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Bei Rot-Rot-Grün sind die Würfel wohl gefallen.

© imago images / Torsten Becker

„Verantwortungslos“, „Foulspiel“, „Stinkefinger“: Rot-Rot-Grün in Berlin streitet kurz vor der Wahl um Posten und Gesetze

Monatelange Verhandlungen über das Transparenzgesetz und zwei hohe Posten in der Stadt sind wohl endgültig gescheitert. Die Hintergründe des Koalitions-Zoffs.

Kurz vor Ende der Legislaturperiode und fünf Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl hat sich die rot-rot-grüne Koalition noch ein folgenschweres politisches Gefecht geleistet. Es geht um zwei hoch dotierte Verwaltungsposten: das Amt der Datenschutzbeauftragten und das des Polizeibeauftragten – sowie das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Transparenzgesetz. Es steht der Vorwurf der parteipolitischen Instrumentalisierung eines Amtes im Raum – und die Aufkündigung des kollegialen Miteinanders aus politischem Kalkül.

Am Dienstagabend sind monatelange Verhandlungen über die Besetzung der Stellen und die Inhalte des Gesetzes wohl endgültig gescheitert. Die SPD-Fraktion lehnte einen Vorschlag von Grünen und Linken ab. Das wichtige Amt der Datenschutzbeauftragten wird damit aller Voraussicht nach ab dem 1. Oktober nicht mehr besetzt sein, die bisherige Amtsinhaberin Maja Smoltczyk scheidet dann aus. Auch einen Polizeibeauftragten, ein im Koalitionsvertrag geregeltes Lieblingsprojekt von Grünen und Linken, gibt es dann erst in der nächsten Wahlperiode.

Grüne und Linke werfen der SPD nun vor, die Besetzung der beiden Posten aus wahltaktischen Gründen zu blockieren. Die Sozialdemokraten sprechen im Gegenzug von einem schweren Foulspiel, das die Koalitionspartner versucht hätten.

Bereits Mitte Dezember 2020 war das Gesetz über den Bürger- und Polizeibeauftragten in Kraft getreten, im Januar soll sich die Koalition nach einem SPD-Vorschlag auf einen Richter vom Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg geeinigt haben, der dort auch für Polizeirecht zuständig war. Es sei keine parteipolitische Personalentscheidung gewesen, hieß es, sondern eine fachliche für den Posten, der nach Besoldungsstufe 5, also mit knapp 9500 Euro im Monat, vergütet wird.

Allerdings wurde die Personalie auch mit dem Transparenzgesetz und am Ende auch mit der Nachfolge von Maja Smoltczyk als Datenschutzbeauftragter verknüpft - ein Paket. Smoltczyks Amtszeit endete bereits im Januar, bis maximal Ende September darf sie noch kommissarisch im Amt sein. Trotz einer B5-Vergütung war von den teils namhaften Favoriten, die auf der Liste der Koalition standen, niemand bereit, den Posten zu übernehmen – oder, heißt es aus den Reihen der Grünen, er wurde von der SPD abgelehnt.

Maja Smoltczyk ist seit Ende Januar 2016 Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Maja Smoltczyk ist seit Ende Januar 2016 Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.

© Foto: Mike Wolff

Parallel liefen seit Monaten Verhandlungen zum Transparenzgesetz. Der Senatsentwurf stammt aus dem Dezember, er regelt den „Zugang zu den bei der Verwaltung vorhandenen Informationen“. Linken und Grünen geht der Entwurf nicht weit genug, die SPD war dem Vernehmen nach zu Korrekturen bereit. Vor der Sommerpause sollen die Gespräche ins Stocken geraten sein.

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In der vergangenen Woche dann hätten Grüne und Linke Änderungsvorschläge gemacht, die für die SPD nicht tragbar waren – etwa wegen rechtlicher Bedenken beim Steuergeheimnis und Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit. Und die SPD wollte die von Grünen und Linken geforderte Streichung der Ausnahmeregeln für Bildung und Wissenschaft am Ende nicht mitmachen, weil SPD-geführte Senatsverwaltungen dagegen waren.

Grüne und Linke halten das alles für vorgeschoben und beklagen: Das bisherige Transparenzgesetz aus der Senatsfeder sei im Vergleich zum bisherigen Informationsfreiheitsgesetz sogar ein Rückschritt, die Vorgänge rund um das Plagiatsverfahren von SPD-Landeschefin Franziska Giffey an der Freien Universität hätten damit nicht publik gemacht werden können. Grüne und Linke setzen jetzt auf das Volksbegehren für ein neues Transparenzgesetz, das am Dienstag im Senat für zulässig erklärt worden sei.

