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Im Angesicht der Niederlage ergibt sich der französische Kaiser Napoleon III. (Hubertus Hartmann, rechts) Otto von Bismarck (Thomas Thieme).

© ZDF und Stanislav Honzík

„Kaiserspiel“ im ZDF: Das Forsche und das Morsche

Historien-TV mit Thomas Thieme: Wie Bismarck in Versailles das deutsche Kaiserreich gründete.

Heute ist Corona, damals war Krieg. Heute herrscht Unmut über die zögerlichen Seuchenbekämpfer der Politik, damals Jubel im deutschen Volk. Warum also nicht zur Stimmungsaufhellung blaublütigen Respektspersonen dabei zusehen, wie sie forsch und effizient nichts Geringeres hinkriegten als die deutsche Reichsgründung 1871?

Einfach mitfeiern geht nicht. Und es geschieht auch nicht. Schon gar nicht im ZDF. Die geschichtsaktive Anstalt hat einen Ruf zu verlieren. „Kaiserspiel – Bismarcks Reichsgründung in Versailles“ (Buch: Dirk Kämper, Lothar Machtan, Regie: Christian Twente) balanciert auf dem schmalen Grat zwischen notwendigem Respekt vor den historisch Handelnden und dem Befremden über deren Arroganz.

Die Ausrufung von Wilhelm I. zum deutschen Kaiser ist surreales Theater. Ein Totentanz der Widersprüche, der aber die deutsche Geschichte geprägt hat. Zum einen als ein Skandal der Fühllosigkeit: In der Herzkammer des daniederliegenden Gegners Frankreich, auf dessen Geist, Gloire und Eleganz klotzig, klobig und selbstergriffen heumzutrampeln – das war frühe teutonische Ballermannigkeit.

[„Kaiserspiel“, ZDF, Dienstag, 20 Uhr 15]

Allerdings: Frankreich erschien damals nicht als der Freund der Deutschen wie heute. Die Grande Nation war nicht unschuldig daran, dass zwischen Alpen und Nord- und Ostsee ein kleinstaatlicher Flickenteppich herrschte. Napoleons Usurpation und deren Niederschlagung förderte in Deutschland nicht die Bildung einer demokratischen Nation, sondern die Adelsherrschaft. Die morsche deutsche Aristokratie beleidigte forsch den Einheitstraum der Paulskirche von 1848.

Und doch wurde durch den Coup in Versailles etwas Bleibendes geschaffen, ein akzeptabler Platz für einen Traum in der Wirklichkeit, von dem trotz zweier Weltkriege, Hitler und Auschwitz etwas bis heute Bestand hat: ein Identifikationsraum für das, was Deutschland ausmacht.

Das von Bismarck geschaffene Gebilde wurde nicht das „große Land! So weit die deutsche Zunge klingt! Und Gott im Himmel Lieder singt“, wie der Franzosenfeind Ernst Moritz Arndt, fabulierte, sondern ein für alle Deutschen und Nachbarn erträglich kleineres Gebilde. Dessen Wiederherstellung mit dem Mauerfall viele Deutsche als Glücksfall empfanden.

Untergehen, Weiterbestehen – es ereignete sich vor 150 Jahren ein Stück Farce: Die Mächtigen, denen das Volk nichts bedeutete, setzten sich eine Krone auf, die ihnen nichts bedeutete, und verhinderten mit der Feier ihres Anfangs nicht ihr schmähliches Ende mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Versailles glitzerte 1918 und rächte sich unelegant und voller Rache mit einem Siegerfrieden hart an seinen deutschen Schändern von einst.

Kein Spott über Preußisch-Reaktionäres

„Kaiserspiel“ trägt dem Rechnung. Es vereinfacht die Schilderung der Ereignisse von Versailles nicht in einer Revue von entfesseltem Spott über Preußisch-Reaktionäres. Es denunziert keine Darsteller, bloß weil sie alt und beleibt sind und lieber ächzen als zu triumphieren. Es bleibt leise und zurückgenommen, weil für die Schilderung der Vorgeschichte und der Folgen kein Sendeplatz und kein Geld da sind.

