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Die Humboldt-Universität.

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Update

Proteste an Berliner Humboldt-Universität bleiben aus: Biologin Vollbrecht holt umstrittenen Vortrag zu Geschlechtern nach

Vor Beginn des Vortrags wurde über die Beantwortung von Fragen gestritten. „Wissenschaftliche Fragen müssen erlaubt sein“, kritisierte eine HU-Professorin.

Ohne große Proteste hat die HU-Biologin Marie-Luise Vollbrecht am Donnerstagnachmittag ihren bei der Langen Nacht der Wissenschaften abgesagten Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit nachgeholt.

Im fast vollbesetzten Saal wurde Vollbrecht mit kräftigen Applaus und Gejohle begrüßt. Sie sagte, es bedeute ihr etwas, dass sie die Chance habe, den Vortrag zu wiederholen. Auch der Medienandrang war groß, mit mehreren Kamerateams im Saal.

Schon vor Beginn hatte es am Rande des Podiums einen kleinen Disput zwischen Vollbrecht und der HU-Geschichtsprofessorin Gabriele Metzler gegeben, warum Vollbrecht nach dem Vortrag vor Ort keine Fragen beantworten wolle. Die beiden gingen sichtlich verärgert auseinander. Metzler sagte direkt danach dem Tagesspiegel: „Ich verstehe, wenn sie keine politischen Fragen beantworten will. Aber wissenschaftliche Fragen zu einem wissenschaftlichen Vortrag müssen erlaubt sein. Sonst sind wir keine Universität.“

Vollbrecht bestätigte zu Beginn des Vortrags, keine Fragen im Saal beantworten zu wollen. Sie werde das aber ab 19.30 auf YouTube und auf Twitter machen.

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Vor dem Vortrag der Biologin blieb es vor der Humboldt-Universität ruhig. An der Dorotheenstraße war lediglich ein Einsatzwagen der Berliner Polizei positioniert, doch angekündigte Proteste gegen das umstrittene Referat blieben zunächst aus. Teilnehmende des Vortrags mussten sich bereits im Vorhinein anmelden, beim Einlass kam es zu Taschenkontrollen durch private Sicherheitsmitarbeiter der Universität.

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Kurz nach Beginn des Vortrags verließen drei Studierende der HU genervt das Gebäude. Sie wollten den Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht unbedingt sehen, hatten aber vergessen, sich im Vorhinein anzumelden. Die Jurastudenten lästerten auf der Treppe des Gebäudes über die Security-Mitarbeiter, die ihnen den Zugang verwehrten. „Sehen wir etwa aus wie Linksterroristen“, fragte einer der Studenten die anderen beiden.

Nach 40 Minuten war der Vortrag beendet, es gab großen Applaus und einen Blumenstrauß für Vollbrecht.

Vortrag war wegen Sicherheitsbedenken zunächst abgesagt worden

Vollbrecht, die an der HU derzeit Doktorandin ist, sprach unter dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ – genauso wie es bei der Langen Nacht vorgesehen war. Die Humboldt-Universität hatte den ursprünglichen Termin am vorvergangenen Samstag wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig gestrichen.

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Zuvor hatten Kritiker Vollbrechts und in der Folge dessen auch ihre Befürworter Proteste und Demonstrationen angekündigt. Der Protestaufruf ging dabei zunächst vom „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ (akj) aus, einer Studierendengruppe.

Diese stießen sich nicht nur am Vortragstitel, sondern vor allem daran, dass Vollbrecht zuvor in der „Welt“ einen vielfach als transfeindlich kritisierten Artikel mitverfasst hatte.

Im Vorfeld der Nachholveranstaltung am Donnerstag hatte der akj nicht mehr öffentlich zu Protesten aufgerufen.

Forschung zum Thema Geschlecht steht am Anfang

Den Vortrag hatte Vollbrecht zuvor bereits auf Youtube gehalten. Die Fassung, die sie jetzt an der HU präsentierte, unterschied sich davon nicht. Sie führt darin aus, warum es aus ihrer Sicht nur zwei Geschlechter gibt, die der Mensch bis zum Ende seines Lebens behält. Ein Dazwischen gebe es nicht, auch keine Nuancen in der Ausprägung. Das sei Stand der biologischen Forschung.

Marie-Luise Vollbrecht beim Nachholen ihres Vortrags an der HU.
Marie-Luise Vollbrecht beim Nachholen ihres Vortrags an der HU.

© Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Viele in der Biologe sehen das allerdings anders: Die Forschung zum Thema Geschlecht ist jedenfalls komplexer und steht gerade erst am Anfang. Einen Konsens, was definitiv das Geschlecht festlegt, gibt es in der Forschung nicht.

[Lesen Sie auf Tagesspiegel Plus: Zwei Kategorien sind zu wenige - Unser Bild von „männlich“ und „weiblich“ bildet nicht die Realität ab]

Über die Absage hatte es heftige Debatten gegeben. Nach der Veranstaltung mit Vollbrecht führte die HU ab 19 Uhr noch eine Podiumsdiskussion zum Thema Wissenschaftsfreiheit durch. Zu dieser kam Vollbrecht nicht. Sie begründete das zu Beginn ihres Vortrag unter anderem damit, dass es ihr immer nur um die Vermittlung von Biologie gegangen sei: „Mein Vortrag ist korrekt, der muss nicht kontextualisiert werden.“

Auch vor dem Audimax II auf dem HU-Campus Nord in Mitte, wo die Debatte ausgetragen wurde, blieb es ruhig - während das Publikum teilweise sehr lebhaft auf einzelne Äußerungen der Diskutierenden reagierte und es öfters zu Zwischenrufen kam.

