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Rund 120 Geflüchtete aus der Ukraine vor dem Hostel "Generator". 

© Robert Klages

Update

„Warum sollen sie nun gehen?“: 120 Ukrainer sollen Berlin verlassen – aber steigen nicht in den Bus

Der Senat will Geflüchtete aus einem Hostel in andere Städte verlegen. Die CDU ist empört: Die Betroffenen seien seit Wochen im Bezirk Lichtenberg eingebunden.

Der Berliner Senat ist am Montag mit dem Versuch gescheitert, Geflüchtete aus einem Hostel abzuholen, um sie auf andere Städte zu verteilen. Fast 120 Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine mussten am Morgen das Hostel "Generator" an der Grenze zwischen den Bezirken Lichtenberg und Pankow verlassen. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schickte einen BVG-Bus und Übersetzer. Doch die Geflüchteten stiegen nicht ein.

Stattdessen machten sie sich auf den Weg zum Saal einer freikirchlichen Gemeinde in der Allee der Kosmonauten – mit einem von der Kirche gemieteten Wagen, regulären Bussen und Bahnen und einige auch zu Fuß. Die Gemeinde will sie in ihrem Saal aufnehmen.

Die Menschen kommen aus verschiedenen Städten und Dörfern in der Ukraine und sind durch ihre freikirchliche Gemeinde miteinander verbunden. "Wir kennen uns hier alle und fühlen uns wohl. Die Gemeinde in Lichtenberg kümmert sich um uns. Wir haben auch schon Arbeit gefunden, warten aber noch auf die Dokumente vom Amt", sagt Viktoria Katnova, die mit ihrer Familie aus Kiew geflüchtet ist.

Diese ukrainische Familie würde gerne in Berlin bleiben. 
Diese ukrainische Familie würde gerne in Berlin bleiben. 

© Robert Klages

Sie wollen nicht in den Bus steigen, weil sie nicht wüssten, was dann mit ihnen passiert und wo man sie hinbringen würde. "Auf jeden Fall werden wir nicht mitfahren. Wir wollen hier bleiben, in Berlin." 

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LAF will die Geflüchteten zur Umverteilung nach Tegel bringen

Nach dem Willen des LAF hätten die Ukrainer zum Ankunftszentrum am alten Flughafen Tegel gebracht werden sollen, um sie von dort weiterzuschicken. Die Verteilung von Geflüchteten, die in Berlin keinen Wohnraum für sechs Wochen nachweisen können, erfolgt bundesweit: „Wir wissen im Vorfeld nicht, in welche Richtung es geht. Das kann Regensburg oder Stuttgart, aber auch Düsseldorf sein“, sagte ein Sprecher des LAF.

„Viele der Geflüchteten sagen selbst, dass sie möglichst schnell arbeiten möchten – was aufgrund des Aufenthaltstitels als Kriegsflüchtling auch problemlos möglich ist. Viele Menschen, die derzeit Berlin erreichen, sind die Möglichkeiten in anderen Teilen des Bundes aber nicht bekannt – Berlin gilt daher vielen Flüchtlingen als Ort, auf den sich die Wünsche und Hoffnungen fokussieren."

Derzeit seien sie nur auf Basis des visumsfreien 90-tägigen Aufenthalts für Ukrainer in Berlin.

Nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel sollen fünf Prozent der nach Deutschland Geflüchteten in Berlin bleiben. Die Übrigen müssen demnach auf die anderen Bundesländer verteilt werden. Ausnahmen gibt es nur für Ukrainer, die eine dauerhafte Unterkunft oder direkte Verwandte in Berlin haben.

Lehrer, Studierende und eine Mikrobiologin

Laut Moritz Maier, einem Vertreter des Hilfsvereins der Kirchengemeinde, haben die Geflüchteten aus dem Hostel teilweise Abschlüsse: Unter ihnen seien Lehrer, Studierende und eine Mikrobiologin. 

Solche Verteilaktionen hatte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in Absprache mit der zuständigen Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) in den vergangenen Wochen angekündigt. Die CDU in Lichtenberg kritisierte den rot-grün-roten Senat wegen dessen vermeintlicher Kälte ukrainischen Flüchtlingen gegenüber.

