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Die Unfallswracks in der Grunerstraße in Berlin-Mitte.

© imago/Olaf Selchow

Update

Gericht gibt getöteter Fabien Martini Mitschuld: Geldstrafe statt Bewährung für den Polizisten Peter G.

Fabien Martini starb Ende Januar 2018, ein Polizeiwagen hatte ihr Auto gerammt. Der Beamte Peter G. bekam vor dem Landgericht nun ein deutlich milderes Urteil.

Der angeklagte Hauptkommissar blieb regungslos, die Eltern von Fabien Martini auf der Bank der Nebenkläger reagierten fassungslos: Fast vier Jahre nach dem Unfalltod von Fabien Martini hat das Landgericht Berlin am Dienstag den Polizisten Peter G. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, es wurden 150 Tagessätze zu 86 Euro verhängt, das sind insgesamt 12.900 Euro.

Damit blieb das Landgericht deutlich unter dem in erster Instanz verhängten Strafmaß, es hob die vom Amtsgericht Tiergarten verhängte Strafe auf und senkte sie ab. Die Berufung der Verteidigung von G. hatte teils Erfolg, ansonsten lehnte das Landgericht die Berufungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gegen das Urteil der ersten Instanz ab.

Der 54-jährige G. war im Dezember 2020 vom Amtsgericht zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten hatten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft und Nebenklage Berufung eingelegt. Seit September prüfte das Landgericht den Fall.

Fabien Martini wurde 21 Jahre alt. Sie starb am 29. Januar 2018. Peter G. war kurz nach Mittag im Streifenwagen mit einem Kollegen zu einem Einsatz wegen eines gemeldeten Raubes unterwegs – mit Blaulicht und Martinshorn. Ein Fehlalarm, wie sich später herausstellte. 

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Mit Tempo 130 ging es laut Ermittlungen durch den Tunnel in der Grunerstraße in Mitte in Richtung Potsdamer Platz. Dann sah G. den weißen Renault von Fabien Martini, bremste. Sie war mit ihrem Auto langsam von der mittleren Spur nach links zum Parken auf die Mittelinsel abgebogen. Mit einer Geschwindigkeit von 91 Stundenkilometern raste er seitlich in den Kleinwagen der Frau.

„Bei der Situation wären höchstens 80 Stundenkilometer zulässig gewesen“, urteilte nun das Landgericht. Doch die grundsätzliche Frage, wie schnell ein Einsatzfahrzeug fahren dürfe, könne das Gericht nicht klären. Ein Einzelfall sei zu prüfen. Und Peter G., der ortskundig war, hätte damit rechnen müssen, dass sich in dem Bereich Fahrzeuge auf der Suche nach Parkplätzen befinden könnten. Er habe aber auch darauf vertrauen dürfen, dass Fabien Martini weiter geradeaus fährt.

Gericht: Martini hätte mit Schulterblick Polizeiwagen sehen müssen

Anders als die Vorinstanz ging das Berufungsgericht von einem Mitverschulden der jungen Autofahrerin aus, die sich verkehrswidrig verhalten haben. Sie hätte „mit Schulterblick den Funkwagen sehen müssen und reagieren können“, hieß es.

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Nicht von einer groben, sondern von einer „mittleren Fahrlässigkeit“ gehe das Gericht aus, begründete der Vorsitzende Richter. Es sei berücksichtigt worden, dass es keine gesetzliche Regelung einer Höchstgeschwindigkeit für Einsatzfahrten unter Nutzung von Sonder- und Wegerechten gebe. Wegen der fehlenden Regelung „musste es dem Angeklagten nicht zwingend einleuchten, dass er viel zu schnell war“. Zudem würden Einsatzfahrten unter hohem Stress verlaufen. Auch das sei zu bedenken.

Eine Revision ist möglich - Richter kritisieren Ermittlungen

Ob die Eltern von Fabien Martini nach dem Urteil zur Ruhe kommen, ist mehr als fraglich. Eine Revision, bei der das Kammergericht das Urteil auf Rechtsfehler geprüft wird, ist möglich. Für die Eltern ist klar: Peter G. muss betrunken gewesen sein – und nach dem Unfall hätten seine Kollegen alles vertuscht. In einer nach dem Unfall in der Charité genommenen Blutprobe war Alkohol festgestellt worden. Bekannt wurde das erst Monate später.

Die Richter kritisierten zwar, dass es am Unfallort teils zu einer „chaotischen Bearbeitung“ gekommen sei und sich Polizisten nicht an die eigene Geschäftsordnung gehalten hätten. So wäre es nötig gewesen, eine eventuelle Alkoholisierung unmittelbar zu prüfen. „Gleichwohl gibt es keine Anhaltspunkte für eine Verschleierung“, sagte der Vorsitzende Richter.

