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„Maischberger. Die Woche“ wird um „Maischberger. Der Podcast“ erweitert. Erster Gast ist Karl Lauterbach, zu hören in der ARD-Audiothek, auf allen Podcast-Plattformen sowie am Sonntag um 14 Uhr in WDR 5.

© WDR

Öffentlich-rechtliche Programme als Content-Boxen: Alles wird besser – wird alles gut?

Zeitdruck versus Qualitätsdruck: Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist linear wie nonlinear. Ein Vorschlag zur Sortierung.

Verpassen gilt nicht mehr. ARD und ZDF zeigen mit zwei Doku-Reihen die bedrängende Situation auf deutschen Intensivstationen. Die vier Folgen von „Charité intensiv: Station 43“ stehen in der ARD-Mediathek zur Verfügung. Das ZDF berichtet unter dem Titel „Herz und Viren“ von der Corona- und Pflege-Front, die acht Teile finden sich in der ZDF-Mediathek.

Das lineare Publikum wird auch bedient: Eine Episode „Charité intensiv“ läuft wöchentlich im RBB-Fernsehen, von „Herz und Viren“ gibt es Sequenzen in „Hallo Deutschland“ zu sehen.

Die Pandemie hat die Fernsehwelt befeuert

Die Kombination aus Linear, Fernsehen nach Sendeschema, und Mediathek, Fernsehen nach Abruf, klingt, als würden die Bedürfnissen und Interessen des Publikums aufs Beste bedient.

Die unschöne Pandemie hat ja die schöne neue Fernsehwelt befeuert, die tägliche Nutzung der linear ausgestrahlten Programme hat sich 2020 auf 220 Minuten gesteigert, nach 211 Minuten im Vorjahr.

Die superlativische Entwicklung im TV-on-Demand-Sektor illustrieren am deutlichsten die Streamingdienste. Das Beratungsunternehmen Goldmedia hat festgestellt, dass sich in deutschen Haushalten der Trend zum drittem Abo neben Amazon und Netflix verfestigt.

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Die einstige Frequenzknappheit ist Geschichte: Antenne, Kabel, Satellit – mit dem Zugang zum Internet ist das Tor ins audiovisuelle Paradies aufgestoßen worden. Die Situation dort ist allerdings ernst, sie muss ernst sein, weil sich alle Protagonisten darin tummeln, die mit Rundfunk zu tun haben – und diese Grundsatzfrage beantworten müssen: Was sollen ARD, ZDF und das Deutschlandradio im Universum des Netzraums tun und lassen dürfen?

Was braucht es im Radio und Fernsehen mit Sendeplan, was gehört in den zeitunabhängigen Sektor? Eine Folge „Bergdoktor“ vorab in der ZDF-Mediathek ist keine Antwort.

Mehr sein, als nur Sender

Heike Raab, SPD-Medienstaatssekretärin in Rheinland-Pfalz und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, ist mit einer Idee für die künftige Sortierung in Führung gegangen. „In einer digitalen Mediengesellschaft müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio mehr sein als nur Fernseh- und Radiosender“, hat sie der „FAZ“ gesagt. Auch deswegen sollen nur noch das Erste, das ZDF, Arte und 3sat weiter linear beauftragt werden.

Das ist das Ende des Fernsehens, wie wir es kennen. Zugleich ist es die Flexibilisierung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags – die Transformation von Programmen in Content-Boxen.

Was kommen muss: ein Nachrichtenkanal

Was unter dieser Prämisse sofort kommen muss: ein Nachrichtenkanal, der diesen Namen verdient. Als der Mob das Kapitol in Washington stürmte, schickte ZDF-Anchorman Claus Kleber seinen Tweet „#CNN einschalten sofort“ los. Das machte das Desiderat evident.

Phoenix ist als Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD/ ZDF domestiziert worden, damit N24 und n-tv ihr privates News-Dasein frísten konnten.

Zu wahrer Größe haben sich weder diese Kanäle noch Phoenix entwickelt. Aber diese Größe, fußend auf redaktionell geprüften Inhalten, Reaktionsschnelligkeit, globalem Blick, braucht es, linear wie nonlinear.

Information, Bildung, Kultur sind der Wesenskern

Information, Bildung, Kultur, Unterhaltung, diese Quadriga formt den Wesenskern der Öffentlich-Rechtlichen. Schon im linearen Zeitalter hat die Balance zwischen den Schwerpunkten nicht mehr gestimmt.