„Kaiserspiel“ setzt vielmehr auf Bismarck-Darsteller Thomas Thieme. Wir kennen ihn aus Stasi-Filmen, wir kennen seine vordergründige Klotzigkeit, seine hinter Schweratmigkeit versteckte Angriffslust, den thüringischen Akzent, der provinziell klingt und wölfische Überlegenheit tarnt.

Natürlich bleiben Thiemes schauspielerischen Entfaltungsmöglichkeiten durch die Konzentration auf den Versaillescoup beschränkt. Vom tief frommen „Brautbriefe“-Schreiber der jüngeren Jahre und dem glänzenden Sprachartisten („Gedanken und Erinnerungen“) am Ende seines Lebens, vom Frauenverehrer und weltmännischen Flair des konservativen Junkers ist im Film nichts geblieben. Und doch erkennt der Zuschauer, dass der gezeigte Graf und später zum Fürsten beförderte Königs-und Kaiserberater seinen blaublütigen Kollegen überlegen ist. Er hat sich, verfressen und schlemmend in seinen mächtigen Körper zurückgezogen, ohne seine Hellsichtigkeit gegenüber seinen schlafwandelnden und untergangsgeweihten Dienstherren zu verlieren.

Der Film-Wilhelm I. (Peter Meinhardt) zeigt sich so gottesgnadenberauscht unbelehrbar wie sein Vorgänger Friedrich Wilhelm IV, der 1849 die von der verzweifelten Paulskirche angebotene Kaiserkrone mit der Beleidigung ablehnte, er nähme keinen imaginären „Reif aus Dreck und Letten“ (Lehm) mit dem „Ludergeruch der Revolution“ an.

Ein dünkelhafter Kaiserkandidat

Fast, zeigt der Film, wäre der Kaiserschmarren zu Versailles ausgefallen, weil sich der dünkelhafte Kaiserkandidat Wilhelm I. bis zuletzt weigert, seine Ausrufung zum deutschen Kaiser über die Bühne gehen zu lassen. „Wie eine zögerliche alte Jungfer“, schimpft Bismarck.

Österreich hatte der eiserne Kanzler militärisch besiegt und aus dem Rennen um eine Reichsgründung ausgeschlossen. Heilig und Römisch und verschlafen sollte es nicht bleiben im zu vereinenden Deutschland, sondern zackig, obrigkeitsstaatlich und auf Gehorsam getrimmt werden. Ein modernes, aber demokratieblindes Imperium sollte entstehen, das die Säbelträger an der Spitze akzeptierte. Das Wohl des Volkes sollte ein Jawoll werden.

Den Liberalen hatte Bismarck im Streit um das preußische Budget das freiheitliche Rückrat gebrochen, den Krieg mit Frankreich angezettelt („Emser Depesche“) – und musste nun vielleicht, Spannungsbogen des Films, das Platzen seiner Pläne erleben. Die Pläne eines Wachen unter den Schlafwandelnden, der wusste, dass sich die Zukunft der Aristokratie nicht ohne Einheit erhalten lässt.

Um nicht nur den Männern das Feld zu überlassen, zeigt das „Kaiserspiel“ Napoleons Gemahlin Kaiserin Eugenie (Anna Tenta) zum einen als Geschirr zerschmetternde, aber letztlich ohnmächtige Statthalterin ihres in Deutschland gefangenen Mannes Napoleon III. Sie wehrt sich in Paris gegen das hungrige und aufständische Volk. 1919 zeigt sie sich als alte Frau (Marie Anne Fliegel) plaudernd über Bismarck mit der Wilhelm.I-Tochter Louise (Petra Kelling). Der eiserne Mann bleibt den Damen ein Rätsel. Diese Szenen bereichern den Film kaum.

Wenn sich die männlichen Akteure bei der Erhebung Wilhelms I vor der Kamera aufstellen und ihren Jubel vernehmen lassen, beherrscht eine von den Machern gut getroffene Leere die Szene. Morituri te salutant. Der letzte Gruß der Untergehenden.

Das Coronavirus muss sich nicht fürchten. Zehn Jahre soll die TV-Anstrengung in der Mediathek des ZDF bleiben. Mal sehen, was dann los ist.

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