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Streaming-Serien wie „Game of Thrones“ können den Schlaf rauben oder der Entspannung dienen.

© picture alliance / HBO/Sky/dpa

MEDIA Lab: Nur noch eine Folge...

„Game of Thrones“, „The Crown“, „Damengambit“, „The Last Dance“ - Ein Schweizer Forschungsteam hat „Binge Watching“ genau angesehen – und war selbst überrascht.

Für Binge Watching – auch Serienmarathon oder „Komaglotzen“ genannt – zieht die Wissenschaft definitorisch die Grenze bei mindestens zwei hintereinander geschauten Episoden. Wir können überall, jederzeit, allein, gemeinsam, preisgünstig über Netflix, Prime und viele andere Streaming-Anbieter Filme und Serien schauen – und auch gut nach jeder Episode einen Cut machen. Machen wir aber oft nicht. Mit der Selbstberuhigung „Nur noch eine Folge“ schauen wir mitunter ganze Nächte durch.

Ein interdisziplinäres Schweizer Forschungsteam um die Kommunikationswissenschaftler Andreas Fahr, Dominique Wirz und Alexander Ort sowie den Psychologen Björn Rasch hat im Rahmen des vom Schweizer Nationalfonds aufgegleisten Forschungsschwerpunkts „Digital Lives“ untersucht, warum wir so handeln und was dies bedeutet.

[Ort, A., Wirz, D., & Fahr, A. (2020). Is binge-watching addictive? Effects of motives for TV series use on the relationship between excessive media consumption and media addiction. In Addictive Behaviors Reports. Elsevier BV. https://doi.org/10.1016/j.abrep.2020.100325]

Der Hauptbefund: Mehr differenzieren, weniger pauschalisieren. Binge Watching kann uns richtig guttun. Menschen schauen nicht einfach Folge um Folge irgendeiner Serie, weil sie Unterhaltung suchen, sondern es ist umgekehrt: wenn eine Serie sie gut unterhält, dann schauen sie Episode an Episode. Ein Ergebnis, das die Forscher selbst verblüffte.

Entscheidend für den Unterhaltungseffekt einer Serie sei nicht, ob man sie am Stück oder in Episoden anschaut. Die Beziehung zu den Figuren einer Serie wiegt mehr als die Dramaturgie. Die Mediennutzenden wollen ihre individuelle Stimmung in Balance bringen: Wer sich langweilt, will stimuliert werden, wer gestresst ist, will abgelenkt werden.

Den Cliffhanger überlisten

Was den einen entspannt, wühlt den anderen auf. Viele schauen weiter, weil sie einen „need for closure“ verspüren: Passiert im Cliffhanger am Ende etwas, das aufwühlt, will man in die nächste Folge sehen, um sein eigenes Gleichgewicht zu erreichen. Aus Sicht der Serienmacher ist das ein gewünschter Effekt, den man aber gut umgehen kann, sobald man ihn kennt: Indem man die nächste Episode startet und nach einer Szene stoppt, die nicht so aufregend ist.

[Projektwebsite: https://binge-watching.org/?lang=en / Forschungsschwerpunkt: http://www.snf.ch/en/funding/projects/digital-lives/Pages/default.aspx]

In vielen Studien wurden Mediennutzende rückblickend befragt, was ihre Urteile beeinflusst. Das Schweizer Forscherteam fokussierte den Prozess: 112 Teilnehmende im Alter von 22 Jahren sollten über drei Wochen hinweg ihren üblichen Gewohnheiten folgend Netflix-Serien schauen, aber zusätzlich vor und nach einer Folge einen Fragebogen ausfüllen.

Eine Online-Befragung von 415 Mediennutzenden ergab zudem: Serienmarathons pauschal zu problematisieren, ist irreführend. Treiben Freizeitmotive dazu an, dann ist das unproblematischer, als wenn Eskapismus oder Einsamkeit Triebfedern sind.

Marlis Prinzing

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