SPD warnt vor Postenvergabe nach Parteibuch

Die Sozialdemokraten störten sich zuletzt wiederum daran, dass Grüne und Linke im Gesetz zugleich und damit durch die Hintertür eine bessere Ausstattung der Datenschutzbeauftragten und mehr Beteiligungsrechte für das Amt regeln wollten.

Und den Personalvorschlag der Grünen wertet die SPD-Fraktion als Versuch, vor der Wahl noch Getreue auf entscheidenden Posten unterzubringen. Denn schlussendlich schlugen die Grünen keine ausgewiesene Datenschutzexpertin und keine Juristin als Kandidatin für das Amt vor, sondern die ehemalige Grünen-Abgeordnete Anja Schillhaneck.

Anja Schillhaneck von den Grünen legt Ende Juli ihre Tätigkeiten im Abgeordnetenhaus nieder.
Anja Schillhaneck von den Grünen legt Ende Juli ihre Tätigkeiten im Abgeordnetenhaus nieder.

© picture alliance / dpa

Schillhaneck, die vor wenigen Tagen 47 Jahre alt geworden ist, hatte im Juni 2019 nach zwölf Jahren als Abgeordnete ihr Mandat niedergelegt: „Aus rein persönlichen Gründen. Jetzt ist ein Stück weit die Luft raus und ich bin eine Freundin von Konsequenz“, hatte sie gesagt. Sie war in der Grünen-Fraktion Finanzexpertin, Fraktionsvize, eine Legislatur Vizepräsidentin des Parlaments.

Die SPD-Fraktion wolle wenige Wochen vor der Wahl keine politischen Stellenbesetzungen solch wichtiger Ämter mehr vornehmen, hieß es. „Bundesweit kritisieren die Grünen politische Stellenbesetzungen mit erhobenem Zeigefinger, insbesondere kurz vor Wahlen. Hier fordern sie genau das“, sagte SPD-Fraktionschef Read Saleh am Mittwoch zum Grünen-Vorschlag für die Datenschutzbeauftragte. „Diesen Widerspruch zwischen behauptetem Anspruch und tatsächlichem Verhalten versteht niemand in der Bevölkerung.“

Linke und Grüne sind verägert und pochen auf Koalitionsvertrag

Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek kritisierte hingegen: „Wir sind einiges von der SPD gewohnt, aber das ist keine Form von verantwortungsvollem Umgang – ich bin vor allem befremdet über den Umgang mit Dritten“, sagte sie. Kapek spielte damit darauf an, dass die Namen der Vorgeschlagenen öffentlich geworden sind, denn in solchen Verhandlungen gilt zwischen Koalitionspartnern strenge Vertraulichkeit.

Die Suche nach einer neuen Datenschutzbeauftragten habe sich von Anfang an schwierig gestaltet, sagte Kapek. „Aber wir wollten immer eine Lösung finden. Wir müssen als Koalition handlungsfähig bleiben.“

Linke-Innenexperte Niklas Schrader erklärte, die SPD-Fraktion verhindere die Wahl des Polizeibeauftragten. "Damit zeigt sie allen den Stinkefinger, die lange auf dieses gemeinsame R2G-Projekt gewartet haben. Klarer kann man nicht ausdrücken, dass man lieber mit CDU und FDP regieren will."

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Gerade mit Blick auf Gewaltvorwürfe gegen Polizisten und rechtsextreme Chatgruppen von Beamten wäre es sehr sinnvoll, "wenn es eine Instanz gäbe, an die sich Polizisten auch außerhalb ihrer Dienstzeit wenden könnten", sagte Schrader. "Wir brauchen diese unabhängige Stelle dringend."

Zum Verhandlungspaket mit Spitzenposten und Transparenzgesetz erklärte er: "Wie drängen auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages in mehreren Punkten, die noch abgeschlossen werden müssen." Aber nicht mal das sei mit der SPD mehr zu machen.

SPD-Innenexperte Frank Zimmermann entgegnete: "Wir wollen den Beauftragten und haben ein Dreivierteljahr gewartet. So lange liegt unser Vorschlag auf dem Tisch." Und SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier erklärte, Linke und Grüne wollten die Wahl des Polizeibeauftragten nur mit Gegenleistung.

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Am Mittwochnachmittag tagte auch der Koalitionsausschuss, in dem solche Streitfragen geklärt werden sollen, zu dem Thema. Ein Ergebnis gab es nicht. Die SPD bleibt bei ihrer Ablehnung. Linke und Grüne erwarten nun einen Zeitplan.

Ab Oktober hat Berlin keine Datenschutzbeauftragte mehr. Weil erst im November wieder Plenarsitzungen beginnen, ist eine Neubesetzung nach der Wahl frühestens im Dezember möglich.

Und einen Bürger- und Polizeibeauftragten, der für das Abgeordnetenhaus die Behörden kontrollieren und das Handeln der Mitarbeiter überprüfen soll, wird es ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht geben.

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