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Trauen ihren Augen nicht. Melissa (Cecily Strong) und Josh (Keegan-Michael Key) im Nostalgiedorf Schmigadoon.

© Apple TV+

Musikkomödie in Serie: „Schmigadoon!“ bei Apple TV: Liebeskrach im La-La-Land

Kunterbunte Nostalgie: Die Musical-Persiflage „Schmigadoon!“ versetzt ein New Yorker Paar von heute in die Hollywood-Herrlichkeit von gestern.

Wenn das nicht Schicksal ist. Gerade hat Gynäkologin Melissa Gimble noch zwischen den Schenkeln einer Niederkommenden gehockt. Gerade hat Chirurg Josh Skinner noch gelangweilt eine invasive Knieoperation durchgeführt. Nun begegnen sich die beiden spätabends im Krankenhausflur am Süßigkeitenautomaten. Und als Josh Melissa erzählt, mit welchem Tritt er verkeilte Schokoriegel löst, ergießt sich der ganze Automateninhalt vor ihre Füße.

Klar, dass keineswegs rosig bleibt, was so märchenhaft beginnt. Beziehungsdramen New Yorker Enddreißiger füllen Leinwände und Fernsehkanäle. Zumal der pragmatische Josh (Keegan-Michael Key) die romantischen Sehnsüchte der Musicalliebhaberin Melissa (Cecily Strong) nicht so ganz erfüllt.

Wieso tönt plötzlich Musik?

Prompt landen die beiden in einem Camp für Paartherapie und verirren sich auf einer verregneten Wanderung laut streitend im Wald. Über eine verdächtig aussehende Brücke, die direkt in einen Nebel führt, landen sie in einem sonnendurchfluteten Nostalgiedorf namens Schmigadoon.

„Wieso kommt von überall her Musik?“, fragt Josh entgeistert und benennt die unlogische Prämisse aller Filmmusicals. Und Melissa hält die ganze Chose für eine Art Disneyland. Mit singenden und tanzenden Dörflern, die in Pastelltönen gehaltene Kleider und Anzüge im Stil des 19. Jahrhunderts tragen. Allüberall leuchten Stoffblüten an Sträuchern und Beeten. Und die kulissenhaften Gartenzäune und Holzhäuser strahlen in perfektem Weiß.

Sogar der Rummelplatz am Rande des Dorfs mit dem „Tunnel der Liebe“ wirkt wie aus dem Schaustellermuseum. Und als dann noch ein Kobold auftaucht, der Melissa und Josh, die vergeblich nach einem Weg zurück in die Realität suchen, aufklärt, dass den nur „wahre Liebe“ weisen kann, müssen sie erkennen: Hilfe, Magie hat uns in ein Musical gebeamt! Und zwar in eins, das genau wie die artifiziellen Studio-Idyllen von Hollywood-Musikfilmen der vierziger und fünfziger Jahre aussieht.

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[Apple TV, sechs Folgen, Folge fünf am Freitag]

Ein paar Eierlikörchen wird das Autorenduo Cinco Paul und Ken Daurio intus gehabt haben, als es auf die Idee zu „Schmigadoon!“ gekommen ist. Die Regie der puppenlustigen Serie, die Persiflage und Hommage zugleich ist, hat Barry Sonnenfeld übernommen. Dessen größter Flop, die Western-Parodie „Wild Wild West“, haftet genauso im Kinogedächtnis wie sein größter Erfolg: „Men in Black“.

Der Serientitel verulkt „Brigadoon“, den von Vincente Minnelli mit Gene Kelly und Cyd Charisse in den Hauptrollen verfilmten Broadway-Klassiker aus der Lerner-Loewe-Musicalschmiede. Der verlegt eine 1860 von Friedrich Gerstäcker geschriebene Geschichte über ein Dorf, das nur alle hundert Jahre auftaucht, von Deutschland in die schottischen Highlands und erzählt von der Raum und Zeit verändernden Kraft unsterblicher Liebe.

Farbenfroher Look im Technicolor-Stil

Lerner und Loewe schrieben und komponierten ebenso wie das Komponisten-Librettisten-Duo Rodgers und Hammerstein diverse romantische Musikkomödien der Goldenen Hollywood-Ära. Motive und Figuren aus den Rodgers-Hammerstein-Hits „Oklahoma!“, „Carousel“ und „The Sound of Music“ über die Trapp-Familie finden sich in „Schmigadoon!“ wieder, das mit seinem farbenfrohen Look an den Technicolor-Kitsch andockt. Diesmal allerdings in „colourblind“ Besetzung, wie Kennerin Melissa gleich anmerkt, als sie die ethnisch erstaunlich diversen Dörfler erblickt.

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Dass es Autoren und Regie nicht darum geht, in einer bösen Satire, Bigotterie und Sexismus der blitzsauberen, erzkonservativen und eskapistischen Musiklustspiele der Kriegs- und Nachkriegs-Unterhaltungsindustrie anzuprangern, ist sofort klar. Dafür ist die Kunstwelt zu herzig gestaltet.

Und die mal schmelzende, mal schmetternde Klangfarbe der Musikzitate zu begeistert übernommen. Auch der Blick aufs Dorfpersonal bleibt liebevoll. Sieht man vom schießwütigen Farmer ab, der Josh mit vorgehaltener Flinte zur Verlobung mit Tochter Betsy drängt, nur weil der ihren Picknickkorb auf einer Wohltätigkeitsauktion ersteigert.

Kritische Seitenhiebe auf das Genre

Trotzdem fallen die kritischen Seitenhiebe auf das vor Stereotypen strotzende Genre deutlich aus. Etwa, wenn der Erlös der Auktion für die örtliche Leihbücherei bestimmt ist, weil die biestige Frau des Pfarrers und ihr puritanischer Sittenverein „Mütter gegen die Zukunft“ missliebige Weltliteratur verbrannt haben.

Dass Melissa Bürgermeister Menlove (oh je) dazu ermutigt, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen, ist im klassischen Musical ebenso wenig vorgesehen wie die ungeschminkte sexuelle Aufklärung, die die Geburtsärztin einem naiven Paar vor einer Almhütte angedeihen lässt (prust).

Drinnen in der Fantasiewelt und zugleich draußen

Überhaupt hat das Schmigadoon-Patriarchat noch nie eine Frau als Ärztin praktizieren sehen, weswegen sich Melissa erst als Krankenschwester beim Macho-Dok tarnt, um ihn dann im zweiten Schritt zu einem sensiblen Mann umzukrempeln. Ein Lernprozess, gegen den sich der lakonische Josh aus der Realität im von ihm verabscheuten La-La-Land ebenfalls hartnäckig wehrt.
 

Die Spannung, Teil einer Fantasiewelt zu sein und gleichzeitig distanziert auf sie zu blicken, das ist der Witz von „Schmigadoon!“. Trotzdem ist die Serie nichts für Musical-Hasser. Auch immer neue zahnlose, satirisch verbrämte Selbstbeweihräucherungen Hollywoods gibt es zuhauf. Für Fans der amerikanischsten Form des Musiktheaters jedoch ist „Schmigadoon!“ ein unwiderstehlicher Fröhlichmacher.

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