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Lebensnah. Ab 8. 3. ist Carmen-Maja Antoni bei der neuen Staffel der ZDF-Webserie „FilmFrauen“ dabei. Derzeit ist sie auch in der Serie „Merz gegen Merz“ zu sehen.

© ZDF und Marc Vorwerk

Interview mit Carmen-Maja Antoni: „Das Ohr wurde wieder angenäht“

Die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni über Frauen im Film, riskante Dreharbeiten – und was gegen den Backlash zu tun ist.

Die Charakterdarstellerin Carmen-Maja Antoni, Jahrgang 1945, gehörte zu den Schauspielstars der DDR. Sie wirkte in etlichen Defa-Filmen mit, war von 1975 bis 2013 Mitglied des Berliner Ensembles und ist in zahlreichen TV-Filmen zu sehen.

Frau Antoni, zu Beginn von „FilmFrauen“ erzählen Sie, wie Peter Zadek einmal zu Ihnen sagte: Ich hasse starke Frauen. Sie daraufhin: Ich hasse schwache Männer. Woher nahmen Sie das Selbstbewusstsein, so schlagfertig zu reagieren?

Weil ich schon als Kind live im Fernsehen aufgetreten bin, beim Pionier-Kabarett „Blaue Blitze“, war das bei mir früh ausgeprägt. Das Rotlicht ging an, ich musste funktionieren, zuhören – und vor allem verdiente ich damit schon Geld. Es war 1958, eine schwere Zeit, meine Mutter war alleinstehend, und ich war der King in der Familie. Ich wurde also früh anerkannt für meine Arbeit, und sie machte mich auch noch glücklich.

Viele West-Schauspielerinnen berichten, dass sie sich das Selbstbewusstsein erst mühsam erarbeiten mussten.

Bei mir konnte es kontinuierlich wachsen. Das Kinderfernsehen war eine gute Vorbereitung. Ich machte dann Jugendfernsehen mit Dieter Mann und Walter Plathe. Es folgte die Schauspielschule in Babelsberg und direkt im Anschluss Engagements am Theater und Dreharbeiten.

Beim Dreh zum Defa-Film „Kindheit“ wurde Ihnen ein Ohr abgeschlagen. Wie stark hat Sie das geprägt?

Ich hatte da ja schon einen Mann und zwei Kinder, aber ich war so ehrgeizig, in der Rolle als junge Großmutter alles alleine machen zu wollen, das Huhn selber zu schlachten und mich bei der Messerwerfer-Szene nicht doubeln zu lassen. Das Risiko habe ich unterschätzt. Es ging glimpflich aus, das Ohr wurde wieder angenäht. Seitdem weiß ich: Wer eine Familie hat, sollte auch an die anderen denken.

Schauspielerinnen erleben Theater und Filmsets oft als familienfeindlich.

Kinder kommen nie dann, wenn es gerade passt. Schon beim ersten Kind, meinem Jakob, musst ich wegen der Geburt auf eine Rolle verzichten und bei meiner Jennipher auch. Man verliert eine Rolle und bekommt ein Kind dafür, das ist es wert! Ich leistete mir bis zu ihrem dritten Lebensjahr eine Kinderfrau, um 17 Uhr kam mein Mann von der Arbeit, ich konnte zur Vorstellung. Wir haben uns gut organisiert. Natürlich musste man Multitasking machen. Kochen, Haushalt, Theater, aber ich hatte viel Energie. Meine Güte, ich habe heute noch viel Energie.

Kein großer Unterschied zwischen der DDR und der Bundesrepublik?
Doch, Frauen und Beruf, da sind die Auffassungen verschieden. Wir erleben es ja gerade wieder: Homeoffice, Homeschooling. Mutti muss alles managen, muss auch noch fröhlich dabei sein und kriegt einen Herzklapps. Es ist der Wahnsinn. Vieles war lockerer in der DDR. Weil die Frauen arbeiteten, waren sie nicht abhängig von ihren Männern, eine Scheidung war unkompliziert. MeToo im Osten? Ja, Regisseure haben mit Schauspielerinnen geschlafen, aber es gab nicht dieses erpresserische Verhalten. Die Männer hatten nicht so viel Macht, weil die Frauen nicht unter Existenzängsten litten.

Wie haben Sie bei der Defa und am Berliner Ensemble die Machtverhältnisse empfunden?
Ich habe am Theater hervorragende Teams erlebt, mit Männern wie mit Frauen. Meine Grenze war immer da, wenn ich tun sollte, was ich nicht wollte. Es hieß, ich würde größere Rollen bekommen, wenn ich in die Partei gehe. Ich sagte, das mache ich nicht. Dann haben sie alle drei Wochen ein Parteiverfahren mit mir. Ich bin mir treu, sonst kann ich nicht schlafen, bekomme Seelenschmerzen und werde krank. Lieber verliere ich mal eine Runde.

