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Kein Platz bei RTL. Den Corona-Leugner Michael Wendler konnte der Sender erst nachträglich aus der DSDS-Jury herausschneiden. Bei Dragqueen Nina Queer wollte man so etwas bei der Dschungelshow vermeiden.

© Eventpress Golejewski/dpa

Ausladung der „Hitler-Transe“: Nina Queer als Dschungel-Kandidatin gestrichen – wurde sie falsch verstanden?

Dragqueen Nina Queer ist enttäuscht vom Verhalten des Dschungelshow-Senders RTL. Die Schuld für ihre Ausladung sieht sie aber an anderer Stelle.

Erst wortreich vorgestellt, dann kurzerhand ausgeladen: Noch am vergangenen Freitag hatte RTL Nina Queer voller Stolz als Kandidatin von „Ich bin ein Star – Die große Dschungelshow“ präsentiert. Vor allem ihre Vielseitigkeit als TV-Gesicht von RTL und RBB, als Sängerin und Schauspielerin, als Autorin, Podcasterin und „Bild“-Kolumnistin sowie als Werbegesicht und queere Partyqueen wurde hervorgehoben. Kein anderer Kandidat, keine andere Teilnehmerin der Dschungelshow, die diesmal in Deutschland stattfindet, wurde so detailliert beschrieben wie die Dragqueen aus Berlin.

Drei Tage später – und nur vier Tage vor dem Start dem Start der RTL- Dschungelshow am Freitagabend – hat der Sender am Montag einen Kandidatenwechsel angekündigt, der überraschen muss. Nicht, weil sich nun Sam Dylan statt Nina Queer mit Kakerlaken und anderem Ungeziefer herumschlagen muss.

Dylan hat bereits Reality-TV-Erfahrung als Kandidat der Dating-Show „Prince Charming“ und passt damit perfekt ins Sendungskonzept. Vielmehr deswegen, weil RTL im Vorfeld hätte erkennen können, dass die Nominierung von Queer Protest auslösen würde.

„Vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen und unserer Haltung, jegliche Form von Antisemitismus, Rassismus sowie Diskriminierung klar zu verurteilen, können und wollen wir jemanden, der sich selbst ,Hitler-Transe‘ nennt, keine Plattform in einer Unterhaltungssendung bieten“, gab RTL-Geschäftsführer Jörg Graf als Grund für die Ausladung an. „Wir erkennen Nina Queer als Künstlerin an, aber wer öffentlich solche Begrifflichkeiten wählt, ob als bloße Provokation gedacht oder nicht, dem wollen wir konsequenterweise keine Bühne bieten.“

Post von der Anwältin

Nina Queer schreibt dazu in einer Mail an den Tagesspiegel: „Ich bin enttäuscht, dass man ohne Recherche oder Gespräch mit mir diese Entscheidung getroffen hat. Denn nicht nur die Vorwürfe sind falsch, auch ist meine Aussage aus dem Kontext gerissen.“ Ihrer Meinung nach, hat ihre ehemalige Freundin Desiree Nick den Sender gegen sie aufgebracht, indem sie ihn „mit einem Instagram-Posting konfrontierte, in dem steht, ich wäre die ,selbsternannte Hitler-Transe‘ und eine Rassistin.“ Frau Nick werde werde bald Post von ihrer Anwältin bekommen.

RTL ist nicht der einzige Sender, der berechtigte Angst vor einem Shitstorm hat. Aber durch das zögerliche Verhalten im Umgang mit dem Corona-leugnenden Schlagersänger Michael Wendler haben sich die Kölner besonders angreifbar gemacht. Erst nachdem Wendler Deutschland wegen der Anti-Corona- Maßnahmen als „KZ“ bezeichnet hatte, ging der Sender auf Abstand zu Wendler, der in der neuen Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ neben Dieter Bohlen in der Jury saß.

