zum Hauptinhalt
Keine coole Party-Location: Nach einem Brand während eines Raves unter Münchens Hauptbahnhof vermisst Nellie (Lilly Charlotte Dreesen, li.) ihren Bruder Max. Ihr Influencer-Freund Janosch (Yasin Boynuince) ist ihr keine große Hilfe.

© Arvid Uhlig/Joyn

Nicht immer Berlin: Mit „Katakomben“ macht Joyn München zur Serien-Metropole

Hedonismus, Oberflächlichkeit, Profitgier: Die Serie „Katakomben“ zeigt die dunkle Seite von München. Und wie sich junge Menschen dagegen auflehnen.

Der Münchener Hauptbahnhof bei Nacht: Ein Obdachloser hat sich zum Schlafen gelegt, neben ihm ein Hund mit ungepflegtem Fell. Doch Ruhe kehrt nicht ein. Junge Frauen in glitzernden Bolerojacken tippeln in Begleitung ebenso herausgeputzter junger Männer an der Schlafsackgestalt vorbei, lassen Konfettistreifen auf sie herabregnen. Plötzlich strömt Rauch aus einem U-Bahn- Schacht, die eben noch fröhlichen Leute rennen hustend über eine Rampe Richtung Ausgang.

Die Rave-Party im Münchner Untergrund findet ein abruptes, hässliches Ende. Mehrere Dutzend Personen sind verletzt, drei junge Menschen vermisst. „Max, wo bist du, geh an dein Handy“, kreischt eine Frau hysterisch in ihr Smartphone. Die Einstiegsszene der deutschen Streamingserie „Katakomben“, die am Donnerstag bei Joyn Plus+ startet, hat es in sich. Und nicht nur sie.

[„Katakomben“, sechs Episoden, Joyn Plus+, ab Donnerstag]

Mit „Katakomben“ startet Joyn eine Programmoffensive mit insgesamt 20 Originals allein in diesem Jahr, wie Contentchef Thomas Münzner bei einer Online-Präsentation am Dienstag betonte. Der ProSiebenSat1-Streamingdienst will es wissen. Disney+, einer der internationalen Konkurrenten, meldete am gleichen Abend, dass der Dienst nach etwas mehr als einem Jahr weltweit 100 Millionen Abonnenten gewonnen hat. Netflix kommt auf das Doppelte. Nach Branchenschätzungen liegen Joyn und TV Now, die Dienste von ProSiebenSat1 und RTL, bei jeweils einer Million zahlender Kunden.

Die ProSiebenSat1-Gruppe will im Fiction-Bereich mit international konkurrenzfähigen Serien wie „Katakomben“ oder der Serienumsetzung des Marc-Elsberg-Romans „Blackout“ aufholen. An „Katakomben“ findet Münzner den Genre-Mix aus Coming-of-Age-Drama und Crime-Thriller besonders spannend. Beides sind Themen, die bei der Konkurrenz der US-Streamer von der jungen Zielgruppe, die sich vom linearen Fernsehen abgewandt hat, extrem gut angenommen werden. In gewisser Weise gibt es sogar Parallelen zwischen der gerade bei Amazon Prime angelaufenen Serien-Adaption von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und den Katakomben unter dem Münchener Hauptbahnhof.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Wir sind eine lokale Plattform und wir brauchen lokale Inhalte“, sagt Lena Wickert, die bei Joyn für die Eigenproduktionen zuständig ist. Dass „Katakomben“ in München, also am Hauptsitz von Joyn spielt, macht die Serie für sie zusätzlich zum „Perfect Match“. Serien, die in Berlin angesiedelt sind, gibt es tatsächlich schon genug. Als Ort der Handlung bietet sich München aber nicht nur deshalb an. Hier kann die Selbstfindung der Figuren an einem Ort stattfinden, der nicht erst seit „Kir Royal“ mit einer besonders ausgeprägten Schickeria-Szene in Verbindung gebracht wird.

Vom Zeitungs-Artikel zur Streamingserie

Florian Kamhuber, Headautor und Mitproduzent, stammt selbst aus München. Mit der bayrischen Metropole verbindet ihn „eine ziemlich Hassliebe“. Immer wieder hat er der Stadt den Rücken gekehrt, kam aber dann doch immer wieder an die Isar zurück. Zu der Idee für „Katakomben“ hat ihn ein Artikel im „SZ Magazin“ über das unterirdische München inspiriert.

Max (Nick Romeo Reimann) und seine Freunde erkunden den Untergrund unter Münchens Hauptbahnhof.
Max (Nick Romeo Reimann) und seine Freunde erkunden den Untergrund unter Münchens Hauptbahnhof.

