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Brachte den Zuschauern und Zuhörern Weltpolitik nahe: ARD-Reporter und -Korrespondent Gerd Ruge.

© dpa/Horst Ossinger

Zum Tod von Gerd Ruge: Der Ruhelose

Moskau und Washington, „Monitor“ und „Weltspiegel“, öffentlich-rechtlicher Weltenbummler. Zum Tod von Korrespondentenlegende Gerd Ruge.

Was für ein Journalisten- und Korrespondentenleben: 1956, drei Jahre nach dem Tod von Stalin, ging Gerd Ruge als erster ständiger Korrespondent aus der Bundesrepublik für die ARD nach Moskau. 1964 wechselte er von der Sowjetunion Richtung Vereinigte Staaten, wurde ARD-Korrespondent für die USA am Regierungssitz in Washington. Am Freitag ist Gerd Ruge im Alter von 93 Jahren in München gestorben.

Seine ruhige, ja beruhigende, wenn auch leicht nasale Stimme – später wird er sagen, dass er vielleicht etwas weniger hätte nuscheln sollen – mit der er die weltpolitischen Geschehnisse von den Schaltzentralen der Macht in der Zeit des Kalten Krieges und danach den Zuschauern und Zuhörern erläuterte, vermittelte den Eindruck: hier werden Informationen vorgetragen, die zuvor in aller nötigen Ruhe geprüft und gewogen wurden.

Mit dem aufgeregten, kurzatmigen Nachrichtenstakkato von heute hatte Ruges Arbeit nichts gemeinsam. Am Journalismus heutiger Tage kritisierte er, die Auslandsberichterstattung im deutschen Fernsehen habe viel Farbe und Emotionen, aber wenig kühle Analyse. Dabei hat er schon vor mehreren Jahrzehnten darüber geklagt, dass der tagesaktuelle Druck kaum noch Zeit für Analyse und Reflexion lasse.

Profunde Analysen, präzise Interviews

Es stimmt jedenfalls, was Tom Buhrow, der ARD-Vorsitzende und Intendant des WDR, über ihn sagt: „Gerd Ruge gehört zu den großen Reporterpersönlichkeiten der ersten Stunde. Profunde Analysen, präzise Interviews und die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge leicht verständlich zu erklären, das zeichnete ihn aus.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Gerd Ruge als eine „große Journalistenlegende“ gewürdigt. „Wir trauern um ein journalistisches Urgestein“, schrieb Steinmeier am Sonntag an Ruges Tochter Elisabeth, eine bekannte Lektorin und Verlegerin, gerichtet.

Was man heute leicht vergisst: Ruge war zu einer Zeit Auslandskorrespondent, als es weder private Fernsehsender noch reine Nachrichtenstationen wie CNN gab. Als vielleicht noch besser informiert als ARD und ZDF galt seinerzeit höchstens der World Service der BBC.  

Als ARD-Korrespondent für Washington und die USA wurde er auch Zeuge der Ermordung von Robert Kennedy. Das Bild vorm Weißen Haus entstand 1965.
Als ARD-Korrespondent für Washington und die USA wurde er auch Zeuge der Ermordung von Robert Kennedy. Das Bild vorm Weißen Haus entstand 1965.

© dpa/WDR

Gerd Ruge war Hamburger, dort wurde er am 9. August 1928 geboren. Seine berufliche Laufbahn begann 1949 als Redakteur beim damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk in Köln. 1956 dann Moskau, 1964 Washington, bevor der ARD-Chefkorrespondent Anfang der 1970er die Leitung des Bonner WDR-Studios übernahm. Die Gründung des ARD-Auslandsmagazins „Weltspiegel Anfang der 1960er Jahre“, den er auch moderierte, ging auf eine Initiative von Ruge und Klaus Bölling zurück.

In dieser Zeit gründete Ruge zusammen mit Felix Rexhausen und Carola Stern in Köln auch die deutsche Sektion von Amnesty International. Gerd Ruge erhielt viele bedeutende Auszeichnungen, war Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, für seine Arbeit wurde er unter anderem mit drei Grimme-Preisen und den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet.  

So ruhig er seine Berichte vortrug, so unruhig blieb Ruge mit Blick auf seine beruflichen Stationen. 1977 zog es ihn zurück nach Moskau, bis 1981 arbeitete er dort als ARD-Hörfunkkorrespondent. Anschließend moderierte er das WDR-Magazin „Monitor“, wurde Mitte der 80er Jahre Fernsehchefredakteur des WDR.

ARD-Korrespondent in Moskau war Gerd Ruge gleich mehrfach. Auch für seine Reiseberichte reiste er später mehrfach nach Russland. Dieses Bild stammt von 2003.
ARD-Korrespondent in Moskau war Gerd Ruge gleich mehrfach. Auch für seine Reiseberichte reiste er später mehrfach nach Russland. Dieses Bild stammt von 2003.

© dpa/WDR

Nach sechs Jahren Leitung des Moskauer ARD-Studios ging Gerd Ruge am 1. September 1993 in den Un-Ruhestand. Er blieb als freier Journalist aktiv, seine Reisereportagen unter dem Titel „Gerd Ruge unterwegs“ von Sibirien bis Colorado blieben fester Bestandteil des ARD-Programms – vor allem, weil er immer den Kontakt zu den Menschen suchte, und auch fand. „Ich bin gelegentlich auch in Deutschland gewesen. Aber die Ferne hat eben ihre Reize“, sagte er zu seinem 85. Geburtstag in einem Interview mit dem Tagesspiegel.

Seinem Sohn gab er den Vornamen seines Freundes Boris Pasternak

Gerd Ruge hatte auch eine sehr emotionale Seite: Während seiner ersten Station in der damaligen Sowjetunion lernte er den Schriftsteller Boris Pasternak („Doktor Schiwago“)kennen, eine Begegnung mit dem „anderen Russland“, wie Ruge danach sagte. Aus der Begegnung entstand eine Freundschaft, Ruge gab sogar seinem Sohn den Vornamen des Autors.

Auch zu Politikern hielt Ruge mitunter engen Kontakt. Mit Michail Gorbatschow hat er sich sogar geduzt. Auch zu Robert Kennedyhatte er privat Kontakt. Umso bestürzter war er am 16. Juni 1968 nach den tödlichen Schüssen auf den Präsidentschaftskandidaten: „Sie werden mir verzeihen, dass ich das nicht so geschliffen erzählen kann, das ist alles noch wie ein Alptraum“, sagte er in die Kamera, um Fassung ringend.

"Für viele nachfolgende Journalist:innengenerationen war er Vorbild und Orientierung", ruft Tom Buhrow der Korrespondentenlegende hinterher. Es wäre schön, wenn er recht behielte.

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