Petitionsausschuss stimmte für den Verbleib der Ukrainer

Die Christdemokraten sind empört, weil die betroffenen Ukrainer in Berlin schon vernetzt seien, sagte CDU-Vizekreischef Danny Freymark. Die Lichtenberger Freikirche sei zudem die Partnergemeinde jener Kirche, der viele der Ukrainer schon in ihrer Heimat angehörten.

Leerfahrt. Dieser Bus sollte die Flüchtlinge aufnehmen und zum Ankunftszentrum Tegel bringen. Doch sie wollten nicht mitfahren.
Leerfahrt. Dieser Bus sollte die Flüchtlinge aufnehmen und zum Ankunftszentrum Tegel bringen. Doch sie wollten nicht mitfahren.

© Robert Klages

"Das Verhalten der Senatsverwaltung macht mich wütend. Gegen ihren ausdrücklichen Willen sollen fast 120 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer trotz wochenlangen Aufenthalts in Berlin-Lichtenberg und guter Einbindung über die örtliche Freikirche nun die Stadt verlassen müssen", sagte Freymark, der auch Mitglied des Abgeordnetenhauses ist.

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Es würden doch noch so viele Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet erwartet, dass sich die Unterkünfte in anderen Bundesländern ohnehin rasch füllten, gibt Freymark zu bedenken: "Die Betroffenen leben seit zwei, drei Wochen in Lichtenberg, sie haben sich im Alltag eingerichtet, sind über Kirche und Vereine vernetzt und im Sozialamt angemeldet. Einige dürften bald Jobs haben – warum sollen sie nun gehen?"

Danny Freymark (links), CDU-Abgeordneter, und Moritz Maier, Vertreter des Hilfsvereins und der Kirchengemeinde. 
Danny Freymark (links), CDU-Abgeordneter, und Moritz Maier, Vertreter des Hilfsvereins und der Kirchengemeinde. 

© Robert Klages

In einem Interview in der rbb-Abendschau am Montagabend verteidigte Kipping die Verteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer allgemein, es sei eine Entscheidung zum Wohl dieser Menschen. „Man kann nicht nur eine Entscheidung treffen, die jetzt heute moralisch funktioniert, sondern die muss auch noch in vier Jahren eine gute Entscheidung sein“, sagte die Linken-Politikerin. „In dem Moment, wo es eine Registrierung als Kriegsflüchtling gibt, gibt es natürlich auch eine bundesweite Verteilung. Und das ist auch im Sinne der Geflüchteten.“

Eine überwiegende Mehrheit der ankommenden Menschen entscheide sich zunächst für die Bundeshauptstadt. Entscheidend sei aber nicht nur, die nächsten Wochen gut zu bewältigen und Übergangslösungen für die Menschen hier zu finden, sagte Kipping.

Von gutem Wohnraum über Kitaplätze und Plätzen im Seniorenheim müsse ihnen mittelfristig schließlich vieles zur Verfügung stehen. In vielen Bundesländern und Städten gebe es „richtig gute Möglichkeiten“, betonte Kipping. „Wir wollen ja, dass die Menschen wirklich gute Integrationsangebote bekommen.“

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist innerhalb Deutschlands vor allem Berlin zum Ziel für Flüchtlinge geworden. Zuletzt kamen täglich bis zu 10.000 Ukrainer in der Hauptstadt an, oft Frauen und Kinder.

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Senatschefin Giffey hatte dazu gesagt, Berlin bemühe sich, alle unterzubringen. Aber auch andere Bundesländer müssten sich daran beteiligen, bald massenhaft Flüchtlinge zu versorgen.

"Wir haben über den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses vorgeschlagen, dass die 120 Betroffenen in Berlin registriert werden und so ihr Aufenthalt dauerhaft gesichert ist", sagte Freymark zuvor. "Der Petitionsausschuss hatte diesem Anliegen über alle Parteigrenzen hinweg zugestimmt." Folgen hatte das bislang keine. (mit dpa)

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