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Olaf Scholz kann auch mit den Händen reden und Gefühle zeigen.

© dpa

Olaf Scholz bei „Anne Will“: Er muss nicht der „Scholzomat“ bleiben

Olaf Scholz wollte sein bisheriges Image bei „Anne Will“ überwinden. Er versuchte also die Menschwerdung in der Kanzlerwerdung.

Die Bundeskanzlerin und die Bundeskanzler waren und sind seltene Gäste in den Talkshows des deutschen Fernsehens. Ihre Aufritte korrelieren stets mit der Wählergunst und wenn diese ins Minus abzugleiten droht oder sich längst dort befindet, wird es Zeit für einen Besuch in einer Talkshow. Alleiniger Gast, volle Aufmerksamkeit, eine Stunde Zeit, sich und die eigene Politik ins gewollt beste Licht zu rücken.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sah also den Zeitpunkt gekommen für einen Soloauftritt bei "Anne Will". Es hat sich gelohnt; 4,58 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben eingeschaltet, eine starke Quote. Moderatorin Anne Will hat die 60 Minuten weniger als Kreuzverhör denn als Befragung angelegt, mehr als Tour d'horizon denn als Tiefenbohrung einiger weniger Themen.

Und Olaf Scholz hat diese Stunde Fernsehen für sich genutzt. Wieder und wieder als "Scholzomat" charakterisiert, hat der SPD-Kanzler bei allem Fokus auf den Politiker den Menschen hinter dem Politiker gezeigt. Welcher Scholz-Auftritt ist erinnerlich, in dem der Hanseat Mimik zeigte und vor allem Gestik? Im ARD-Talk lässt seine Arme "mitreden", der Mann kann mit seinem Oberkörper seine Antworten akzentuieren, prononcieren, promovieren. Das Image vom "politischen Igel" ("Spiegel") wurde am Sonntagabend einer Revision unterzogen. Menschwerdung? Kanzlerwerdung? Von all dem hatte die Stunde etwas.

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Mischung aus Gefühl und harter Aussage

Scholz mischte Gefühle mit harter Aussage: Wie er beim letzten Besuch in Moskau in die Gesichter der jungen Soldaten blickte und an ihren möglichen Tod dachte. Und den russischen Präsidenten Wladimir Putin zugleich warnte. "Wage es nicht!", war seine Botschaft, sollte der Kreml-Herrscher den Angriff auf einen Nato-Staat riskieren. Wie das Bündnis auf einen Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen durch die russische Armee reagieren werde, ließ Scholz offen, jedoch wollte er keinen Zweifel daran lassen, dass das Bündnis regieren werde: "We respond."

Zugleich argumentierte Scholz im Kontext seiner Politik in einer Mischung aus Fehlereingeständnis und dem festen Willen, diese zu revidieren. Stichwort: Energiepolitik, Deutschlands Abhängigkeit von den Rohstoffen aus Russland.

Es werde „ziemlich schnell gehen“, diese Abhängigkeit zu beseitigen. Bei Kohle noch in diesem Jahr, auch beim Öl sind schnelle Fortschritte möglich, weniger rasche beim Gas. Einen sofortigen Importboykott lehnte Scholz erneut ab. Er warnte: „Es geht um unglaublich viele Arbeitsplätze.“ Sollte umgekehrt Russland seine Exporte beenden, wäre Deutschland vorbereitet. „Aber wenn von einem Tag auf den anderen diese Importe ausblieben, würde das dazu führen, dass ganze Industriezweige ihre Tätigkeit einstellen müssten.“

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Moderatorin Will verabsäumte es nicht, die Frage aller Fragen zu stellen: Finanziert Deutschland Putins Krieg? Der Kanzler verneinte dies: „Russland kann mit dem Geld, das es auf seinen Konten lagert, gegenwärtig gar nichts anfangen wegen unserer Sanktionen“, sagte er. Scholz kündigte außerdem eine deutliche Aufrüstung der Nato-Staaten und Deutschlands an, um sich gegen mögliche Angriffe Russlands zu schützen. „Wir machen uns so stark, dass niemand es wagen kann, uns anzugreifen."

Zur Finanzierung der drastisch erhöhten Wehrausgaben wie auch der Entlastung der Haushalte wegen der stark gestiegenen Energiepreise betonte der Politiker, seine Regierung werde an der Schuldenbremse festhalten: "Die steht im Grundgesetz." Wie das tatsächlich bei der veritablen Neuverschuldung gelingen soll, das sagte Scholz nicht, das fragte Anne Will nicht nach. Das Abarbeiten des Fragenkatalogs ließ das nicht zu. Schade.

Olaf Scholz gewann, je länger die Sendung dauerte, desto mehr an Selbstgewissheit, ja einer gewissen Lässigkeit. Bei den letzten Antworten hatte er die Beine übereinandergeschlagen. „Klar ist: Das ist für die Krise“, sagte er mit Blick auf die aktuell hohe Schuldenaufnahme. „Aber es gibt auch einmal eine Zeit ohne Krise.“

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