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Uneins. Darko Tudor (Stipe Erceg) will einen Wolf abschießen, Sohn Darijo (Talin Bartholomäus) will es verhindern.

© ZDF und Gordon Muehle

ZDF-Krimi "Der Schneegänger": Ein Junge verschwindet

„Der Schneegänger“ ist ein Wolfs-Krimi im ZDF und mehr als das: ein Lehrstück über Enttäuschungen, Schmerz und Egoismus

Homo homini lupus, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Also geht „Der Schneegänger“ in die Beweisaufnahme für das destruktive Verhältnis zwischen Menschen. Zwei Jahre nach seinem Verschwinden des damals elfjährigen Darijo Tudor (Talin Bartholomäus) wird seine Leiche in einem Waldstück nahe Berlin gefunden. Der Sohn kroatischer Eltern hat in der Villa des reichen Unternehmers Günter Reinartz (Bernhard Schir) gelebt, wo seine Mutter Lida (Edita Malovcic) Haushälterin war. Inzwischen ist sie mit dem Hausherrn verheiratet.

Schnell gerät Darijos Vater Darko (Stipe Erceg) in Verdacht. Er, der als Wildhüter die Wolfsbestände rund um Berlin kontrolliert, hasst seine Ex-Frau und ihren neuen Mann. Für Wachtmeisterin Sanela Beara (Nadja Bobyleva) ist Darko vielleicht noch mehr: der Mörder ihrer Mutter während des Bürgerkrieges im zerfallenden Jugoslawien.

Der Krimi nach dem gleichnamigen Roman von Elisabeth Herrmann, die mit Regisseur Josef Rusnak auch das Drehbuch geschrieben hat, bekommt eine zweite Ebene: Lebensumstände in der Exilgemeinde der Kroaten, die vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind. Sie sind durchweg an Leib und Seele gezeichnet.

Vordergründig hatten die Mutter und der Sohn ihr Glück im Haus der reichen Reinartz gemacht; bei der Obduktion zeigen sich Rippenbrüche, Brandnarben. Darijo war schwer misshandelt worden. Der Hausherr und noch mehr seine beiden Söhne, das sind frostige Seelen. Blanker Egoismus trifft auf tiefen Verlustschmerz, auch davon lebt dieser ZDF-Film, dessen Kriminalfall freilich mehr routiniert erzählt und inszeniert wird. Es gibt Blindspuren, falsche Fährten und Verdächtige zuhauf. Die Reinartz-Figuren wirken wie Pappmaché, auch die Kommissar-Figur ist blass, Lutz Gehring (Max Riemelt) hat vor allem die Aufgabe, wie der Zuschauer selbst das Rätsel Sanela zu entschlüsseln. Nein, es sind die kroatischen Immigranten, die die Produktion promovieren.

Regisseur Rusnak und sein Kamermann Cristian Pirjol sorgen für eine sehr sorgfältige Übersetzung der Vorlage, wenn Blicke oder Kamerabewegungen in die Rückblende überleiten, wenn Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfließen. Menschen werden sehr genau beobachtet, mehrfach gelingen überzeugende Einsichten, sobald Inszenierung und Kamera das Innere der Personen quasi nach außen stülpen. Da gibt es Momente, da möchte dem Zuschauer fast das Herz brechen.

Homo homini lupus, non homo, quom qualis sit non evit. Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist. Lutz Gehring und Sanela Beara wissen am Ende der Ermittlung, was der andere/die andere ist – und was er/was sie in seiner/ihrer Art wert ist. Weil aus der Vergangenheit Erfahrung und aus der Erfahrung Zukunft werden kann. Joachim Huber

„Der Schneegänger“, ZDF, Montag, um 20 Uhr 15

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