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Externe Lösung.  Wer soll oder kann am besten an die Senderspitze? Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg muss vieles auf Anfang gestellt werden.

© IMAGO/Schöning

Intendantensuche beim RBB: Alles auf Risiko

Die große Intendantenfrage beim RBB: Bitte nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor! Eine Position.

Nach der Intendantin Patricia Schlesinger ist vor dem nächsten Intendanten, vor der nächsten Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). Nach den Listen, die da und dort und auch im Tagesspiegel herumgereicht werden, soll, ja muss es eine Persönlichkeit aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden. War immer so, das System ernährt sich aus sich selbst.

Bevor die Entscheidung die Chronologie der Intendantenfindung bestätigen könnte, lassen Sie uns ein wenig träumen. Also hinaustragen über den Rand der bekannten Qualifikationen. Es wird nicht reichen, wenn sich eine Frau bewirbt und gewählt wird. Patricia Schlesinger hat Beweis geführt, dass eine Chefin ebenso narzisstisch und selbstbezogen agieren kann wie ein Chef. Dieser Transfer von „Ich kann alles“ zu „Ich darf alles“ ist nicht allein über die Genderfrage zu verhindern. Andere halten das Präfix „ostdeutsch“ für eine Lösung aller Bewerbungsfragen. Sind Ostdeutsche die besseren Menschen, vulgo bessere öffentlich- rechtliche Führungskräfte?

Also, Frau taugt als entscheidender Faktor ebenso wenig wie ostdeutsch. Aber beide Merkmale können wirken, sprich bestehen bleiben, wenn sich die Betrachtungsperspektive dramatisch ändert: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg als erster öffentlich-rechtlicher Sender, den kein öffentlich-rechtlicher Profi leitet. Also keiner und keine, die sich Jahre und Jahrzehnte über die mannigfachen Bewährungsstufen nach oben geangelt und gerangelt, die alle Feinheiten, Freiheiten und Feigheiten des Systems kennengelernt haben.

Führt man sich die bisher gefallenen Namen beispielsweise von Tina Hassel (ARD-Hauptstadtstudio) bis Theo Koll (ZDF-Hauptstadtstudio) vor Augen, dann kann schon die Zunge schnalzen: Mega-Profis, die Besten der Besten.

Wenn es denn reicht, sich mit dem System im System für das System zu bewähren. Das läuft zwangsläufig auf ein Weiter-so hinaus: Da eine kleine Korrektur, dort ein bisschen mehr Transparenz, und dann fährt das öffentlich-rechtliche Schiff weiter auf bekanntem Kurs. Wer das Konservative will, wer auf Kontinuität setzt, der macht nichts falsch, wenn er seinen Favoriten/seine Favoritin im Kreis der eingeübten Kandidatinnen und Kandidaten sucht.

Das Vorhandene als fremd betrachten

Lassen wir das Biedermeier hinter uns, hinaus in die frische Luft. Ich stelle mir eine Persönlichkeit vor, die nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Kosmos kommt. Die nicht den Ballast des Gelernten, des Gewieften mit sich bringt. Sondern eine Vision eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks propagiert, die zwischen Information und Kultur oszilliert, die nicht länger Quizshow-Wissen mit Bildung verwechselt, die nicht zur WM nach Katar fahren will, um sich dann auszuheulen, dass die WM in Katar stattfindet.

Die am ersten Amtstag in den Sender kommt und sich nach wenigen Stunden fragt, warum es hier diese und nicht jene Struktur gibt, die das Vorhandene als fremd betrachtet, das Selbstverständliche für nicht selbstverständlich erklärt, die das vor sich hinwelkende Programmbouquet zur Diskussion stellt – ein freier, unabhängiger Geist, der nicht die Routine streichelt, dafür den Aufbruch wagt.

Alles auf Risiko? Alles auf Risiko. Wenn es denn stimmt, dass das öffentlich-rechtliche System eine Reform braucht, dann kann, dann muss die Wahl der Führungskraft diesen Prozess in Gang setzen. Denn das lehrt die Historie: Wer immer aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor zum Intendanten, zur Intendantin eines Senders der ARD, des ZDF, des Deutschlandradios gewählt wird, der ist Fleisch vom Fleisch, der liefert auf die Systemfrage das System als Antwort, der setzt vom ersten Arbeitstag an alle Macht und jeden Ehrgeiz darein, wiedergewählt zu werden.

Wie das geht, hat er, hat sie gelernt, die öffentlich-rechtliche Lernkurve ist keine Raketenwissenschaft. Aus solchen neuen Namen erwächst keine Neuerung noch Erneuerung, Auch wenn das ironisch bis absurd klingt: Patricia Schlesinger hatte alles richtig gemacht, bis sie vieles falsch gemacht hat. Das Ende ist bekannt. Knapp 70 Jahre öffentlich-rechtlicher Rundfunk haben eine massive Erstarrung mit sich gebracht. Also ist die Zufriedenheit mit dem System so formatiert wie der Ärger über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, innerhalb und außerhalb.

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Neubeginn. Ein Zauberwort. An der Ausschreibung der Intendantenposition wird sich erweisen, was der Rundfunkrat des RBB sich für die Zukunft des Senders für Berlin und Brandenburg vorstellt, vorzustellen wagt. Das Gremium muss sich was trauen, etwas unerhört Neues. Eine Neuerfindung dessen, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein kann. Seine Realität ist etwas für Menschen ohne Vorstellungskraft.

Ein System funktioniert, weil die Träger, die Profiteure, die Mitläufer eines Systems die Mehrheit bilden. Systemsprenger sind sehr selten und selten gelitten. Aber es gibt die akut Unzufriedenen, die Aufrüttelnden, jene, die sich nicht abfinden wollen. Gerhart Baum ist so einer, der FDP-Liberale, ehemalige Bundesinnenminister, Autor von Büchern wie „Meine Wut ist jung“, seit Jahren im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks. Wieder und wieder hat er sich zu Stand und Zukunftsfestigkeit der Öffentlich-Rechtlichen gemeldet, wie jüngst zu RBB und ARD: „Da kann nicht alles so bleiben, wie es ist.“

Auf ARD-Ebene gibt es ein bisher toleriertes, strukturelles Aufsichtsdefizit. Das wird nun überwunden werden müssen, um Angriffen auf die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begegnen zu können. Es wird einen großen öffentlichen Erwartungsdruck auf Intendanten und Gremien geben, Programmveränderungen und Programmkosten detailliert zu begründen und zu rechtfertigen. Dem wird man nur mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz begegnen können.“ Aus dieser Analyse heraus muss sich die Aufgabe formulieren.

Gerhart Baum, gebürtig in Dresden (!), ist 89. Er wird anderes zu tun haben, als sich für die Intendanz des Rundfunks Berlin-Brandenburg zu interessieren. Seine Persönlichkeit zeigt freilich die Kontur, in die der RBB-Rundfunkrat hineinwählen muss.

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