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Dr. Dayan erwartet Sie. Der Psychothearpeut Frédéric Pierrot) empfängt die fünf Patientinnen und Patienten zum Therapiegespräch in seiner Wohnung. Foto: Carole Bethuel/Arte/dpa

© Carole Bethuel/Arte

Psychotherapie im TV: Deutschland auf der Corona-Couch

In Frankreich ist die Serie ein Riesenerfolg: „In Therapie“. Wo bleibt die deutsche Version?

Ist das vorstellbar, dass wir uns in Therapie begeben? Am Abend, vor dem Fernseher, als Zuschauerin und Zuschauer? Um uns professionelle Hilfe zu holen in Zeiten der nichtendenwollenden Pandemie, des fortgesetzten Lockdowns. Der Covid-19-Virus hat die Deutschen im Griff, mal stärker, mal schwächer, als Infizierter, Genesener, Geimpfter, als Leugner. Die Nerven sind angespannt, die Gemüter angegriffen.

18 Millionen Klicks

Das Fernsehen könnte da helfen, vielleicht mit der deutschen Adaption der Serie „In Therapie“. Bei Arte ist sie in Frankreich gerade eine Sensation, ein sensationeller Erfolg. Dpa-Korrespondentin Sabine Glaubitz berichtet, im Nachbarland seien die Videos nach dem Mediatheken-Start Ende Januar bereits 18 Millionen Mal angeklickt worden. Selbst bei Mehrfachklicks ist diese Zahl im Verhältnis zu rund 67 Millionen Französinnen und Franzosen gewaltig. Dabei sind Therapie-Sendungen gerade in Frankreich nichts Neues mehr und die Psychotherapie weithin anerkannt. Laut einer im Januar 2020 veröffentlichten Umfrage der Zeitschrift „Psychologies“ hat sich in Frankreich bereits jeder dritte Bürger einer Therapie unterzogen.

[„In Therapie", Arte, Donnerstag, 21 Uhr 45]

Die Tageszeitung „Le Parisien“ erklärt den Erfolg der 35 Teile im Arte-Programm als kollektive Therapie. Denn sie rekurrieren auf ein Drama, das Frankreich bis ins Mark erschüttert hat: den Angriff auf die Pariser Konzerthalle Bataclan am 13. November 2015 mit mindestens 89 Toten. Und die nachfolgenden Attacken und Anschläge der Islamisten haben die schreckliche Erinnerung immer wieder hochschießen lassen.

Ariane, eine der Patientinnen „In Therapie“, hat Tränen in den Augen und wirkt doch völlig abgeklärt, als sie über ihre Klinikstation nach den Anschlägen vom November 2015 spricht. „Es war vollkommene Totenstille. Und es waren Verletzte und Bahren und Blut überall“, erzählt die Chirurgin ihrem Psychotherapeuten Dr. Philippe Dayan. „Es war so bizarr. Irgendwie wie ein Ballett.“

Der Psychotherapeut empfängt in seiner Pariser Praxis fünf Klientinnen und Klienten. Jede Sitzung entspricht einer bis zu 30-minütigen Folge. Mehr als sieben Wochen wohnt man der wöchentlichen Analyse bei. Die erste beginnt drei Tage nach den islamistischen Anschlägen am 16. November mit Ariane, die nach dem Massaker im Bataclan pausenlos Verletzte operieren musste. Ihr folgt Adel. Er ist Polizist einer Spezialeinheit, die an jenem Freitagabend im Einsatz war. Er erzählt, wie er durch Blut und über Leichen waten musste. Bilder, die ihn seitdem nicht mehr loslassen.

Überall herrscht Krieg

Neben den beiden kommen noch eine 16-jährige Leistungsschwimmern mit suizidalen Absichten und schließlich das Paar Damien und Léonora in Philippes Praxis, die tief in einer Beziehungskrise stecken. Auch wenn keiner der Protagonisten bei den mörderischen Anschlägen unmittelbar verletzt wurde, haben die Attentate sie alle getroffen. Auch Philippe, dessen Wohnung nur wenig von dem Tatort entfernt liegt. Überall herrsche Krieg, erklärt er die Situation. Alle Beziehungen in der Gesellschaft seien angespannt.

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„In Therapie“ ist die französische Adaptation einer der meist exportierten israelischen Serien. Unter dem Titel „BeTipul“ lief sie dort zwischen 2005 und 2008. Seitdem wurde sie in sieben Ländern exportiert und dem entsprechenden Kontext angepasst. Die französische Adaptation ist die erste Serie des Erfolgsduos Éric Toledano und Olivier Nakache, das mit „Ziemlich beste Freunde“ international bekannt wurde. Mit Fingerspitzengefühl, Leichtigkeit wie Genauigkeit haben die Regisseure die Serie auf den französischen Kulturraum übertragen. Mit den Einzelschicksalen formulieren sie das Bild einer zerbrechlichen Nation. Die Serie ist fern von jedem Voyeurismus, wenn sie Gewalt, Rassismus, Diskriminierung, sexuellen Missbrauch und religiösen Fanatismus thematisiert.

Corona erstickt uns

Für Pascale Breugnot, die in den 80er Jahren mit „Psy Show“ eine der ersten Therapie-Sendungen lanciert hat, liegt der Erfolg auch in der jetzigen Krise begründet. Corona ersticke uns, erklärte sie der Zeitung „Le Parisien“. Diese Serie, dieser Dialog sei ein bisschen so, als würde man nach einem Ausweg suchen, den man allein nicht finden könne.

Obacht, Autorinnen, Autoren, Sender im Corona-geplagten Deutschland. Wie wäre es, Ihr würdet das Krimi-Allerlei wenigstens für diese Serie unterbrechen: „In Therapie“? Anschauungsunterricht gibt es wieder am kommenden Donnerstag. Da laufen die Folgen 16 bis 20 der Serie. 1 bis 15, alles verpasst? Per Arte-Mediathek kann man sehr rasch aufholen.

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