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Zeugin Rosa (Henriette Nagel, rechts) und das Gangsterpaar Sophie (Anica Happich) und Moritz (Jan Bülow).

© SWR/Bettina Müller

„Tatort“-Folge „Blind Date“: Pulp Fiction in Mainz

Ob Täter, Zeugin oder Beziehung – es ist alles ungewöhnlich im dritten „Tatort“ mit Heike Makatsch als Kommissarin Berlinger. Die

Bei einem Raubüberfall auf eine Tankstelle wird der Tankwart erschossen. Man hört die Stimmen des Täter-Duos, eines Mannes und einer Frau, hört Schüsse, sieht aber nur Lichtflecken in schemenhafter Dunkelheit. Denn das Publikum „sieht“ die Tat mit den Augen Rosas, der Ohrenzeugin, mit nur einem Prozent Sehkraft.

„Ich bin nicht blind“, erklärt die Jurastudentin. Rosa verblüfft Kommissarin Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und ihren Kollegen Martin Rascher (Sebastian Blomberg) mit Angaben insbesondere zur Identität der Täterin. Sie erinnert sich an ihren Geruch, sogar an die Art der Schuhe, mit denen sie nach Rosa trat. „Schuhgröße 41“, fügt sie scherzhaft hinzu.

Originelle Figuren, die eine überraschende Entwicklung nehmen, kann nicht jeder Krimi vorweisen. Die „Tatort“-Folge „Blind Date“ (ARD, Sonntag, um 20.15 Uhr) hat mit der sympathischen, eigenwilligen Rosa, überzeugend gespielt von der in ihrer Sehkraft nicht eingeschränkten Henriette Nagel, eine Ausnahme zu bieten. Einerseits weil die Zuschreibung „behindert“ in den Eingangsszenen relativiert wird.

Andererseits weil Rosa nicht auf ihre besonderen Eigenschaften reduziert bleibt, sondern ein kompletter, spannender Charakter wird: Rosa ist eine junge Frau, die sich aus der Umklammerung ihres allzu fürsorglichen Vaters befreien will. Sie ist eine Frau mit sexuellen Begierden, sie ist verführbar und angreifbar, aber alles andere als ängstlich und hilflos.

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Rosa lehnt den von der Polizei angebotenen Personenschutz ab, was allerdings nur dazu führt, dass ihr nun auch Kommissar Rascher auf Schritt und Tritt folgt. In einer Parfümerie identifiziert Rosa den Geruch, den die Täterin aufgetragen hatte: Vanilla Oud – ein Parfüm, das stolze 250 Euro kostet. „Wieso überfällt man eine Tankstelle, wenn man sich ein so teures Parfüm leisten kann?“

Ungewöhnliche Beziehungsgeschichte

„Blind Date“ verzichtet weitgehend auf die klassische Krimi-Tätersuche und erzählt lieber eine ungewöhnliche Beziehungsgeschichte zwischen dem Gangster-Paar und der blinden Ohrenzeugin. Denn nun macht sich die Täterin an Rosa heran. BWL-Studentin Sophie (Anica Happich) hat Rosa, die ihr wohl in der Uni schon über den Weg gelaufen ist, in der Tankstelle wiedererkannt und kommt ihr nun auf dem Campus absichtlich nah – ein Spiel mit der Gefahr, das Sophie liebt. Sie lebt mit Moritz (Jan Bülow), beide Kinder aus wohlhabendem Haus, in einer schicken Penthouse-Wohnung zusammen.

Beide überfallen aus Langeweile Tankstellen, sind also kurz gesagt „ein Debakel für die Menschheit“ (Rascher), aber wer ist das größere? Wer raubt nicht nur Tankstellen aus, sondern erschießt auch noch einen Menschen? Insofern bleibt bis zum Schluss doch noch ein Krimi-Rätsel offen.

Das diabolischere Lächeln hat jedenfalls Sophie, die Femme fatale mit der Mia-Wallace-Frisur aus „Pulp Fiction“, während man dem etwas weniger clever wirkenden Moritz jede Naivität („Wenn das hier vorbei ist, könnten wir normal werden“), aber auch jede Brutalität zutrauen würde. Neben „Pulp Fiction“ zitiert Drehbuchautor Wolfgang Stauch den „Bonnie und Clyde“-Mythos – nur ohne Flucht. Denn die Polizei kommt dank Rosas Angaben dem Täterpaar schnell auf die Spur.

Ein sehenswertes Schauspielerpaar

Rosa will allerdings nicht bestätigen, dass sie Sophie als Täterin erkannt hat. Sie fühlt sich angezogen von der aufreizenden Art Sophies. In der Inszenierung von Regisseurin Ute Wieland entwickelt sich eine erotisch aufgeladene Beziehung der Frauen. Die jungen, bühnenerfahrenen Schauspielerinnen Henriette Nagel und Anica Happich sind zwei erfrischende, noch wenig prominente Gesichter im Fernsehen. Beide geben ihr „Tatort“-Debüt.

„Blind Date“ ist der dritte „Tatort“ mit Heike Makatsch als Kommissarin Berlinger. Im zweiten Film, schon vor mehr als drei Jahren ausgestrahlt, wechselte sie von Freiburg nach Mainz und steht dort nun zum zweiten Mal mit Sebastian Blomberg vor der Kamera. Ein sehenswertes Schauspielerpaar, dem man mehr „Tatort“-Einsätze wünschen würde.

Misslich ist allerdings, dass wegen des großen zeitlichen Abstandes die persönliche Geschichte der Kommissarin umso befremdlicher wirkt. In „Blind Date“ taucht der Engländer David (Alan Burgon) auf. Greta kannte ihren Vater bis dahin nicht. Dass die Kleine so überhaupt nicht fremdelt und die Mutter so umstandslos loslässt, ist eine schwer nachvollziehbare Volte.

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