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Viermal Rote Karte: In der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ wurde abgestimmt, ob die Umbenennung eines rassistischen Produktnamens notwendig war. Thomas Gottschalk (v. r. n. l.), Janine Kunze, Micky Beisenherz und Jürgen Milski verneinten das.

© Tsp/WDR

TV-Debatte über Alltagsrassismus: „Das kannst du so einfach nicht machen“

Ein Talk über Alltagsrassismus bringt den WDR in Bedrängnis. Nicht das erste Mal, dass sich ein Drittes Programm bei einer Debatte verhebt.

Wieder mal ein heikles (Talk-)Thema, wieder mal der WDR. Es geht um die Frage „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ und andere Formen von Alltagsrassismus, gestellt in der Talksendung „Die letzte Instanz“, die am vergangen Freitag wiederholt ausgestrahlt und danach heftigst diskutiert wurde.

Haben die prominenten Gästenamen dazu geführt, dass der WDR vergessen hat, auch Betroffene einzuladen?

Glaubte man in Köln, dass gewitzte und polyglotte Medienprofis wie Janine Kunze, Thomas Gottschalk und Micky Beisenherz stets die richtigen Worte in einer solchen Debatte finden werden?

Oder hoffte man beim ARD-Regionalsender, aller Social-Media-Erfahrung zum Trotz, schlicht, im Dritten Programm versendet sich ein solches Format, ohne dass es großen Schaden anrichten kann?

Speziell beim WDR hätte man gewarnt sein sollen nach dem Shitstorm, den der Sender mit dem „Umweltsau“-Video vor einem Jahr ausgelöst hat. Der Kinderchor des Senders hatte für ein satirisches Video ein Lied aufgenommen. Auf die Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ sang er unter anderem die Zeile „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“.

Die Formulierung „Umweltsau“ brachte dem Sender heftige Kritik ein. Auch wenn man dem Kinderchor nicht ernsthaft den Vorwurf von Altersdiskriminierung machen konnte, hatte der von Tom Buhrow geführte Sender die Wucht solcher Debatten unterschätzt.

In der Talkrunde „Die letzte Instanz“ nun bei Moderator Steffen Hallaschka stand mit den Gästen Micky Beisenherz, Thomas Gottschalk, Janine Kunze und Jürgen Milski die Frage zur Abstimmung, ob der obige Begriff (verkürzt: das Z-Wort) nicht mehr verwendet werden sollte. Alle vier Gäste widersprachen dieser Haltung.

Bereits während der Ausstrahlung der Wiederholungssendung am Freitagabend empörten sich via Twitter viele Zuschauer und bezeichneten den Umgang der Gäste mit dem Thema Alltagsrassismus als empathielos, unkritisch und naiv.

Besonders kritisiert wurde Janine Kunze für den Satz „Haltet mich für naiv, nein, sie (die Ausdrücke) gehören dazu“. Scharfe Kritik gab es auch an Thomas Gottschalk. Der Entertainer hatte erzählt, dass er bei einer Kostümparty in Los Angeles mit Jimi-Hendrix-Verkleidung das erste Mal erfahren habe, „wie sich ein Schwarzer fühlt“.

"Wenn da vier Kartoffeln sitzen und über Rassismus mit Karten abstimmen"

Janine Kunze entschuldigte sich später: „Mir ist klar geworden, dass ich Menschen, insbesondere die der Sinti und Roma Community, mit meinen unbedachten Äußerungen zutiefst verletzt, als auch diskriminiert habe“, schrieb Schauspielerin Kunze am Sonntag bei Instagram. Sie werde künftig ihre Wortwahl überdenken, schrieb sie.

Auch der WDR räumte kleinlaut ein: Die Sendung sei nicht so gelaufen, „wie wir es geplant und uns vorgestellt hatten“. Rückblickend sei klar: Bei so einem sensiblen Thema hätten unbedingt „auch Menschen mitdiskutieren sollen, die andere Perspektiven mitbringen und/oder direkt betroffen sind“. „Daraus haben wir in jedem Fall gelernt“, sagte eine WDR-Sprecherin der dpa.

Micky Beisenherz reagierte am Montag in seinem Podcast „Apokalypse und Filterkaffee“: „Wenn ich Leute enttäuscht habe, dann tut mir das aufrichtig leid, denn das möchte ich nicht“. Er hätte in der Sendung bei vielen problematischen Aussagen vehementer reagieren müssen.

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Kritik übte Beisenherz am Format: „Wenn da vier Kartoffeln sitzen und über Rassismus mit Karten abstimmen, dann ist im Kern ja schon mal etwas falsch, das kannst du so einfach nicht machen.“ Als Gesellschaft sei man deutlich weiter, „als im Jahr 2021 noch ernsthaft über dieses verdammte Schnitzel zu diskutieren und zu sagen, ich möchte unbedingt das Z-Wort benutzen, wenn ich bestelle“.

Was man im Fernsehen nicht so einfach machen kann beziehungsweise wie schnell eine Debatte aus einem Dritten Programm in die bundesweite Diskussion gelangt und dort einen kaum zu reparierenden Imageschaden hinterlässt, das hätten den Kölnern die Kollegen von MDR und RBB sagen können. Auch dort entstand nach einem Diskussionsformat der Eindruck, hier habe sich ein ARD-Regionalprogramm verhoben.

Dampfplauderrunde hatte nichts mit Satire zu tun

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat seine Gesprächsreihe „Politik am See“ mit brandenburgischen Spitzenpolitikern eingestellt, alldieweil dort ein recht unkritisch geführtes Interview mit Brandenburgs seinerzeitigem AfD-Chef Andreas Kalbitz im Juli 2020 in der Kritik stand. Das Gespräch mit Kalbitz hätte besser vorbereitet werden müssen, gab RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein hinterher zu.

Ähnliche Kritik kurz darauf beim Sommerinterview des MDR mit Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. „Ob Sommer oder Winter, der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf, soll und muss diejenigen interviewen, die für die Politik im Land verantwortlich sind“, verteidigte sich der Dreiländersender. „Das ist ein Teil unseres Auftrags. Unter anderem dafür bekommen wir Ihre Rundfunkbeiträge.“ Richtig sei, dass Gespräche mal besser und mal schlechter gelingen.

Womit es wieder zum WDR geht. Offenbar eine Art Wiederholungstäter, was das Motto „gut gemeint und schlecht gelungen“ sowie Gäste- und damit Themenwahl betrifft. Wobei man dem WDR in der „Hühnerstall“-Sache (Intendant Buhrow hatte sich damals rasch entschuldigt) auch vorwerfen kann, nicht allzu stark für die Satire- und Meinungsfreiheit eingetreten zu sein.

Bei aller Einsicht hinterher – mit Satire hatten die Beiträge von Thomas Gottschalk und Janine Kunze in der Dampfplauderrunde „Die letzte Instanz“ nichts zu tun. Die klangen ernst gemeint. Man vermag in alldem eine Linie zu erkennen: Der WDR entschuldigt sich immerhin schneller als sein Schatten.

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