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Dass Wendler später behauptete, er habe „KZ“ als Abkürzung für „Krisen Zentrum“ benutzt, änderte nichts daran, dass er aus allen DSDS-Aufnahmen durch Verpixelung herausgeschnitten wurde. Der Schaden für das RTL-Image war da jedoch längst angerichtet, auch wenn man nun hofft, „die zukünftigen Sendungen handwerklich wieder etwas eleganter ausstrahlen“ zu können.

Nina Queers Aussage wurde in der Tat aus dem Zusammenhang gerissen. Dass sie sich gegenüber dem Tagesspiegel im vergangenen Jahr als „Hitler-Transe“ bezeichnet hatte, war ihre sarkastische Reaktion auf eine Debatte um einen Facebook- Post, den sie 2017 verfasst hatte. Nachdem ein schwules Paar in Neukölln von fünf Jugendlichen angegriffen worden war, schrieb sie über die Täter, die offenbar einen Migrationshintergrund hatten: „Sofort abschieben. Ob in Deutschland geboren oder nicht. Wer Stress haben will, für den lässt sich doch bestimmt ein tolles Kriegsgebiet finden.“

Als das als rassistisch angegriffen wurde, sagte sie, sie habe „unglücklich formuliert“, heute schreibt sie: „Die emotionale Wortwahl des Beitrags kurz nach dem Angriff habe ich bedauert und mich dafür entschuldigt.“ In der queeren Community ist sie jedoch seither höchst umstritten, was man bei einer kurzen Internet-Recherche hätte herausfinden können. Falls dies unterblieben ist oder RTL die Brisanz der Debatte unterschätzte, fragt sich, wie naiv der Sender ist.

Wie schnell ein Shitstorm entsteht, erlebte Ende 2019 der WDR nach dem „Umweltsau“-Video des Kinderchors, der vielfach als üble Form der Altersdiskriminierung gewertet wurde.

Ebenfalls in der Kritik: Marcel Reif

Auch die Diskussion um eine Bemerkung von Marcel Reif zeigt, dass die Nerven in solchen Fragen inzwischen blank liegen. Im Sport-Talk „Doppelpass“ hatte der Bundesliga-Experte in einer Debatte über Spieler von Borussia Dortmund gesagt: „Nach dem Spiel gegen Stuttgart gab’s ja die Herren Reus und Hummels, nicht etwa irgendwelche Jungtürken, sondern schon die Herren, um die es geht, die gesagt haben: ,Pass auf, wir sind eine Mannschaft, die kann nicht verteidigen‘.“

Schwierige Wortwahl. Nach Marcel Reifs Äußerung über "Jungtürken" beim Fußball-Talk "Doppelpass" sah sich Sport 1 dazu veranlasst, den Fußballexperten gegen Rassismus-Vorwürfe zu verteidigen.
Schwierige Wortwahl. Nach Marcel Reifs Äußerung über "Jungtürken" beim Fußball-Talk "Doppelpass" sah sich Sport 1 dazu veranlasst, den Fußballexperten gegen Rassismus-Vorwürfe zu verteidigen.

© dpa

In den sozialen Netzwerken wurde Reifs Bemerkung als rassistisch verurteilt. Das Vergleichsportal Check 24, der Namenssponsor des „Doppelpass“, kündigte daraufhin ein Gespräch mit Sport 1 an. Reif war bereits in der Sendung zurückgerudert, hatte sich von Rassismus distanziert. Sollte er irgendjemandes Gefühle verletzt habe, entschuldige er sich dafür in aller Form. „Mir fehlt aber so ein bisschen die Tiefe des Gedanken“, sagte er.

Sport1-Chefredakteur Pit Gottschalk verteidigte den 71-Jährigen und distanzierte sich im Namen von Sponsor und Sender „von allem rassistischen Gedankengut“. Die Sender werden versuchen, künftig besser früher als zu spät klare Kante zu zeigen. Genauso sicher ist jedoch, dass die Liste verbaler Entgleisungen noch nicht am Ende angelangt ist.

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