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Der Bereich an der Invalidenstraße, an dem der schwere Unfall mit einem SUV und mehreren Toten passierte.

© Kai-Uwe Heinrich

Tödlicher Unfall an Berliner Invalidenstraße: Gedenkort für die Opfer kommt frühestens 2022

Das Bezirksamt Mitte hat erst nächstes Jahr finanzielle Mittel, einen Erinnerungsort umzusetzen. Derweil läuft das Projekt, um den Verkehr im Kiez zu beruhigen.

Der Unfall auf der Invalidenstraße vor zwei Jahren erschütterte Menschen, erregte Aufsehen über die Grenzen Berlins hinaus: Vier Menschen starben, darunter ein dreijähriger Junge und seine Großmutter, als ein SUV-Fahrer am 6. September 2019 auf den Gehweg raste. Bereits im vergangenen Jahr kündigte die zuständige Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Bündnis 90/Die Grünen) an, zur Erinnerung an die Opfer ein Gedenkzeichen am Unfallort schaffen zu wollen – doch bis es so weit ist, wird es noch dauern.

Danach gefragt, sagt das Bezirksamt, dass das Geld für die Umsetzung „frühestens ab 2022 im Haushaltsplan vorgesehen“ sei. Man halte daran fest, einen Erinnerungsort für die Opfer des Unfalls zu schaffen. Mit einem künstlerischen Wettbewerb soll ermittelt werden, wie der Gedenkort genau aussehen soll. Ursprünglich war geplant, den Wettbewerb im laufenden Jahr auszuschreiben.

Während dieser Plan also bis nächstes Jahr auf Eis zu liegen scheint, geht ein anderer langsam voran: der Plan, den Verkehr in und um die Invalidenstraße langfristig zu verändern und zu beruhigen. Nach dem Unfall hatte sich unter Engagement des Anwohners Julian Kopmann eine Nachbarschaftsinitiative gegründet, die sich mit einer Petition für die Verkehrsberuhigung im Kiez einsetzte.

Inzwischen gilt in der Invalidenstraße Tempo 30. Auch ein mit Pollern geschützter Radweg wurde fertiggestellt. Dabei allein soll es aber nicht bleiben: Ein Modellprojekt, das zunächst von der Senatsverkehrsverwaltung und dem Bezirk Mitte abgesagt wurde, ist im Juni doch gestartet. Forscher und Studierende der Technischen Universität Berlin (TU), der Bezirk und die Verkehrsverwaltung entwickeln dabei gemeinsam ein neues Konzept zur Umgestaltung der Straße und des umliegenden Kiezes.

Wechselseitige Rücksichtnahme aller in der Invalidenstraße?

Das Projekt „Modellkiez Invalidenstraße“ wird federführend von Oliver Schwedes, Professor für Integrierte Verkehrsplanung an der TU, und seiner Mitarbeiterin Vanessa Rösner betreut. „Ziel ist es, mit den Anwohnern im Kiez ein Nahmobilitätskonzept mit Fokus auf den Rad- und Fußverkehr zu entwickeln“, sagt Schwedes.

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Seit dem ersten Treffen im Juni habe man sich im Viertel bekannt gemacht und bereits mit vielen Anwohnern und Akteuren gesprochen. Es ginge darum, die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen zu ermitteln. Die Forscher rund um Schwedes möchten auch untersuchen, an welchen Stellen die Verkehrsberuhigung, die in den 1990er Jahren bereits im Kiez umgesetzt wurde, nachgebessert werden sollte.

Die Invalidenstraße im April 2021 mit Tempo-30-Schild und abgegrenztem Fahrradweg.
Die Invalidenstraße im April 2021 mit Tempo-30-Schild und abgegrenztem Fahrradweg.

© Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz

Außerdem gibt es Überlegungen, den Durchgangsverkehr herunterzufahren, etwa mithilfe sogenannter Diagonalsperren. Mit diesen Sperren werden Straßen diagonal abgesperrt und direkte Fahrtwege für Autos verhindert. Auch die Schulwegsicherung für Kinder soll eine große Rolle bei den Plänen spielen.

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Für die Invalidenstraße selbst gibt es bereits viele Ideen: Schwedes kann sich etwa die Einrichtung von Begegnungszonen gut vorstellen. Dort hätten alle Verkehrsteilnehmer die gleichen Rechte: Für Autos und Fahrräder würde Schrittgeschwindigkeit gelten, alle kommunizierten über Augenkontakt miteinander, die Gehwege könnten abgesenkt werden. „So würde man wechselseitige Rücksichtnahme tatsächlich praktizieren“, sagt Schwedes. Doch das Beispiel Friedrichstraße zeige, dass eine Gewöhnung an solche neuen Konzepte Zeit brauche und anfangs auch zu Konflikten führen könne.

Studierende erarbeiten Konzepte

Weitere Ideen werden aktuell von Studierenden der TU erarbeitet; im Oktober werden sie ihre Konzepte vorstellen. „Der Entwurf der Studierenden soll als Einstieg in einen intensiven Diskussionsprozess mit den Bürger*innen am Ort genutzt werden“, erklärt dazu auch die Senatsverkehrsverwaltung.

Bis es zu einer Umsetzung kommt, dauert es aber noch. Erst wenn sich die Forschungsgruppe breit über Wünsche und Bedarfe der Betroffenen informiert hat, wird es zu einem mehrteiligen Beteiligungsverfahren kommen, an dem am Ende ein konkreter Vorschlag gemacht wird. Damit kann im Sommer 2023 gerechnet werden – das Projekt ist auf zwei Jahre angesetzt. Erst danach würden etwaige Umbauarbeiten beginnen.

Während an der Umgestaltung der Verkehrszonen gearbeitet wird, sind die Umstände des Unfalls von 2019 immer noch nicht gänzlich geklärt. Die Staatsanwaltschaft hat im vergangenen März Anklage gegen den SUV-Fahrer wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs vor dem Landgericht Berlin erhoben. Ein Pressesprecher erklärte am Freitag, dass die Hauptverhandlung in dem Verfahren am 27. Oktober beginnen werde.

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