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Da geht’s zur Bibliothek. Die Verdächtigen Inga Muthesius (Karoline Eichhorn), Paul Muthesius (Lars Eidinger) und Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur, r.).

© HR/Bettina Müller

„Tatort“ mit Ulrich Tukur: Von Stalin zu Eidinger

Jetzt wird’s philosophisch: Der neue Murot-„Tatort“ bemüht Ernst Bloch. Und hat eine heimliche Heldin.

Da ist er wieder: Lars Eidinger, dieser Spezialist für menschliche Ungetüme aller Art. Man denke nur an den „stillen Gast“ in den drei „Tatort“-Folgen mit dem Kieler Kommissar Borowski. Auch den „Tatort – Murot und das Prinzip Hoffnung“ macht der Schauspieler nun zu seiner Bühne.

Eidinger spielt groß auf als Sohn eines getöteten Philosophieprofessors, als Selbstdarsteller und Pseudointellektueller. Seine Präsenz ist allerdings auch ein bisschen erdrückend, denn diesmal ist er kein einsamer, „stiller“ Einzelgänger, sondern der ziemlich geschwätzige Teil eines Geschwistertrios.

Aber ein Vergnügen ist es doch, wie Eidinger diesen Paul Muthesius, der alles mit seinem kalten Sarkasmus überzieht, in eine abstoßende und zugleich faszinierende Figur verwandelt. Dazu hätte es nicht einmal der Szene bedurft, in der so offensichtlich dem Bühnenstar gehuldigt wird („Tatort – Murot und das Prinzip Hoffnung“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15).

Der Monolog „Anleitung zum Pulsader-Aufschneiden“ ist ein funkelndes Stückchen Theater im Film, von Regisseur Rainer Kaufmann klasse in Szene gesetzt in einer schummrigen Kellerbar mit Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur), seiner Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp), einer teilnahmslosen Kellnerin und einem Karten legenden Zausel als Publikum.

Die Hoffnung wird übrigens schon im ersten Bild begraben. „Hope“ steht auf einem Grabstein, an dem Murot und Wächter ganz am Ende ein wenig ins Philosophieren kommen werden. Das „Prinzip Hoffnung“ war eins der Hauptwerke von Ernst Bloch.

Der marxistische Philosoph schrieb es zwischen 1938 und 1947 im US-amerikanischen Exil. Während einer Zeit verheerender Zerstörung dachte er über die philosophischen Grundlagen für die Utopie von einer besseren Welt nach – und wie sie zu erreichen sei, mit dem „Prinzip Hoffnung“ als Motor.

„Keine Menschen – keine Probleme“

Autor Martin Rauhaus hat bei seinem „Tatort“-Debüt herausragende Dialoge geschrieben. Ja, es gibt auch Anspielungen auf Bloch, Wittgenstein und die Frankfurter Schule, aber alles in allem bietet Rauhaus wenig Anlass zur intellektuellen Selbstbefriedigung, sondern eher ein tolldreistes Sammelsurium aus Zitaten von Stalin („Keine Menschen – keine Probleme“) bis Juliane Werding („Denken will gelernt sein“). Dank des ausgezeichneten Ensembles und der kreativen Inszenierung von Kaufmann bleibt die Sache unterhaltsam.

Nach einer verwirrenden Einführung, in der Murot vor der Kamera einer Fernsehreporterin ausflippt, springt der Film eine Woche zurück: Da gab es zwei Tote, einen Gemüsehändler mit türkischen Wurzeln und einen chinesischen IT-Fachmann.

Und weil Murot per Paket den Hinweis auf einen dritten Anschlag auf Obdachlose erhält, werden sie von der Polizei von der Straße geholt. Die naheliegende Vermutung, dass hier Rechtsextreme wie einst der NSU ihr Unwesen treiben, wird durch die dritte Tat erschüttert. Das Opfer ist Jochen Muthesius (Heinrich Giskes), ein ehemaliger Philosophieprofessor, der nach dem Suizid seiner Frau obdachlos geworden war.

Murot vermutet, dass die ersten beiden Morde nur zur Ablenkung geschahen und Muthesius von Anfang an das eigentliche Ziel war. Außerdem wird’s persönlich: Murot, der, wie man hier erstmals erfährt, vier Semester Philosophie studierte, war Muthesius’ „Musterstudent“ und häufig bei der Familie zu Gast. Karoline Eichhorn hat die undankbarste Rolle und muss als Muthesius-Tochter Inga, eine Familientherapeutin, permanent um Murot herumschwänzeln.

Die Dritte im Bunde der hinterbliebenen Geschwister ist die religiöse Laura (Friederike Ott), die wegen ihrer Gläubigkeit vom Bruder gerne verspottet wird.

Starke Auftritte haben außerdem Angela Winkler als verbitterte Witwe Franziska von Mierendorff in der Villa nebenan sowie Christian Friedel als rechtsextremer Sohn. Gruselig die kaltschnäuzige Art, mit der Friedel diesen bieder-blassen Jürgen spielt. Wenn es einem zu viel wird mit der Zitate-Schlacht, taugt Wächter bestens als Identifikationsfigur. „Ich bin hier nur der ,Bild‘-Zeitungsleser“, ruft sie aus, genervt vom Gehabe der Franziska von Mierendorff, die sie von oben herab behandelt.

Die Wächter ist heimliche Heldin des Films. Während die anderen reden, ist sie es, die zur Tat schreitet, die Welt wieder in Ordnung bringt. Diese Folge des Hessischen Rundfunks bietet so viel Teamarbeit zwischen Murot und Wächter wie selten zuvor.

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