inzwischen im Supermarkt gekauft

Genau wie seine Eltern und die meisten Menschen der Gemeinde ist Pieski ein Same, ein Angehöriger des einzigen indigenen Volkes in Europas. Sie leben über vier Länder verteilt: Finnland, Norwegen, Schweden und Russland. Das Recht zu fischen hat Pieski von seinem Vater geerbt. Dadurch, dass es in Utsjoki kaum Wälder gibt, könne er zwar nicht jagen, aber dafür haben er und sein Vater eben den Reichtum des Flusses genutzt – eine jahrhundertelange Tradition der Samen. Doch davon zu leben, sei heute gar nicht mehr so leicht, erzählt Pieski mit Bedauern. Nicht nur die finnische Regierung mache den Samen den Alltag schwer, sondern auch europäische Regulierungen, der auch in dieser Region wachsende Massentourismus und der Klimawandel trügen dazu bei.

Fischer wie Pentti Pieski leiden darunter, dass sich die Gewässer verändern, denn der globale Klimawandel und die Überfischung wirken sich auf viele Fischarten aus. Zum Beispiel auf den Lachs. Pieski erzählt, dass er normalerweise im Sommer und Herbst genug Fische gefangen habe, um seine Familie das ganze Jahr davon ernähren zu können. Das sei jetzt anders: Im Winter musste er Fisch im Supermarkt kaufen, doch dieser gezüchtete Lachs sei teurer und außerdem nicht nachhaltig aufgezogen, kritisiert Pieski.

Mit Diskriminierung mussten sich die Samen immer schon auseinandersetzen

Das sei auch einer der Gründe, weshalb er mit seiner Familie inzwischen nach Helsinki gezogen ist – mehr als tausend Kilometer in den Süden. Seine Arbeit als Fischer musste er aufgeben, stattdessen arbeitet er jetzt als Umweltaktivist und Abgeordneter des Samen-Parlaments, das bereits 1973 gegründet wurde. Der Kampf der Samen um politische Anerkennung und rechtliche Legitimation hat eine lange Tradition. Bis ins 20. Jahrhundert wurden die Samen als „Lappen“ diffamiert und durften weder ihre Bräuche pflegen noch ihre eigene Sprache sprechen. Erst seit einigen Jahren wird die Fremdbezeichnung „Lappen“ auch im öffentlichen Raum allmählich durch die Selbstbezeichnung „Samí“ ersetzt.

Doch mit Diskriminierung müssen sich die Samen immer noch auseinandersetzen. Als zahlenmäßige Minderheit sind sie einem hohen Assimilationsdruck ausgesetzt. Die meisten Samen, rund 40 000 bis 50 000 Menschen, leben in Norwegen. In Schweden sind es etwa 15 000 bis 25 000, in Finnland 7000 und in Russland nur 2000. Die Zahlen sind nicht präzise, denn es gibt keine festgeschriebene Definition, wer ein „Same“ ist. Auch leben nicht alle Samen in Lappland und nicht einmal alle sprechen die gemeinsame Sprache, was eine genaue Identifikation der Volksgruppe kaum möglich macht. Heute ist die samische Sprache zwar nicht mehr verboten, doch in den meisten Ländern wird sie immer noch nicht offiziell anerkannt. Aus Angst davor, dass ihre Kinder im Kindergarten oder der Schule diskriminiert werden, sprechen viele Eltern mit ihren Kindern zu Hause nicht Samisch, sondern die offizielle Amtssprache. Auf staatlicher Ebene fehlt es an finanzieller Unterstützung für Sprachbildung, sodass nicht nur die Kinder kein Samisch sprechen, sondern auch viele Erwachsene die Sprache verlernen.

Zwar gibt es staatliche Institutionen für die Samen, doch diese beschränken sich auf den Raum Lapplands. Dabei leben mittlerweile mehr als 65 Prozent des Volkes außerhalb traditioneller Samen-Gebiete, berichtet Pieski. Das sei problematisch, da die Rechte für Samen ausschließlich in den traditionellen Gebieten gelten und nicht im Süden. In Helsinki solle zwar bald die erste bilinguale Schule eröffnet werden, doch in anderen Großstädten wie Tampere oder Oulu gibt es derartige Einrichtungen nicht.

Die nördlichen Regionen, in denen die Samen leben, haben eine entscheidende Bedeutung für die Identität des Volkes. Auch für die, die längst weggezogen sind. Die Natur spielt eine wichtige Rolle bei religiösen Praktiken. Sie stellt darüber hinaus noch immer ihre wichtigste Ernährungsgrundlage dar. Schon lange vor der Gründung europäischer Staaten bewirtschafteten die Samen das Land auf der skandinavischen Halbinsel und ernährten sich von Rentieren, Wildvögeln und Fischen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Immer noch lebt ein Großteil des Volkes in den traditionellen Siedlungsgebieten von Rentierzucht und Fischerei.