Wie war das, als Sie in mehreren Filmen mitspielten, die 1965 verboten wurden?
Man drehte die Filme ja ganz normal. Ein halbes Jahr später waren sie fertig, aber als sie ins Kino kommen sollten, wurden sie verboten. Plötzlich hatte man in einem verbotenen Film mitgespielt. Eine Kollegin wie Jutta Hoffmann, die in Hauptrollen besetzt war, wurde zur politischen Schauspielerin erklärt, zur Staatsgegnerin. Dabei war doch nur ihre Rolle politisch quer, das war furchtbar. Ich trat in Nebenrollen auf, deshalb traf es mich nicht so hart.

Nach der Wende war die Defa schnell weg. Wie sahen die Machtverhältnisse aus?
Die West-Intendanten hatten in Berlin vielleicht mal die Schaubühne besucht, aber sie kannten die Ensembles im Osten nicht. Deshalb begegneten sie uns mit Misstrauen. Wir hingegen hatten West-Fernsehen geguckt und uns Nächte lang Videokassetten mit Theateraufzeichnungen angeguckt. Wir kannten die Regisseure, waren ganz erpicht darauf, mit einem George Tabori, einem Peter Zadek zu arbeiten. Wir mussten uns wieder vom Wickelkind zum Schulkind hocharbeiten. Einer hat mich mal gefragt, ob ich auch singen könne. In allen Brecht-Stücken wurde gesungen! Da wird man auch mal grantig.

Unter Claus Peymann haben Sie erstmal nur Nebenrollen bekommen.

In Taboris „Brecht-Akte“ hatte ich drei Sätze: „Bratwurst und Sauerwurst.“ – „Nein danke.“ – „Hol ich.“ Peymann brennt fürs Theater und hat gemerkt, dass ich belastbar bin, mit Anspruch und Kritik. Er war beeindruckt von meiner Energie, meinem Humor. Ich widersprach, wenn mir was nicht passte, das war er nicht gewohnt. Wir haben gefochten, wir guckten uns in die Augen und beschlossen, wir arbeiten jetzt zusammen. Das Ergebnis war die Daja in „Nathan der Weise“. Ich spielte die anderen an die Wand, das Eis war gebrochen. Und weil die ausländischen Touristen nach Berlin kamen und Brecht sehen wollten, haben wir dann ganz viel Brecht gespielt.

2013 verließen Sie das Ensemble, Sie wollten „raus aus diesem Gehorsam“, sagten Sie. Sie mussten vorher doch gehorchen?

Nein, das bezog sich auf mein Arbeitspensum. Ich hatte 23 Vorstellungen im Monat. Abends war ich die Letzte, die ging und morgens die erste, die kam. Es war einfach zu viel, ich musste einen Riegel vorschieben.

Führen Frauen anders Regie als Männer?

Frauen sind nicht so autoritär. Mit ihnen hatte ich die bessere Kommunikation um die Sache. Mit Männern kämpft man eher – außer sie verhalten sich untypisch.

Und warum gibt es auch im Jahr 2021 immer noch so wenige Regisseurinnen?

Regie führen bedeutet Wandernomade zu sein, hin und her zu reisen, weil man in Basel, Stuttgart oder Berlin inszeniert, das verträgt sich schlecht mit Kindern und Familie. Bis heute wird zu wenig für Frauen mit Kindern getan, und zu wenige Männer kümmern sich um die Kinder. Schauen Sie sich nur die deutsche Politik an. Da geht es wieder Richtung Mittelalter: Wenn Merkel jetzt geht, dann haben wir fast nur noch Männer an der Spitze. Schrecklich!

Befürworten Sie die Quote?

Es ist viel wichtiger, die Arbeitsverhältnisse so zu verändern, dass Frauen in künstlerischen Berufen und in führenden politischen Positionen arbeiten können. Frauen müssen bekommen, was sie zur Ausübung ihres Jobs brauchen, sonst sind nach ein paar Wochen die Kinder krank, die Frau wirft hin, und dann heißt es wieder, sie schafft es halt nicht. Es ist das alte Lied: Seit Clara Zetkin ist nichts passiert.

Sie können viel drehen derzeit, demnächst die dritte TV-Staffel von „Merz gegen Merz“. Warum macht es Sie so wütend, dass die Kultur im Lockdown ist?
Die Schließung der Konzerthäuser, der Theater, der Museen wird schwere Spuren hinterlassen. Ich bin vorsichtig, die Gesundheit geht vor, aber wir brauchen auch die Kultur für unser Wohlbefinden, unser Menschsein, für den Kopf, die Bildung. Freunde treffen, erfüllt nach Hause kommen, nachdenken, sich auseinandersetzen. Es ist eine Katastrophe, dass all das zurzeit weggemetzelt ist. Wir verwahrlosen. Besonders schlimm ist es für die Kinder und Jugendlichen.

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