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Die Gäste bei Anne Will

© ARD

Annalena Baerbock bei Anne Will: „Nur geworden, weil Sie ´ne Frau sind. Kriegen Sie das noch abgeräumt?“

Die Moderatorin diskutierte mit der Grünen-Politikerin über ihre Kanzlerkandidatur – und die Corona-Notbremse. Hier vermissen Experten den „großen Wurf“.

Von Caroline Fetscher

Beginnt die Ära Baerbock? So hätte Anne Wills Tageslosung lauten können. Zum ersten Mal nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin war die grüne Politikerin Annalena Baerbock zu Gast in Wills ARD-Salon. Das Thema lautete allerdings: „´Bundes-Notbremse´ in Kraft – Durchbruch oder ´Tiefpunkt´ in der Pandemiepolitik?“ Die nervösen Anführungszeichen deuten auf die gegenwärtige Unsicherheit von Medien und Corona-Politik.

Gesellschaftlicher Unmut ist spürbar angesichts der frisch beschlossenen gesetzlichen Regelung, die das Daheimbleiben in den Nächten bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 anordnet und das Schließen der Schulen ab einer Inzidenz von 165. Was Schutzwirkung entfalten soll, stößt auf Bedenken – verfassungsrechtliche, bildungspolitische, ökonomische.

So wurde Baerbock flankiert von Gabriel Felbermayr, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Verfassungsrichterin und frühere Bundesjustizministerin. Auch der Demokratieforscher Wolfgang Merkel war zu Gast, und für die medizinisch-mathematische Expertise die Physikerin Viola Priesemann.

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Zum Auftakt forderte Will ihren prominenten Gast Baerbock separat heraus. Wie wichtig es für die Entscheidung der Grünenspitze gewesen sei, dass sie weiblich ist, fragte Will. Salopp: „Irgendwie steht jetzt doch ganz blöd im Raum, Sie seien´s nur geworden, weil Sie ´ne Frau sind. Kriegen Sie das noch abgeräumt?“

Baerbock ließ sich nicht wirklich irritieren. Man werde den Neuanfang gemeinsam und „nur mit unterschiedlichen Persönlichkeiten“ schaffen. Gefragt seien „Durchsetzungsfähigkeit und Entschlossenheit“, auch „Empathie“, ein „klarer Kompass“. Will stichelte, sie hätte sich „gefreut“, wenn Habeck das Thema Emanzipation „nicht so sehr betont hätte“, als sei das „doch noch nicht normal?“

Doch Baerbock betonte nur, es sei eben einer der beiden einen Schritt vorgetreten, der andere einen Schritt zurück. Habeck habe aber doch, so Will, inzwischen den Blick „auf Ihre Defizite“ gelenkt. Doch Baerbock ließ sich nicht dazu verleiten, den vermiedenen offenen Kampf nachträglich noch auf Wills Sessel anzuzetteln. Der trügerisch samtene Ton der Moderatorin prallte auf den klaren Klang von Baerbocks fester, mitunter fröhlicher Stimmlage.

Sie nahm den Horizont in den Blick, die Großbaustellen der Gesellschaft - Gesundheitssystem, Klimapolitik, Bildungsförderung, Digitalisierung. Mehrmals bohrte Will nach: Welche Chancen „rechnet“ Baerbock sich aus? Auch da war kaum was zu rütteln. „Ich habe großen Respekt und große Demut“, beharrte Baerbock, „vielleicht unterscheidet mich das von anderen, die antreten.“ Schließlich konfrontierte Will die Kandidatin mit grün-radikaler Kritik an den etablierten Grünen, und verhaspelte sich mehrfach beim Wort „Radikalität“. 

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Weiter ging es zum Virus. Hier wünschte sich Gabriel Felbermayr den Einsatz von Milliarden für Corona-Tests um „Schutzräume“ zu schaffen. Er vermisse „den großen Wurf“ bei der Notbremse. Sekundiert wurde seine Position von der zugeschalteten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die liberale Juristin wies auf die verfassungsrechtlichen Probleme der „Notbremse“ hin, auf die Einschränkung der Freiheit. Passioniert verlangte sie Freiheiten für Geimpfte.

Viola Priesemann hielt fest, dass die meisten Infektionen in den Haushalten passieren. Doch dort verbieten sich staatliche Kontrollen. Laut der Physikerin funktioniere das Reduzieren der Kontakte am ehesten durch ein Konzert von Maßnahmen wie Homeoffice, Ausgangssperren und Schulschließungen, und zwar am besten zeitgleich. Weniger sinnvoll sei halbherziges Vorgehen, es fehle derzeit ein klares Ziel und die Rücksicht auf aktualisiertes Wissen.

Politologe fordert „Balance zu den Freiheitsrechten“

Baerbock bedauerte ebenfalls, dass nicht gezielter vorgegangen worden sei – und stützte den Aufruf, Geimpfte den Getesteten gleichzustellen. Die Maskenpflicht müsse gleichwohl bleiben, da man ja niemandem die Impfung ansieht. 

Auf „eine Balance zu den Freiheitsrechten“ setzt Politologe Merkel, auf eine Politik, die die Wirtschaft mitberücksichtige, ohne die ja auch der medizinische Sektor nicht existieren könne. Viola Priesemann mahnte, nur niedrige Inzidenzen helfen beim Kontrollieren der Pandemie: „Alles andere ist ein Durchwurschteln“.  Testzentren müssten dort stehen, wo Leute sich bewegen, etwa am Werkstor, direkt am Arbeitsplatz.

Priesemann goss auch Wasser in den Impf-Wein: Auch Geimpfte könnten eventuell bei einer Infektion mit Mutanten das Virus weitergeben. Vorsicht sei allemal weiter geboten. Minuten nach der Talkshow zeigten die „Tagesthemen“ kaum erträgliche Bilder vom Corona-Desaster in Indien.

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