Husky-Touren gelten vielen Touristen als Höhepunkt ihres Urlaubs im Norden Finnlands. Doch die Hunde vertreiben die Rentiere.
Husky-Touren gelten vielen Touristen als Höhepunkt ihres Urlaubs im Norden Finnlands. Doch die Hunde vertreiben die Rentiere.

© Inga Hofmann

Massentourismus und Klimawandel beeinflussen die samische Lebensweise

Diese Nahrungsgrundlagen sind jedoch bedroht, denn der einsetzende Massentourismus bleibt nicht ohne Folgen. Eine Zeit lang konnten die Samen davon profitieren, indem sie als Fremdenführer arbeiteten oder den Urlaubern das Fischen beibrachten. Das Blatt hat sich in den letzten Jahren jedoch gewendet. Große Unternehmen nehmen keinerlei Rücksicht auf lokale Kulturen und die Einwohner, sondern sie verdrängen die Samen vom Arbeitsmarkt. Seit einigen Jahren reisen jeden Winter Tausende Menschen in den Norden, um dort Polarlichter zu beobachten und Ski zu fahren.

Husky-Schlittenfahrten im finnischen Lappland gelten für viele Touristen als Highlight des Urlaubs. Pieski kritisiert, dabei werde rücksichtslos darüber hinweggesehen, dass die Huskys die wild lebenden Rentiere verängstigen und ganze Herden vertreiben. Dadurch haben viele Samen Schwierigkeiten, genug Tiere zu schießen und ihre Familien zu ernähren.

Neben dem Massentourismus bleiben auch die Auswirkungen des Klimawandels hoch im Norden nicht folgenlos. Der Lachsbestand sei massiv zurückgegangen. Es sei auch schwieriger geworden, das Wetter vorherzusagen und damit die Bedingungen für die Jagd einzuschätzen, meint Pieski. Die Wintermonate seien deutlich wärmer und kürzer als noch vor zehn Jahren. Wie problematisch das ist, zeigt sich am Beispiel des Moor-Schneehuhns, das eine wichtige Nahrungsgrundlage der Samen ist. Der Vogel ist auf niedrige Temperaturen angewiesen. Normalerweise ernährt er sich von Trieben und Knospen der Birken, doch diese werden jetzt durch Motten zerstört, die aufgrund der warmen Temperaturen besser überleben können.

Darüber hinaus gibt es immer weniger Tage, an denen es im Winter schneit. Aufgrund der warmen Tage regnet es häufiger. Nachts jedoch fallen die Temperaturen wieder unter den Nullpunkt, sodass das Wasser gefriert. Das hat fatale Folgen für Rentiere, die bei der Suche nach Nahrung auf weichen Schnee angewiesen sind. Sie haben keine Chance, an die Gräser und Kräuter unter der Eisschicht zu gelangen. Vor allem können die Tiere mit ihren Hufen leicht auf der Eisdecke ausrutschen und sich verletzen. Auch für die Samen selbst sei es nicht ungefährlich, unter solch eisglatten Wetterbedingungen im Wald jagen zu gehen, erklärt Pentti Pieski.

Brüssel könnte von Utsjoki lernen

Auf die Probleme wollen er und andere Aktivisten aufmerksam machen. Dabei hilft ihnen der Tenojoki-Fluss auf seine Weise. Den Lachsbedarf der Samen decke das Gewässer zwar nicht mehr, aber dafür erleichtere er es den Samen, sich grenzüberschreitend zu organisieren, stellt Pieski fest: „Der Fluss verbindet Menschen und trennt sie nicht, so wie Grenzen es normalerweise tun.“ Im Sommer könne man ihn bequem mit einem Boot überqueren und im Winter mit Skiern auf die andere Seite hinüberfahren.

Bei den Treffen diskutieren die Samen gemeinsam Natur- und Umweltschutz – Themen, die auch für die Europäische Union relevant sind. Brüssel könnte solche internationalen Begegnungen deshalb organisatorisch und finanziell unterstützen und samische Experten bei Umweltfragen zu Rate ziehen, finden die Samen. Sie sind der Ansicht, ihr Volk praktiziere schon seit Jahrhunderten das, was auch die EU anstrebt: transnationale Zusammenarbeit und ökologische Nachhaltigkeit. Da könnte Brüssel von Utsjoki lernen.

Inga Hofmann

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