Und es habe keine Hinweise auf eine Alkoholisierung gegeben, die eine Blutprobe gerechtfertigt hätten. Mehrere Zeugen hätten keinen Alkoholgeruch wahrgenommen. G. habe laut Unfallgutachter „schnell und gut“ – ohne alkoholbedingte Verzögerung – reagiert. Die Patientenakte könne nicht als Beweis dienen, die Beschlagnahme auf Betreiben der Staatsanwaltschaft sei rechtswidrig und ein grober Verstoß gegen die Strafprozessordnung gewesen.

Vater der Getöteten ist nach dem Urteil aufgebracht

Im Prozess stellten die Eltern als Nebenkläger stets ein Foto ihrer Tochter auf den Tisch. G. bekam wegen Drohungen durch den Vater von Fabien in den sozialen Medien sogar Polizeischutz für die Prozesstage. In der Verhandlung vor dem Landgericht stellten seine Anwälte Strafanzeige wegen Beleidigung.

Aufgebracht rief der Vater von Fabien nach dem Urteil: „Wir tun alles dafür, dass er in den Knast kommt!“ Das Urteil sei ein Skandal. Wie im ersten Prozess schwieg G. „Es gibt nur Verlierer in diesem Verfahren, das war klar“, sagte der Anwalt des Beamten, Jens Grygier. G. sei psychisch am Ende. „Ihn werden die schicksalhaften Folgen ebenso für den Rest seines Lebens begleiten wie Familie Martini.“

Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.
Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.

© Stefan Jacobs

Die Nebenklageanwälte hatten wie in erster Instanz eine Gefängnisstrafe von vier Jahren gefordert. Es sei einseitig gegen das Opfer ermittelt und die Fahrtauglichkeit des Angeklagten hinsichtlich einer alkoholischen Beeinflussung nach dem Unfall nicht „gerichtsfest festgestellt worden“. Ermittlungen seien nicht sachgerecht geführt worden.

Dass ausgerechnet Zweifel an der Unfallaufnahme durch die Polizei dann zulasten eines Angeklagten – entgegen dem Prinzip des Rechtsstaates – gehen sollen, ist nur eines der bemerkenswerten Details im Vorgehen der Nebenklage. Denn Zweifel an der Schuld müssen per se entlastend wirken im Rechtsstaat. Was nicht für den Schuldnachweis unternommen wurde, kann dem Angeklagten nicht vorgeworfen werden. Hinzu kommt: Hinweise und Beweise für eine Vertuschung durch Polizeibeamte zugunsten von Peter G. gibt es nicht.

Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor.
Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor.

© Paul Zinken/dpa

Auch die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Antrag für die Berufung gegen das Urteil der ersten Instanz gefordert, G. nicht nur wegen fahrlässiger Tötung, sondern auch wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkohol am Steuer zu verurteilen. Dabei wusste es die Staatsanwaltschaft besser.

Denn bereits das Amtsgericht hatte beim Alkoholverdacht bereits eine rote Linie gezogen: Demnach darf das Protokoll der Notaufnahme der Charité, in dem nach dem Unfall ein Blutalkoholwert von einem Promille vermerkt war, nicht verwertet werden. Allein schon die Beschlagnahme der Patientenakte durch die Staatsanwaltschaft war rechtswidrig.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall Peter G.

Und auch das Landgericht legte sich fest: Es bestehe ein Verwertungsverbot, zumal der Unfallgutachter bei der Analyse der Reaktionszeiten keinerlei Hinweise auf einen alkoholbedingten Fahrfehler fand. Auch habe es auch am Unfallort keine Hinweise auf Alkohol gegeben, die eine Blutprobe gerechtfertigt hätten. 

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So konnte etwa ein Zeuge, der gemeinsam mit G. nach dem Unfall versucht hatte, Fabien zu helfen, nichts feststellen. G. und der Zeuge kamen sich damals ziemlich nahe. Der Zeuge berichtete, dass sein Vater Alkoholiker gewesen sei und er sehr gut rieche, ob jemand Alkohol getrunken habe.

Staatsanwältin: Kein Beweis für Alkohol am Steuer

Die Staatsanwaltschaft wiederholte in ihrem Plädoyer ihren Antrag aus erster Instanz und verlangte ein Jahr und zwei Monate Haft auf Bewährung - wegen fahrlässiger Tötung. Die Staatsanwältin erklärte dann aber auch, ein Tatnachweis, dass Alkohol am Steuer eine Rolle gespielt habe, konnte nicht geführt werden.

Auf Freispruch hatte die Verteidigung im Berufungsprozess plädiert. Wie im ersten Prozess schwieg G. Er sei durch den Unfall und die Folgen gezeichnet, sagten seine Anwälte – „ein psychisches Wrack“. Auch im Schlusswort hat sich G. nicht persönlich geäußert, er schloss sich den Ausführungen seiner Anwälte an. Die hatten erklärt: Der Unfall tue G. „unendlich leid“.

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