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Vom Superstar zum Nationalhelden: Nazareno Casero verkörpert das Fußball-Genie Maradona in dessen Zwanzigern.

© Amazon Prime

Amazon-Prime-Serie über Maradona: Hand, Fuß, Herz, Bauch Gottes

Im zehnteiligen Biopic „Maradona: Sueño bendito“ wird der schillerndste Fußballer aller Zeiten zum Opfer der eigenen Göttlichkeit.

Fußballserien, Fernsehzuschauer wissen das spätestens seit Manni, dem Libero, haben ein veritables Besetzungsproblem. Anfang 1982 wusste Tommi Ohrner in der Rolle des wuscheligen ZDF-Nationalspielers schließlich nicht mal genau, mit welchem Körperteil genau man diesen Sport ausübt. 

39 Jahre später schlüpfte Pietro Castellitto so stümperhaft in Francesco Tottis Stürmerschuhe, dass Amazon Prime den römischen Superstar bei der Ballbehandlung wohlweislich nur hüftaufwärts zeigte. Da ließ die Darstellung der vielleicht größten aller Fußball-Legenden Fremdscham befürchten.

[„Maradona: Sueño bendito“, Amazon Prime, ab Freitag]

Diego Armando Maradona Franco, bekanntlich Hand, Fuß, Herz, Bauch Gottes – gespielt von Amateuren? Unmöglich! Dachte sich wohl auch Regisseur Alejandro Aimetta und besetzte den Darsteller seines zehnteiligen Biopics nicht nur nach Ähnlichkeit, sondern Fußballtalent. Wenn wir den gefallenen Engel Argentiniens dabei beobachten, wie er aus einem Slum nahe Buenos Aires in den Fußballhimmel aufsteigt und sich dabei so die Flügel verbrennt, dass er voriges Jahr für alle Ewigkeit dortgeblieben ist, sehen wir also einen Schauspieler, der wirklich kicken kann. Schade, dass Juan Cruz den Dribbelkönig nur als Kind mimen kann – zumindest fußballästhetisch betrachtet.

Vier Lockenköpfe unterschiedlichen Alters

Denn seriendramaturgisch wird Diego Maradona von vier Lockenköpfen unterschiedlicher Altersstufen in Szene gesetzt. Und abseits der sichtbaren Tatsache, dass nur der jüngste Ballgefühl hat, machen das auch die anderen drei äußerst glaubwürdig: Nicolás Goldschmidt spielt ihn als Teenager, der es vom Bolzplatz zum Superstar schafft. Nazareno Casero als Twentysomething, der es vom Superstar zum Nationalhelden bringt. Juan Palomino als juvenilen Greis, der mit dem Erbe seiner Erhabenheit ringt. Im ständigen Wechsel interpretieren sie das Dasein Maradonas so kreativ wie möglich und so plausibel wie nötig, um ihm ein fiktionales Denkmal zu errichten.

Ein allzu menschliches Monument, das zugleich majestätisch und profan, göttlich und irdisch, vollgekackt und strahlend war. Der eigentliche Hauptdarsteller von „Maradona: Sueño bendito“ ist deshalb selbst in Abwesenheit das Original, weshalb es im Grunde kaum der Drehbuchvorlagen von Alejandro Aimetta mit Guillermo Salmerón und Silvina Olschansky („El Marginal“) bedurft hätte. Ihre Erzählung, so präzise sie das melodramatisch Divenhafte auch schildert, kommt der leibhaftigen Rampenlichtgestalt vermutlich nicht mal nahe.

Umso mehr ist den Machern zu danken, dass sie keinerlei Heldenkult betreiben, sondern dessen Begleitumstände im Blick haben – private, vor allem aber politische. Die Nebenhauptrollen an Maradonas Seite spielen daher weder Diegos erste (Laura Esquivel) und letzte (Julieta Cardinali) Liebe Claudia noch sein väterlicher Freund (Leonardo Sbaraglia) und späterer Manager (Jean Pierre Noher) Guillermo Coppola; abseits vom Werdegang der Titelfigur drehen sich die zehn Teile im ersten Drittel um Argentiniens Militärdiktatur, im zweiten um den frühen Fußballkapitalismus und im dritten darum, wie er selbst jene zerstört, die davon profitieren.

So amüsant Amazon das bettelarme Megatalent zum ersten Fußballmultimillionär also aufsteigen lässt, so relevant wird die Milieustudie erst dadurch, dass sich in Maradonas Palastfenstern permanent der Dreck seiner Herkunft spiegelt.

Und die Junta lässt demonstrierende Mütter verprügeln

Während der kleine Diego auf staubiger Ghettoerde Mitspieler vernascht, wäscht Mama im Blechtrog sein Trikot. Während General Videla den mittleren Diego zur Audienz bittet, prügeln die Schergen des barbarischen Diktators demonstrierende Mütter vom berühmten Plaza de Mayo. Und während der große Diego für horrende Transfersummen von Barcelona nach Neapel wechselt, kämpft der alte Diego aufgedunsen und zugekokst ums nackte Überleben.

Würde sich irgendjemand diese vier Leben für ein unterhaltsames Porträt wie dieses hier bloß ausdenken – es erschiene den meisten wohl schlicht zu bizarr, um plausibel zu sein. „Maradona: Sueño bendito“ aber gelingt es zehn Teile lang, ein fiktionales Märchen von so bizarrem Realismus zu erzählen, dass am Ende niemand mehr weiß, was Wahrheit ist, was Dichtung. Wobei: Das wusste vermutlich nicht mal der große kleine Diego Armando Maradona selbst.

Jan Freitag

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