Können Sie sich noch an das ZDF-Programm erinnern, in dem am Freitagabend zur besten Sendezeit eine Reportage mit gesellschaftspolitischen Themen lief? Hat es gegeben, gibt es nicht mehr. Primetime heißt Unterhaltung mit dem Krimi als Lieblingsformat.

Sport-Berichterstattung ohne Kumpelei

In den auch künftig linearen Programmen müssen folgende Ankerpunkte gesetzt sein: breite, auch dokumentarisch breite Non-Fake-Information, Bildung, die nicht Quiz-Wissen meint, Kultur als Fest und Feier der Kreativität und der Kreativen, Unterhaltung, die über die infame Frage „Verstehen Sie Spaß?“ hinausschießt, Sport-Berichterstattung ohne Kumpelei und Kuppelei.

Kurz: Ein Fernsehen, das nicht in der Routine steckenbleiben will, das Freude auch am Experimentellen, an der Expedition hat.

Wenn diese Fixpunkte geleistet sind, kann – aber erst dann! – das Nonlineare in den Blick genommen werden. Natürlich muss und wird die ARD mit ihrer regionalen Qualität punkten, punkten müssen, natürlich kann die Spielart des ZDF-Quatsches mit „heute show“ und „Magazin Royale“ Weiterungen finden.

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Das kann sich auf Plattformen, bei Youtube oder Instagram finden, das alles muss sich nur mit dreierlei Qualitäten verbinden. Nichts aus dem Markenkern darf ins Nonlineare verlagert, verschoben, vergessen werden. Der Ehrgeiz des RBB, dass ihm der neue Staatsvertrag die Möglichkeit zugesteht, Hörfunkprogramme wie Radio Eins ausschließlich im Internet auszustrahlen, würde ein Alleinstellungmerkmal des Senders vernichten.

Stets muss es eine Nabelschnur zwischen den Welten geben, ist sie vorhanden, dann kann auch das allein im Nonlinearen existieren, was im Linearen nicht existiert. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird zum medialen Ökosystem.

Das ZDF-Hauptprogramm ist kulturell entkernt

ZDF-Kulturchefin Anne Reidt hat im Tagesspiegel-Interview mit Stolz auf die Anstrengung von www.zdfkultur.de verwiesen. Und sie hat gesagt, es sei darüber nicht eine Minute an einschlägiger Materie im Hauptprogramm verloren gegangen. Jubel? Keineswegs, das Hauptprogramm ist kulturell entkernt, da muss revitalisiert werden, ehe auf zdfkultur.de neue Spielflächen entstehen.

Flexibilisierung muss Fokussierung bedeuten, Mitteleinsatz nicht Kostensenkung, der Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro darf steigen. Qualität kostet, Quantität kostet, also muss die Qualität mehr kosten.

Es besteht der Verdacht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die riesengroße Chance der umfassenden Digitalisierung der Vertriebs- und Ausspielwege missversteht. Er muss nicht mainstreamiger werden, er muss nicht dem falschen Ehrgeiz huldigen, das Missliebige, das Quere, das Minderheitige auszulagern – siehe Literatur in Radio und TV. Akzeptanz kommt von Anspruch, nicht von Abbruch.

Wer hilft beim Finden der Inhalte?

Und auch das gilt: Wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer, die Hörerinnen und Hörer in baldiger Zukunft nicht mehr nur Programme sehen und hören werden, muss um der Auffindbarkeit und Sichtbarkeit der Angebote eine pfiffige Distributionsstrategie gefunden werden.

Heutiges Fernsehen, Radio heute heißt: Ich muss nicht suchen, ich finde meine „Tagesschau“, meine „Abendschau“, meine Kulturschau quasi blind. Wenn diese Routinen in die Aberdutzenden von Apps, Plattformen und Podcasts diffundieren, wenn das Suchen zur Eigenleistung von User und Userin wird, wer hilft dann beim Finden? Sichtbarkeit und Auffindbarkeit funktionieren nur, wenn die Adressen funktionieren.

Es ist nichts verloren, der Prozess vom analogen zum digitalen Rundfunk ist erst in der Orientierungsschleife. Aber im Digitalen, das ist seine Eigenart, drängt die Zeit immer. Bei den Öffentlich-Rechtlichen kommt zum Zeit- der Qualitätsdruck. Selbst wenn sich der Zuschauer sein audiovisuelles Bouquet mehr und mehr selber zusammenstellen wird, die eigentlichen Kuratoren fürs Lineare und Nonlineare bleiben die Sender.

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