© Arvid Uhlig/Joyn

Die Katakomben sind eine Welt, die im Verborgenen liegt. Während „Rich Kids“ wie Nellie (Lilly Charlotte Dressen), ihr Bruder Max (Nick Romeo Reimann) und ihr bester Freund, der Fashion-Influencer Janosch (Yasin Boynuince) das weitverzweigte Netz unterirdischer Anlagen als Location für eine Party und als Fluchtort aus ihrer Wohlstands-Langeweile nutzen, sind die Schächte und Verschläge unter dem Bahnhof für die Vergessenen und Abgehängten der Gesellschaft zur neuen Heimstatt geworden. Zu ihnen gehört Tyler (Mercedes Müller), deren Mutter einst für eine Millionärsfamilie arbeitete, bis sie erkrankte und fallen gelassen wurde. Tyler lebt nun mit ihrer Ersatzfamilie im unterirdischen Bauch von München – und aus Sicht von Nellie und ihren Freunden beinahe auf einem anderen Planeten. Dennoch wird sie es sein, auf die Nellie bei der Suche nach ihrem vermissten Bruder angewiesen sein wird.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können ]

München, das ist zugleich ein Ort, an dem die Mieten schon vor Jahrzehnten so hoch waren, dass Durchschnittsverdiener sich keine Wohnung in der Innenstadt leisten konnten. Ein Gelände in Bahnhofsnähe wird damit unweigerlich zum Spekulationsobjekt. War es Zufall, dass es just dort während der Rave-Party zum Brand kam? Wie ernst meint es Projektleiterin Lisa Limberger (Marleen Lohse) mit ihren Plänen eines fairen Ausgleichs zwischen Profitinteresse und sozialem Wohnungsbau – und lässt sie ihr Vater, der Bauherr und Firmenchef (Daniel Friedrich), tatsächlich gewähren? Welche Position hat die Baustadträtin Anna Mahler (Aglaia Szyszkowitz) – die zudem Nellies Mutter ist – in dieser Angelegenheit?

Ein Handschlag zwischen Wirtschaft und Politik: Bauherr Frank Limberger (Daniel Friedrich), seine Tochter Lisa (Marleen Lohse) und Baustadträtin Anna Mahler (Aglaia Szyszkowitz).
Ein Handschlag zwischen Wirtschaft und Politik: Bauherr Frank Limberger (Daniel Friedrich), seine Tochter Lisa (Marleen Lohse) und Baustadträtin Anna Mahler (Aglaia Szyszkowitz).

© Arvid Uhlig/Joyn

An spannenden Fragen gibt es keinen Mangel. Denn warum mischt sich die Bundespolizistin Magdalena Kaltbrunner (Sabine Timoteo) ständig in die Untersuchung des Brandvorfalls ein? Dass sie bei ihren höchst unkonventionellen, wenn nicht gar illegalen Aktionen von Staatsanwalt Liebknecht (Yung Ngo) unterstützt wird, ist ebenfalls rätselhaft. „Am Ende gibt es keine Figur, die nur gut oder böse, nur schuldig oder unschuldig ist“, sagt Autor Kamhuber. Oder wie es Regisseur Jakob M. Erwa ausdrückt: „Mit ,Katakomben‘ wollen wir unterhalten, aber auch auf ein wichtiges soziales Anliegen hinweisen.“

Worum geht es im Leben wirklich?

Neben Themen wie Armut und Hedonismus, existenziellen Sorgen und Oberflächlichkeit oder sozialem Engagement und Profitgier wird immer wieder die Frage gestreift, worum es im Leben wirklich gehen sollte. Überhaupt haben sich die Macher von „Katakomben“ eher etwas zu viel vorgenommen, um nach sechs Episoden aufzuhören. Nach der ersten Staffel sind längst nicht alle Fäden miteinander verknüpft. Selbst einige der zentralen Themen verheddern sich im Cliffhanger nach der letzten Folge. Inhaltlich ist eine Fortsetzung beinahe unabdingbar, doch zunächst muss das Interesse des Publikums an der ersten Staffel groß genug sein, bremst Original-Chefin Lena Wickert allzu optimistische Erwartungen.

Die Realität in der schönen bunten Streamingwelt ist mindestens ebenso kalt wie einige der Rich-Kids-Sprüche. „Wer bei dieser Kälte unter der Brücke pennt, muss ja einen Dachschaden haben“, kommentiert Janosch einen TV-Bericht über weitere Kältetote in der bayerischen Landeshauptstadt. Es wird nicht die letzte Ansicht sein, die im Verlaufe der Serie korrigiert wird. Ein anderes bemerkenswertes Zitat wird von Nellie kommen: „Was bringt einem ein voller Kühlschrank, wenn man als Familie nicht zusammen isst?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false