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Präsidiales Nickerchen. Der türkische Präsident Erdogan wird bei öffentlichen Ereignissen schon mal von Müdigkeit übermannt. Regierungstreue Medien übersehen das.

© AFP

Erdogan und die Medien in der Türkei: Der Präsident schläft nicht

Präsident Erdogan will die letzten unabhängigen Medien in der Türkei ausschalten. Sie würden "Lügen-Terror" verbreiten.

In der Türkei sollen jetzt auch die letzten unabhängigen Medien zum Schweigen gebracht werden. Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte neue Beschränkungen für die sozialen Medien an, mit denen er den „Lügen-Terror“ kritischer Medien stoppen wolle. Zudem möchte Ankara ausländische Finanzhilfe für unabhängige Medien in der Türkei erschweren. Ziel ist die Kontrolle aller Nachrichten, die in der Türkei verbreitet werden. Kritik wird nicht geduldet, selbst wenn Erdogan mitten in einer Rede einschläft wie vor ein paar Tagen.

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Rund 90 Prozent der türkischen Zeitungen und Fernsehsender werden nach Schätzung von Experten von der Regierung kontrolliert. Die meisten gehören Unternehmern, die sich mit regierungstreuer Berichterstattung staatliche Aufträge etwa in der Bau- oder der Energiebranche sichern. Diese Medien sind Sprachrohre der Regierung: Manchmal erscheinen sechs oder sieben Zeitungen mit wortgleichen Überschriften auf ihren Titelseiten.

Unabhängige oder regierungskritische Medien müssen ums finanzielle Überleben kämpfen, weil sich Unternehmen scheuen, bei ihnen Anzeigen zu schalten. Reporter und Redakteure werden festgenommen. Dennoch sind unabhängige Medien wie der Internet-Fernsehsender Medyascope oder die Online-Plattform Bianet für Millionen Türken zu einer wichtigen alternativen Informationsquelle geworden.

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Mehr als 33 Millionen Türken nutzen nach einer Untersuchung des Internationalen Presse-Instituts IPI die digitalen Inhalte unabhängiger Medien; die regierungsnahen Zeitungen, Sender, Plattformen kommen auf knapp 48 Millionen Nutzer. Während das Interesse an den Regierungsmedien stagniert, wächst die Reichweite der Unabhängigen.

Erdogans Regierung will das nicht mehr hinnehmen. Der Präsident kündigte jetzt laut regierungsnahen Zeitungen die Gründung einer Aufsichtsbehörde für die sozialen Medien an. Sie soll nach dem Vorbild der TV-Kontrollbehörde RTÜK arbeiten, die regierungskritische Kommentare in Fernsehen und Rundfunk häufig mit Geldstrafen oder Sendeverboten ahndet.

Schon jetzt schreiben Gesetze vor, dass sich große Internetplattformen wie Twitter in der Türkei den Regeln der Erdogan-Regierung unterwerfen müssen. Das sei aber nicht genug, um den „Lügen-Terror“ im Netz zu bekämpfen, sagte Erdogan vor einigen Tagen.

"Fünfte Kolonne"

Gleichzeitig will die Regierung gegen unabhängige Medien vorgehen, die Geld aus dem Ausland bekommen. Ankara werde etwas gegen die „fünfte Kolonne“ des Auslands in den Medien unternehmen, erklärte Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun jetzt. Er meinte damit vor allem den Internet-Sender Medyascope des angesehenen Journalisten Rusen Cakir.

Medyascope erhält finanzielle Unterstützung von der Chrest-Stiftung der amerikanischen Unternehmerfamilie Jensen, von der EU-finanzierten Organisation EED, der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung und von der schwedischen Entwicklungsorganisation Sida. Obwohl Cakirs Sender diese – legalen – Geldquellen auf seiner Internetseite offenlegt, wird er nun beschuldigt, vom Ausland finanziert zu werden. Altun erklärte, manche ausländische Regierungschefs machten keinen Hehl daraus, dass sie in die politische Ordnung in der Türkei eingreifen wollten.

Die Regierung rechtfertigt die geplanten neuen Regeln zudem mit Vorschriften in den USA gegen angebliche russische Propaganda. In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sich 23 europäische Pressefreiheits-Organisationen besorgt über die türkischen Pläne.

Selbst leise Kritik unerwünscht

Selbst regierungsnahe Medien in der Türkei bekommen den Zorn des Präsidialamtes zu spüren, selbst wenn sie nur leise Kritik üben. Bei der Internetzeitung „Habertürk“ war das der Fall, nachdem das staatliche Presseamt das Video einer verunglückten Erdogan-Rede verbreitet hatte: Der Clip zeigte, wie der Präsident mitten in einem Satz einschlief.

„Habertürk“-Kolumnist Fatih Altayli, einer der bekanntesten Journalisten der Türkei, schrieb in einem Kommentar, die Bilder des erschöpften Erdogan schadeten der Türkei. Er spekulierte, dass jemand aus Erdogans Umgebung die Bilder absichtlich ungeschnitten lancierte, um den Präsidenten schlecht aussehen zu lassen. Altun warf Altayli darauf „Desinformation und Lüge“ vor.

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