HU-Präsident verteidigt das Vorgehen der Uni

Auf dem Podium saßen sieben Gäste, darunter der kommissarische HU-Präsident Peter Frensch, Vollbrechts Doktorvater Rüdiger Krahe und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die per Videocall aus dem Urlaub zugeschaltet war.

Die Themen waren breit gemischt: Neben Wissenschafts- und Meinungsfreiheit sowie biologischer Forschung ging es unter anderem auch um die Frage, wie politisch eine Universität sein darf - wobei dennoch immer eng am Vortrag Vollbrechts und den Folgen der Langen Nacht der Wissenschaften entlang diskutiert wurde.

HU-Präsident Frensch verteidigte gleich zu Beginn das Vorgehen der Uni und legte dabei Wert auf die Feststellung, dass die HU den Vortrag nie abgesagt, sondern von Anfang nur verschoben hatte.

Stark-Watzinger hält sich mit Kritik an HU zurück

Er berichtete, es sei der HU zunächst eine Demo von etwa 150 bis 200 Kritikern Vollbrechts angekündigt worden, dann zusätzlich rund 80 bis 90 Befürworter der Biologin, die ebenfalls protestieren wollten.

Von beiden Gruppen hätte es Informationen gegeben, die Veranstaltung stören zu wollen. Zusammen mit mehreren hundert anderen Teilnehmer:innen während der Langen Nacht habe das "ein Gefährdungspotenzial ergeben können, bei dem Menschen verletzt werden können".

Interessant in dem Zusammenhang war, dass sich Ministerin Stark-Watzinger bei der Bewertung des Vorfalls jetzt zurückhielt, nachdem sie sich in der "Bild"-Zeitung sehr kritisch gegenüber der HU geäußert hatte. Zwar wiederholte sie, dass die Freiheit der Wissenschaft ein hohes Gut sei und geschützt werden müsse. Auf Nachfragen allerdings, ob sie nochmal Kritik an der HU üben würde, wich sie aus - wie sie insgesamt zugespitzte inhaltliche Aussagen vermied.

"Es war ein Grundkurs Biologie"

Über die Frage, wie die Biologie wirklich über das Thema Geschlecht denkt, entspannte sich eine Debatte zwischen Vollbrechts Doktorvater Rüdiger Krahe und Kerstin Palm, Biologin und Wissenschaftshistorikerin.

Krahe verteidigte die Sicht seine Doktorandin: "Ich habe mit der Definition vom biologischen Geschlecht kein Problem." Der von Vollbrecht gewählte Geschlechterbegriff habe den Vorteil, durchgehend auch in der Tier- und Pflanzenwelt zu funktionieren.

Palm widersprach: Vollbrecht habe einen funktionalen Geschlechterbegriff, der sich ausschließlich auf die Fortpflanzung beschränke. Die Forschung habe sich längst rasant weiter entwickelt, Geschlecht müsse man vielmehr als "Kontinuum" verstehen, in einem komplexen Zusammenspiel von Chromosomen, Hormonen und Keimdrüsen.

Bei der Frage, ob Vollbrechts Vortrag durch und durch wissenschaftlich sei, musste allerdings auch Krahe kurz stocken: "Es war ein Grundkurs Biologie", sagte er dann - "ein Grundkurs, der aber 2022 nicht mehr unbedingt in Schulbüchern zu finden ist", konterte Palm.

Krahe gab denn auch zu, dass man "einen größeren Bogen hätte schlagen können". Jenny Wilken von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität sowie Heiner Schulze vom Schwulen Museum wiesen darauf hin, dass man Vollbrechts Aussagen zur Biologie eben nicht losgelöst von dem besagten Artikel in der "Welt" und den zahlreichen Tweets der Biologin sehen könne, die Schulze als "diffamierend" gegenüber trans Menschen einstufte.

HU-Präsident will Vorträge bei der Langen Nacht besser kuratieren

Und was kann man nun aus der Debatte lernen? HU-Präsident Peter Frensch schlug auch selbstkritische Töne an.

So will er künftig den Auswahlprozess für die Vorträge bei der Langen Nacht der Wissenschaften verändern. Vorträge müssten im Vorfeld besser evaluiert werden, die Personen, die diese halten, wirklich Profis auf ihrem Gebiet sein, sagte Frensch - eine Anspielung darauf, dass Vollbrecht zum Thema Geschlecht gar nicht forscht, sondern zu Hirnzellen elektrischer Fische.

"Das bedeutet ja nicht, dass wir Kontroversen aus dem Weg gehen", sagte Frensch: "Die gibt es auch unter Profis."

Sein Vorschlag fand auf dem Podium bei allen Beteiligten großen Anklang. Insgesamt sei die ganze Debatte auch eine Chance, schloss Frensch. Er wünsche sich, dass die HU das Thema Wissenschaftsfreiheit weiter diskutiere - "zu vielen Themen, die es wert sind".

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